Klärung von Missverständnissen zum Thema
Identity Hacking kennen viele Menschen - von der reinen sprachlichen Übersetzung her - lediglich als "Identitätsdiebstahl" oder "Identitätsmissbrauch" im Kontext zur sogenannten
Cyberkriminalität.
Hier geht es um den Versuch, an persönliche Informationen einer Person zu gelangen, um sich unbefugt als diese auszugeben – meist mit dem Ziel, deren Daten, Konten oder Rechte zu missbrauchen.
Identity Hacking im psychologischen Kontext
Im psychologischen Kontext bezeichnet Identity Hacking einen Prozess, bei dem es darum geht, gezielt die psychologische Identität von Menschen zu verändern. Konkret geht es um die Beeinflussung und Umprogrammierung von deren Bewusstsein und Selbstbild sowie deren Gruppenzugehörigkeits-Gefühl, um das Denken und Handeln der beeinflussten Menschen zu steuern.
Umprogrammierung der Identität
Identity Hacking steht in einem indirekten Kontext zur Gehirn-Programmierung. Allgemeines Ziel von Identity Hacking ist es aber nicht nur, Meinungen, Einstellungen und Gefühle zu ändern sowie alte Denkmuster aufzubrechen, um diese durch neue zu ersetzen: Bei Identity Hacking geht es um die Zersetzung und Umprogrammierung der tieferen Identifikation einer Person – also ihr Gefühl, „wer sie ist“ und ihr Zugehörigkeitsgefühl.
Identity Hacking erfolgt durch Medienkampagnen, Einfluss ideologischer Gruppen (z. B. Sekten, Extremisten), Soziale Netzwerke und Algorithmen sowie durch manipulative Beziehungen.
Identity Hacking erfolgt in mehreren Schritten:
1. Aufbrechen der bestehenden Identität durch
a) Erzeugen von Zweifel oder Unsicherheit an bisherigen Überzeugungen
b) Erfindung oder Betonung von Krisen, Ungerechtigkeiten oder persönlichen Schwächen
(„Du bist nicht genug, so wie du bist“)
c) Soziale Isolation: Wegnahme oder Abwertung alter Bezugspersonen oder -gruppen
2. Angebot einer neuen Identität durch
a) Präsentation einer klaren, einfachen Weltanschauung („Hier gehörst du hin“)
b) Versprechen von Zugehörigkeit, Sicherheit, Bedeutung, Stolz
c) Nutzung von Symbolen, Ritualen, Sprache (z. B. Insiderbegriffe), die ein Gemeinschaftsgefühl schaffen
3. Verstärkung und Belohnung
a) Bestätigung und Anerkennung, wenn die Person die neue Identität annimmt
b) Soziale Belohnung (Lob, Aufmerksamkeit, Status in der Gruppe)
c) Strafen oder Ausschluss, wenn jemand Zweifel zeigt / Ggf. Erfindung von Feindbildern
4. Verankerung
a) Wiederholung (Priming) der neuen Narrative, bis sie Teil des Selbstbilds werden
b) Allmähliches Entfernen alter Identitätsanker (z. B. Abbruch alter Freundschaften)
c) Förderung von Handlungen, die das neue Selbstbild bestätigen („Ich bin jetzt jemand, der X tut“).
Unterstützt wird das Identity Hacking durch manipulative wie persuasive Einzeltechniken
wie z.B. Framing, Suggestionen usw.
Allgemeine Beispiele
Beispiel Sektenrekrutierung:
Neue Mitglieder werden emotional destabilisiert und dann in eine neue, „bessere“ Identität eingeführt.
Beispiel Radikalisierung:
Extremistische Gruppen bieten jungen Menschen eine neue Rolle („Kämpfer“, „Retter“) an,
um ihnen Zugehörigkeit und Sinn zu geben.
Beispiel Marketing & Werbung:
Kampagnen, die nicht nur Produkte verkaufen, sondern Identität („Du bist ein Rebell, wenn du Marke X trägst“).
Beispiel Politische Propaganda
Genutzt wird Identity Hacking insbesondere im Bereich der politischen Psychologie und im Rahmen der politischen Propaganda als wirksame Macht-Strategie im Sinne der Zersetzung und
nachfolgenden Neuausrichtung mit Akzeptanz der Bürger.
Insbesondere unlautere politische Systeme und autoritäre Regime mit schlechten Absichten in Bezug auf die Steuerung ihrer Bürger mittels Gehirnwäsche-Strategien nutzen genau diese Mechanismen,
weil sie extrem wirksam sind, um Verhalten und gesellschaftlichen "Zusammenhalt" zu steuern, wobei sich der Zusammenhalt aber nur auf den Zusammenhalt unter gewünschten Bürger-Typen oder eines
bestimmten neuen Typ Mensch bezieht.
Ein anderer unerwünschter Teil der Bürger soll abgespalten, kaltgestellt und ausgeschaltet werden. Konkret dient Identity Hacking also nicht der Förderung des Zusammenhalts einer gesamten Gesellschaft, sondern mehr um deren Spaltung im Sinne von „Wir“ gegen „die anderen“.
Ziel ist es, Menschen stärker mit einer Gruppe zu identifizieren und in autoritären Regimen wie Diktaturen, um andere Gruppen (Oppositionen / Feindbilder) zu bekämpfen. Ein weiteres Ziel ist die Loyalität zur Staatsideologie sowie die Akzeptanz von Mangelwirtschaft, steigenden Steuern / Kosten und / oder Unsicherheit.
Detail-Ziele der Politik beim Identity Hacking
Stabilität und Kontrolle
Staaten wollen Ordnung, Vorhersehbarkeit und Loyalität
Wenn Menschen sich stark mit der Nation oder einer politischen Vision identifizieren, sind sie weniger rebellisch und leichter mobilisierbar.
Gemeinschaftsbildung / Gemeinschaftsspaltung
„Wir-Gefühl“ schaffen, um bestimmte Gruppen zu einen und andere auszuschließen
So werden Konflikte nach außen gelenkt („Wir gegen die anderen“)
Legitimation von Macht
Wenn Bürger sich mit der Regierung, der Nation oder einer Ideologie identifizieren, sehen sie politische Entscheidungen - seien sie auch noch so autoritär oder missbräuchlich - als gerechtfertigt. Es entsteht ein Gefühl von „wir regieren uns selbst“, auch wenn reale Machtungleichgewichte bestehen.
Verhaltenslenkung
Menschen dazu bringen, Steuern zu zahlen, Gesetze einzuhalten, im Krieg zu kämpfen oder bestimmte Werte anzunehmen.
Das geht einfacher, wenn sie glauben, dass es „Teil von dem ist, wer sie sind“.
Wie Politik Identity Hacking umsetzt
Nationale Identität
Nationalflaggen, Hymnen, Feiertage → schaffen einer emotionalen Verbindung
Medien & Narrative
Staatliche oder parteinahe Medien nutzen Sprache und ein bestimmtes neu konstruiertes Vokabular
zur Formen von Identitäten, Narrativen z.B. „Wir sind ein freies Volk“, „Wir sind Opfer/Helden“, "Wir sind stolz auf uns", "Wir sind besser als andere" und zur Unterscheidung zwischen "gut" und "böse", "Helden" und "Verräter", "Demokratieverteidiger" vs. "Extremisten"
Gruppenbildung
Politische Lager („links“ vs. „rechts“) werden verstärkt, um Zugehörigkeit zu schaffen.
Konflikte zwischen Gruppen werden manchmal bewusst genutzt, um Loyalität zu festigen.
Symbolische Politik
Politiker inszenieren sich als Identifikationsfiguren
Nutzung von Mythen, Heldenfiguren, Storys
Emotionssteuerung
Angst und Hoffnung sind starke Hebel, um Identität und Verhalten zu steuern.
Nutzen für politische Systeme
Höhere Loyalität
→ Weniger Widerstand gegen unpopuläre Maßnahmen.
Einfachere Mobilisierung
→ Bürger gehen wählen, demonstrieren oder kämpfen.
Stärkung der Machtelite
→ Regierung kann sich als „Schützer der nationalen Identität oder Gruppenidentität" präsentieren.
Lenkung von Frustration
→ Unzufriedenheit wird auf Sündenböcke (Außenfeinde, Minderheiten) projiziert statt auf die Regierung.
Ausblendung und Abwehr der Realität durch die Bürger
→ Leugnung der Realität, Abwehr neuer richtiger wahrer Informationen bis hin zu Realitätsverlust und Verdummung
Risiken & Schattenseiten
Polarisierung:
Gesellschaft wird gespalten.
Manipulation:
Kritisches Denken kann unterdrückt werden.
Missbrauch:
Autoritäre Regime nutzen Identity Hacking, um Opposition zu delegitimieren.
Propaganda und Kriegspropaganda:
Gegner werden entmenschlicht, um Gewalt zu rechtfertigen.
Fazit:
Politische Systeme nutzen Identity Hacking, weil es die tiefsten Ebenen des menschlichen Verhaltens anspricht. Es geht nicht nur um Meinungen, sondern um Selbstbild, Zugehörigkeit und Sinn – und wenn diese beeinflusst werden, lassen sich Menschen langfristig steuern, ohne dass sie das Gefühl haben, manipuliert zu werden.
Identity Hacking im Kontext zu den dahinterliegenden psychologischen / sozialpsychologischen Modellen und Werkzeugen
1. Eriksons Modell der Identitätsentwicklung
Der Psychologe Erik Erikson beschrieb Identität als einen lebenslangen Entwicklungsprozess und betonte besonders die Phase der Identitätsfindung in der Jugend („Identität vs. Rollendiffusion“). Identity Hacking nutzt genau diese sensiblen Phasen – indem es neue alternative Rollen vorschlägt und damit neue Sinnangebote macht.
Eine „neue Identität“ kann plötzlich Orientierung und Struktur geben. Die Manipulation durch Identity Hacking erfolgt möglichst früh, denn junge Menschen, die nach Zugehörigkeit suchen, sind anfälliger für Gruppendruck oder extremistische Ideologien.
2. Cialdinis 7 Prinzipien der Beeinflussung
Der Sozialpsychologe Robert Cialdini hat sieben Prinzipien beschrieben, wie Menschen beeinflusst werden können – sie sind Kernwerkzeuge von Identity Hacking:
Reziprozität – „Wir haben dir geholfen, also bist du uns etwas schuldig.“
Commitment & Konsistenz – kleine Schritte führen zu immer größeren Verpflichtungen (Fuß-in-der-Tür-Technik).
Soziale Bewährtheit – „Alle anderen glauben das auch, also musst du es auch tun.“
Sympathie – Menschen lassen sich leichter von Personen beeinflussen, die sie mögen.
Autorität – Experten, Gurus oder charismatische Führer werden nicht hinterfragt.
Knappheit – „Diese Chance gibt es nur jetzt!“
Einheit (Unity) – das stärkste Prinzip: „Wir sind Familie, wir sind eins.“ (→ direkt auf Identität gerichtet!)
Identity Hacking nutzt oft besonders Commitment, soziale Bewährtheit und Einheit, um Menschen dauerhaft an eine neue Identität zu binden.
3a Narrative
Psychologisch gesehen ist Identität stark von Narrativen (Geschichten, die wir uns über uns selbst erzählen) geprägt.
Identity Hacking versucht, diese Geschichte umzuschreiben:
Altes Narrativ: „Ich bin nur ein normaler Mensch.“
Neues Narrativ: „Ich bin Teil von etwas Größerem. Ich habe eine Mission.“
Das verändert Verhalten, Motivation und Selbstwertgefühl fundamental.
3b Storytelling
Der Begriff "Storytelling" bedeutet auf deutsch ganz einfach "Geschichten erzählen“. Hier wird jedoch nicht einfach nur eine Geschichte erzählt, die der reinen Unterhaltung gilt. Vielmehr ist Storytelling eine regelrechte Methode. Darüber hinaus gibt es weitere Bereiche (z.B. Bildungs-, Erziehungs- und Schulwesen), in denen Storytelling - mehr oder weniger bewusst - als Methode zum Zwecke unterschiedlicher Zielsetzungen genutzt wird.
Storytelling ist eine Methode, mit der entweder Wissen oder eine Botschaft unterschwellig in Form einer Metapher beim Empfänger implementiert wird, wobei der Empfänger direkt oder indirekt (z.B. über seine Emotionen) in die Geschichte eingebunden wird, wodurch ein persönliches Involvement erreicht wird, das zu einer bestimmten Einstellung und zu einem bestimmten Verhalten führt. Vor dem Storytelling steht das Storybuilding - die künstliche Konstruktion einer Story mit manipulativem Charakter.
4. Konzept der kognitive Dissonanz (Festinger)
Wenn eine Person Handlungen ausführt, die nicht mit ihrem alten Selbstbild übereinstimmen, entsteht Spannung (kognitive Dissonanz). Identity Hacking nutzt das aus, indem es kleine Handlungen initiiert, die zur neuen Identität passen – bis das Selbstbild angepasst wird. Detail-Infos zum Thema kognitive Dissonanzen.
Auch gibt es eine Kopplung im Sinne der Massenpsychologie durch
5. Pluralistische Ignoranz
Pluralistische Ignoranz basiert auf sozialem Einfluss (siehe Punkt 6). Pluralistische Ignoranz tritt auf, wenn sich ein Mensch in einer mehrdeutigen, schwer einschätzbaren Situation befindet und nicht weiß, was zu tun ist. Man schaut sich dann um und beobachtet, was die anderen tun. Dabei üben die beobachteten oder in der Phantasie vorgestellten Personen – ohne, dass diese zwingend aktiv etwas tun müssen - durch ihre reine Anwesenheit oder allein die Vorstellung informativen sozialen Einfluss auf den Beobachter aus.
Bevor man selbst vor den Augen der anderen ein vermeintlich falsches Verhalten zeigt, sammelt der Mensch in uneindeutigen Situationen zuerst einmal Indizien in Form sogenannter Hinweisreize, um eine Situation für sich richtig einzuordnen. Dabei versucht der Einzelne, Informationen über seine Umwelt zu gewinnen. Das Verhalten bzw. die Reaktionen seiner Mitmenschen nutzt der Einzelne dabei als Deutungshilfe.
Verwendet wurde der Begriff der Pluralistischen Ignoranz u.a. im sogenannten „Decision model of bystander intervention“ von Latané & Darley. Anhand dieses Modells wird die Hilfeleistung bzw. das Unterlassen der Hilfeleistung in Notsituationen (durch die Menge der Zeugen) erklärt (Bystander-Effekt). (Detail-Infos)
Beispiel:
Jemand postet einmal einen gesellschaftskritischen Kommentar → spürt Spannung → passt sein Selbstbild an („Vielleicht bin ich der einzige, der so denkt“) → traut sich nicht mehr, seine Meinung kundzutun, selbst wenn diese die Realität spiegelt und auf Wahrheit basiert.
6. Gruppendynamik / Sozialpsychologie
In-Group/Out-Group-Bias:
Die eigene Gruppe wird idealisiert, andere abgewertet.
Konformitätsdruck:
Menschen passen ihre Überzeugungen an, um dazuzugehören.
Deindividuation:
In Gruppen verlieren Menschen teilweise ihre persönliche Verantwortung – die Gruppenidentität übernimmt.
Das macht kollektive Identitätsveränderung besonders mächtig.
(Das Phänomen der pluralistischen Ignoranz wurde bereits unter Punkt 5 erwähnt)
Zusammengefasst
Identity Hacking im psychologischen Sinn nutzt Entwicklungspsychologie, soziale Beeinflussungsprinzipien und Narrative, um:
- Bestehende Identität zu destabilisieren
- Eine neue Identität als attraktiver zu präsentieren
- Die neue Identität durch Handlungen und Gruppenzugehörigkeit zu verankern
Schutz vor Identity Hacking
- Kritisches Denken stärken:
Informationen hinterfragen, auch wenn sie ins eigene Weltbild passen
- Propagandamedien / Einfluss von Autoritäten (Radio und Fernsehen) meiden
- Vielfältige unterschiedliche Informationsquellen nutzen und Informationen vergleichen:
Filterblasen vermeiden
- Selbstreflexion üben:
Sich fragen, warum man bestimmte Überzeugungen hat und auf welchen Informationen diese basiert
- Verschiedene mehrschichtige Gruppen in sozialen Netzwerken pflegen
- Perspektiven im eigenen Leben haben oder finden