Wissen: Kontrollstörung / Kontrollzwang

als Form einer Zwangsstörung + Abgrenzung zur kontrollierenden Persönlichkeitsstörung und zur zwanghaften Persönlichkeitsstörung

Kontrollzwang

Einführung
Der sogenannte "Kontrollzwang" geht mit einem starken bzw. überaus hohem Bedürfnis bzw. Drang nach Kontrolle einher und ist eine spezielle Ausprägung - und sehr häufige Form - einer Zwangsstörung.

 

Beides, Kontrollzwang / Kontrollstörung und die Zwangsstörung an sich werden hier abgehandelt und von entsprechenden Formen einer Persönlichkeitsstörung (z.B. und / oder einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung oder einer kontrollierenden Persönlichkeit abgegrenzt

 

Menschen mit einem Kontrollzwang verbringen in Bezug auf ihr Verhalten viel Zeit mit der Überprüfung von allem Möglichen: Türen, Herd, Wasserhähne, Kinder usw.

 

Dieses Verhalten basiert auf Gedanken wie: "Ist die Kaffeemaschine auch wirklich aus?", "Ist der Wecker richtig gestellt?", "Was machen die Kinder gerade?" bzw. "Wie geht es den Kindern?".

 

Dies erfolgt nicht nur einmal pro Tag, sondern öfters, obwohl zuvor bereits eine entsprechende Überprüfung durch sie selbst erfolgte, der sie nun - kurze Zeit später - aber bereits nicht mehr trauen. Denn ihr Denken basiert auf der (teils phantastischen) Angst, dass alles mögliche passieren könnte, für das sie "verantwortlich" sind  (= überhoch stark ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein) - und dass sie (aufgrund ihrer übertriebenen Gewissenhaftigkeit) stets alles "im Griff haben" "müssen".

 

Die besagten zeitraubenden Rituale gehen mit entsprechendem Di-Stress einher - und hindern sie auf Dauer daran, am Leben und Zusammenleben mit anderen unverkrampft teilhaben zu können und ihre alltäglichen Aufgaben angemessen zu bewältigen.

 

Menschen mit einem Kontrollzwang haben starke Selbstzweifel: Obwohl sie z.B. gerade die Tür verschlossen haben, sind sie sich im nächsten Moment bereits unsicher, ob diese auch wirklich sicher verriegelt ist. Ähnlich ergeht es ihnen mit Wasserhähnen, Lampen und Weckern. Während sie z.B. das richtige Stellen ihres Weckers mehrfach kontrollieren, drücken andere mehrmals an der Türklinke, um sicher zu sein, dass die Tür wirklich verschlossen ist.

 

Manche Betroffene müssen mehrfach umkehren und erneut alles überprüfen. Andere wiederum wollen ihre Wohnung gar nicht mehr verlassen, weil die Ängste zu stark sind. Die Betroffenen befürchten, dass durch ihre Schuld ein schreckliches Unheil eintritt. Um dieses Unheil zu verhindern, überprüfen sie immer und immer wieder beispielsweise die Herdplatte, da sie Angst haben, den Herd versehentlich angelassen zu haben, wodurch es dann brennen könnte.

 

Andere kontrollieren mehrfach ihren Wecker oder gleich mehrere Wecker, weil sie Angst haben, zu verschlafen und dadurch zu spät zur Arbeit oder zu einem wichtigen Termin zu kommen, wodurch es dann ggf. zu Problemen, Ärger oder Sanktionen kommt oder bei anderen das Gefühl der Unzuverlässigkeit entstehen könnte.

 

Manche Betroffene haben ständig Angst, dass ihren Kindern oder anderen Personen in der Familie etwas zustoßen könnte, weshalb sie diese stetig kontrollieren (z.B. durch Kontroll-Anrufe, Kontroll-Besuche, Lauschen am Babyphone, Kontrolle, ob jemand noch atmet, ob bei jemandem das Licht angeschaltet ist usw.). Auch gibt es Betroffene, die z.B. Angst haben, jemanden aus Versehen zu überfahren, ohne es zu bemerken, weshalb sie dann immer wieder denselben Weg abfahren, um sich zu versichern, dass kein Mensch durch sie verletzt worden ist.

 

Ein ausgeprägter Kontrollzwang geht mit stressiger Angst einher und entspricht zugleich einer Art Leistungsdruck, der  aufgrund der stressigen Zwangsgedanken ("Ich muss...", "Ich muss noch...",), der Selbstzweifel ("Habe ich alles erledigt?", "Habe ich ich auch wirklich alles richtig  gemacht?" usw. ) und des Zwangsverhaltens (Überprüfen, Kontrolle) einen erheblichen Leidensdruck verursacht. Zudem werden die Kontrollhandlungen oft bis zur völligen Erschöpfung wiederholt.

 

Differenzierung

Abgrenzung der Kontrollstörung zur Wahnstörung
und zu Persönlichkeitsstörungen im Kontext zu Zwängen und Kontrolle

Im Gegensatz zu anderen Störungen wie z.B. einer Wahnstörung wissen Menschen mit einem Kontrollzwang prinzipiell, dass ihr Verhalten irrational ist. Sie sind aber dennoch nicht in der Lage, es zu ändern. Bei manchen Kontrollzwängen kommt es zu Erklärungen, die den Betroffenen logisch erscheinen (z.B. dem Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit , die aber dennoch überzogen sind.  Hier kommt entweder der Wahn ins Spiel - oder es wird deutlich, dass es sich hier nicht um eine Zwangserkrankung, sondern um eine entsprechende (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung handelt. 

 

Insbesondere hier werden Störung und Leidensdruck anderen gegenüber von den Betroffenen häufig negiert und / oder selbstwertdienlich verzerrt. Beispiel: "Ich finde es gut und richtig.", "Andere machen es auch.", "Das ist völlig normal.", "Es ist meine Pflicht.",  "Ich trage nun mal die Verantwortung.", "Andere sind eben verantwortungslos.", "Andere machen es ja schließlich nicht", "Das macht sich nicht von alleine.", "Einer muss es ja schließlich machen."

 

Während sich eine klassische Zwangsstörung auf die Kontrolle von Gegenständen bezieht, weist ein zwanghaftes Verhalten, das sich auf die Kontrolle anderer Menschen bzw. die Kontrolle "über" andere Menschen bezieht, eher auf eine Persönlichkeitsstörung hin. Ein Beispiel hierfür sind z.B. kontrollierende Persönlichkeiten

 

Für die Differenzierung entscheidend, ist auch die konkrete Kommunikation der Betroffenen sowie die Unterscheidung zwischen deren tatsächlicher "Einsicht" in ihr Leiden und möglicher "Uneinsichtigkeit", was mit Abstreiten und / oder Verteidigung der Gedanken und des Zwangs-Verhaltens gegenüber der Umwelt bzw. anderen einhergeht. Unterschiedlich ist folglich auch das Vermeidungsverhalten.

 

a) Zwanghafte / anankastische Persönlichkeitsstörung / Zwangspersönlichkeitsstörung 
In Abgrenzung zur Zwangsstörung als Erkrankung zeigt sich die zwanghafte Persönlichkeitsstörung durch Rigidität, Perfektionismus, ständige Kontrollen, Gefühle von Zweifel sowie ängstliche Vorsicht, keine Fehler zu machen. Zwanghafte oder anankastische Persönlichkeiten sind übertrieben genau, perfektionistisch, ordentlich, planend, kontrollierend und/oder stur nach eigenen strengen Regeln richtend.

 

Es besteht ein Hang zur Vorsicht und zur Pedanterie. Sie sind unflexibel im Verhalten, haben Angst, Fehler zu begehen und haben starke Zweifel. Zudem besteht eine Schwäche, eigene Gefühle zu äußern. Die zwanghafte Persönlichkeitsstörung ist - trotz mancher Ähnlichkeiten in der sichtbaren Symptomatik - eine von der Zwangsstörung völlig verschiedene Störung. Im Gegensatz zur Erkrankung wird das zwanghafte Erleben und Verhalten der Betroffenen als "normal", "richtig" und "gut" empfunden. Es fehlt die Einsicht und oft auch die Einsicht in das Leiden. Hier leidet das persönliche und soziale Umfeld oft mehr als die Betroffenen selbst.  Ähnlich ist dies auch bei kontrollierenden-bestimmenden Persönlichkeiten.

 

b) Kontrollierende Persönlichkeiten

Wie der Kontrollzwang als spezielle Ausprägung einer Zwangsstörung, so geht auch die Persönlichkeit von kontrollierenden Persönlichkeiten und von kontrollierenden-bestimmenden Persönlichkeiten mit einem starken bzw. überaus hohem Bedürfnis nach Kontrolle einher. Der bei einem Kontrollzwang entstehende Leidensdruck ist jedoch nicht vorhanden, weil die Zwanghaftigkeit hier zumeist nicht bewusst ist - und der Zwang an sich nicht im Vordergrund steht. Vielmehr handelt es sich hier um die spezielle Persönlichkeit der Betroffenen bzw. um eine Persönlichkeitsstörung.

 

Während der Hang oder Drang zur Organisation und Kontrolle bei kontrollierenden Persönlichkeiten auf Übervorsichtigkeit, negativem Denken und Ängsten basiert, wird der Hang bzw. Drang nach Organisation und Kontrolle bei bestimmenden-kontrollierenden Persönlichkeiten durch ein bestimmendes Wesen mit hoher Dominanz ergänzt. 

 

Während sich eine klassische Zwangsstörung auf die Kontrolle von Gegenständen bezieht, bezieht sich das zwanghafte Verhalten bestimmender-kontrollierender Persönlichkeiten auf die Kontrolle anderer Menschen (z.B. der Kinder). Hinzu kommt der Drang, das Leben und Verhalten anderer zu kontrollieren und ggf. auch zu bestimmen.

 

Für die Differenzierung entscheidend, ist auch die konkrete Kommunikation der Betroffenen sowie die Unterscheidung zwischen dem vorhandenen Bewusstsein bzw. der "Einsicht" der Betroffenen mit einer Kontrollstörung, die unter ihrem Denken und Verhalten letztendlich leiden  - und dem grundlegenden Denken und Verhalten kontrollierender-bestimmender Persönlichkeiten, das erst dann ggf. zum Thema wird, wenn persönlichkeits- und verhaltensbedingte Konflikte in der sozialen Interaktion und / oder andere (unvermeidbare) Probleme im zwischenmenschlichen Miteinander offenbar werden.

 

Kontrollierende Persönlichkeiten und bestimmende-kontrollierende Persönlichkeiten sind bestrebt, ihre Umwelt inklusive des Umfelds ihrer Mitmenschen zu kontrollieren und auch für andere (z.B. ihre Kinder) zu organisieren und zu kontrollieren.

Dies führt dazu, dass sich Menschen in ihrem Umfeld (z.B. Familienangehörige) kontrolliert fühlen und Kinder wie Partner in gewisser Weise unselbstständig werden und an eigener Persönlichkeit verlieren.

 

Bei bestimmenden-kontrollierenden Persönlichkeiten geht dies noch weiter: In Anpassung an gesellschaftliche oder eigene Normen stellen sie Regeln auf und fordern von ihren Interaktionspartnern, diese einzuhalten, um sich vor unvorhergesehenen Überraschungen, Chaos und Kontrollverlust zu schützen. Auch andere (z.B. ihre Kinder) wollen sie vor Überraschungen, Chaos und Kontrollverlust schützen (Detail-Infos).

 

Zurück zur Kontrollstörung /
Kontrollzwang als eine Form der Zwangsstörung / Zwangserkrankung

 

Vermeidungsverhalten

Vermeidungsverhalten wie z.B. das Verlassen des Hauses zu vermeiden, bestimmte Maschinen nicht mehr zu nutzen oder z.B. keine Kerzen mehr anzuzünden sind Vermeidungsstrategien, die den Kontrollzwang aufrechterhalten oder sogar verschlimmern. In einer Psychotherapie werde solche Strategien daher aufgedeckt und bearbeitet.

 

Stattdessen hilft vielmehr die Konfrontation mit dem konkreten Unterlassen von Zwangs-Verhalten bei entsprechenden Zwangs-Gedanken(kognitive Verhaltenstherapie mit Konfrontationsübungen). Konkret deutet das z.B. zu üben, das das Haus zu verlassen, ohne mehrmals die Türe zu überprüfen. Ebenfalls üben die Betroffenen in der Therapie, dem Drang nach Kontrolle nicht nachzugeben.

 

Im Verlaufe einer solchen Therapie lernen die Betroffenen, sich auf ein normales Maß an Kontrollmaßnahmen zu beschränken und sich selbst zu vertrauen. Mit der Zeit gewinnen sie dabei zunehmend an Sicherheit. Selbstzweifel und Angst lassen nach. Ergänzend hilft eine solche Psychotherapie in Kombination mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI).

 

Ursachen 

Aus medizinischer (psychiatrischer) Sicht werden biologische Faktoren und Umwelteinflüssen als Ursachen genannt, wobei 

das Zusammenspiel aus beidem eine Rolle spielt. Aus psychologischer Sicht, wird ein Kontrollzwang vielmehr entwickelt. Eine Rolle spielen z.B. traumatische Kindheitserfahrungen oder ein ungünstiger Erziehungsstil der Eltern.

 

Eine wichtige Rolle spielt eine generelle Ängstlichkeit sowie die allgemeine Grundhaltung zum Leben und der Glaube:

 

Ängstliche Menschen tendieren besonders dazu, bedrohliche Gedanken sehr ernst zu nehmen. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass die Gedanken Wirklichkeit werden. Während kollektivistisch orientierte Persönlichkeiten davon ausgehen, dass ausschließlich der Mensch für sich und seine Umwelt verantwortlich ist, haben Menschen mit einem ausgeprägten Glauben an Gott und /oder die Natur bezüglich des Schicksals eine viel höhere Gelassenheit oder ein regelrechtes Gottvertrauen. 

 

Zwangsstörungen im Allgemeinen

Der Kontrollzwang ist eine Form der Zwangsstörung oder Zwangserkrankung (englisch obsessive-compulsive disorder bzw. OCD), de zu den psychischen Störungen zählt. Für die erkrankte Personen besteht ein innerer Zwang oder Drang, bestimmte Dinge zu denken oder zu tun.

 

Zwar wehren sich die Betroffenen meist gegen diesen auftretenden Drang, erleben ihn als übertrieben und sinnlos, können ihm willentlich jedoch meist nichts entgegensetzen. Besonders schlimm sind Zwangsstörungen, bei denen der Zwang oder Drang von den Betroffenen nicht als übertrieben und sinnlos angesehen wird, sondern vielmehr als normal und sinnvoll.

 

Hier kommt wahnhaftes Verhalten ins Spiel oder aber eine entsprechende Persönlichkeitsstörung, bei der die Betroffenen die Irrationalität ihres Verhaltens nicht erkennen, sondern ihr Verhalten "normal", "richtig" oder "gut" finden, während jene Menschen, die dies nicht verstehen oder anders denken und handeln als "falsch", "oberflächlich", "rücksichtlos" oder gar "böse" gesehen werden.  

 

Zur Abgrenzung der Zwangserkrankung (Psychose) zur Persönlichkeitsstörung: Während die symptomatische Zwangsstörung  von den Betroffenen in der Regel als „ich-dyston“, also als ich-fremd und der Person nicht zugehörig empfunden und als irrational erkannt wird, wird Zwanghaftigkeit im Rahmen der zwanghaften bzw. anankastischen Persönlichkeitsstörung vom Betroffenen als „ich-synton“, also als mit seiner Person vereinbar und als richtig und logisch empfunden. In solchen Fällen kommt es zu logisch erscheinenden selbstwertdienlichen Erklärungen und anderen vorgeschobenen Gründen wie z.B. "Ich muss mich schließlich wohl fühlen".  

 

Sowohl für die Betroffenen als auch für deren Umfeld bringt die Störung deutliche Belastungen und Beeinträchtigungen des Alltagslebens mit sich.

 

Die für die diagnostische Klassifizierung nach der ICD-10 maßgebliche Hauptsymptomatik der Zwangsstörung besteht in Zwangsgedanken oder Zwangshandlungen. Bei mehr als 90 % der Betroffenen finden sich beide Symptome. Typisch ist auch die große Bandbreite an möglichen Symptomen, so dass fast jeder Betroffene sein eigenes, individuelles Symptombild aufweist.

 

Zwangsgedanken (Obsession und Intrusion) im Allgemeinen und im Speziellen

Bei Zwangsgedanken handelt es sich um zwanghaft sich aufdrängende Denkinhalte, die üblicherweise als unsinnig erkannt werden. Diese meistens „ich-dystonen“ Zwangsgedanken können aber auch übersteigert bis hin zu magischem Denken oder überwertigen Ideen bestehen. Einige Betroffene leiden zudem zusätzlich an formalen Denkstörungen, vor allem an Perseveration, Gedankenkreisen, eingeengtem Denken oder Gedankenarmut. In der Regel lösen Zwangsgedanken Abwehrrituale auf verhaltens- oder kognitiver Ebene aus. 

 

Die Unterscheidung zwischen Zwangsgedanken und normalen Gedanken besteht vor allem im oftmals unangemessen, beunruhigenden oder irrationalen Charakter der Zwangsgedanken sowie im Leidensdruck, der Unkontrollierbarkeit und den starken negativen Emotionen, wie Angst und Unbehagen, die mit den Zwangsgedanken einhergehen.

 

Bei Zwangsgedanken geht es häufig um angstvolle Gedanken und Befürchtungen, sich selbst oder einer anderen Person zu schaden (z. B. durch Verunreinigung, durch aggressive Handlungen oder durch sogenannte „magische Handlungen“), in eine peinliche Situation zu geraten, oder durch Unterlassen von Handlungen indirekt bzw. durch eigene Handlungen direkt für ein Unheil oder Unglück verantwortlich zu sein. Die Zweifel und Befürchtungen können nicht befriedigend abgeschlossen werden, sodass sie sich ständig wieder aufdrängen und bearbeitet werden müssen, ohne zu einem realen Ergebnis zu gelangen.

 

Häufig leiden Betroffene auch an quälendem Zweifel. Klinische Erfahrungen zeigen, dass Menschen mit einer Zwangsstörung die Eintrittswahrscheinlichkeiten negativer Ereignisse überschätzen. Häufig zeigt sich bei den Betroffenen auch eine Hypervigilanz. Zwangsgedanken lassen sich einteilen in

 

a)  Zwangsideen und -befürchtungen (z. B. die Befürchtung, eine Arbeit nicht richtig oder nicht vollständig oder nicht perfekt gemacht zu haben oder Ängste, dass dem Partner oder den Kindern etwas Schlimmes zustoßen könnte)

 

b)  Aggressive Zwangsgedanken (Befürchtungen, jemandem Schaden zuzufügen, sexuell verwerfliche Dinge zu tun, jemanden zu beleidigen etc.

 

c)  Grübelzwang (bestimmte Themen müssen wieder und wieder durchdacht werden. Es ist nicht möglich, dabei zu einer Entscheidung oder zu einer Lösung zu kommen)

 

d)  Zweifel (Unsicherheit, Handlungen nicht zufriedenstellend abgeschlossen, etwas falsch verstanden, getan oder unterlassen zu haben)

 

e)  Zählzwang (Arithmomanie) Bestimmte Dinge, die im Alltag auftauchen, werden gezählt

 

f)   Wiederholungen: Bestimmte Gedanken müssen von den Betroffenen ritualisiert wiederholt werden

 

g)  Erledigungszwänge (bei zwanghaften Persönlichkeitsstrukturanteilen)

 

 

Grundsätzlich eignet sich jedes Thema als Zwangsgedanke. In einer Untersuchung von Salman Akhtar (1975) wurden die Themen der Zwangsgedanken von Betroffenen erfragt. Am häufigsten wurden dabei genannt:

 

-  Schmutz oder Verseuchung
   (menschliche oder tierische Exkremente, Schmutz, Staub, Sperma, Menstruationsblut, Keime, Infektionen)

 

-  Gewalt und Aggression
   (körperlicher oder verbaler Angriff auf sich selbst oder andere Personen; Unfälle, Missgeschick, Krieg, Katastrophen, Tod)

 

-  Ordnung (Ordentlichkeit, Symmetriebestrebungen in der Ausrichtung von Gegenständen usw.)

 

-  Religion (Religiöse Praktiken und Rituale, Glaubenssätze, moralische Einstellungen) oder Magie

 

-  Sexualität (sexuelle Handlungen an sich oder anderen, inzestuöse Impulse, sexuelle Leistungsfähigkeit)

 

 

Zwangshandlungen im Allgemeinen und im Speziellen

Unter Zwangshandlungen versteht man zwanghaft gegen oder ohne den Willen ausgeführte Handlungen. Zwangshandlungen sind Stereotypien, die ständig wiederholt werden müssen. Beim Versuch, die Handlungen zu unterlassen, treten massive innere Anspannung und Angst auf.

 

Die meisten Betroffenen wissen zumeist, dass ihr Verhalten übertrieben und unvernünftig ist, und versuchen anfangs, Widerstand zu leisten, geben jedoch auf, wenn die Angst sie überfällt. Danach fühlen sie sich für gewöhnlich für eine kurze Zeitspanne weniger ängstlich. Abgesehen von dieser Spannungsreduktion empfinden die Betroffenen keine Freude am Ausführen der Handlung selbst. Doch es gibt - wie bereits erwähnt - auch solche Menschen, die in ihren Zwangshandlungen einen logischen Sinn sehen. Hier kommt wahnhaftes Verhalten ins Spiel oder aber eine entsprechende Persönlichkeitsstörung:

 

Während die symptomatische Zwangsstörung  von den Betroffenen in der Regel als „ich-dyston“, also als ich-fremd und der Person nicht zugehörig empfunden und als irrational erkannt wird, wird Zwanghaftigkeit im Rahmen der zwanghaften bzw. anankastischen Persönlichkeitsstörung vom Betroffenen als „ich-synton“, also als mit seiner Person vereinbar und als richtig und logisch empfunden. In solchen Fällen kommt es zu logisch erscheinenden selbstwertdienlichen Erklärungen und anderen vorgeschobenen Gründen wie z.B. "Ich muss mich schließlich wohl fühlen" oder "Das macht man so" oder "Das machen andere auch" und in krassen Fällen zur Umkehr der Realität: "Mit euch stimmt etwas nicht. So ein Schmutz oder so eine Unordnung ist doch nicht normal!". 

 

Manche Menschen bauen die zwanghafte Handlung zu einem regelrechten Zwangsritual aus: Die Zwangshandlung wird in einer bis ins Detail ausgearbeiteten Art und Weise ausgeführt. Die Betroffenen müssen das Ritual jedes Mal in exakt derselben Weise, nach bestimmten, sorgfältig zu beachtenden Regeln durchlaufen. Wenn es nicht gelingt, die Handlung abzuschließen, entsteht weitere Angst, und das Ritual muss häufig von Anfang an wiederholt werden.

 

Beispiele:

-  Reinlichkeitszwang:
   Der Zwang, sich z. B. dauernd die Hände zu waschen, zu desinfizieren (Ablutomanie)

 

-  Kontrollzwang:
    Ständige Überprüfung von Herdplatten, Türschlössern, Gashähnen, Aschenbechern, wichtigen Papieren etc.

 

-   Ordnungszwang:

    Der Zwang, immer eine Symmetrie, perfekte Ordnung oder ein Gleichgewicht herzustellen,
    indem Dinge wie Bücher, Kleidung oder Nahrungsmittel nach genauen Regeln präzise angeordnet werden

 

-   Berührzwang:
    Der Zwang, bestimmte Dinge anzufassen oder gerade nicht anzufassen, z.B. etwa jede Straßenlaterne zu berühren

 

-   Verbale Zwänge:
     Ausdrücke, Sätze oder Melodien werden ständig wiederholt

 

 

Diagnose nach ICD-10

Gemäß ICD-10 (Code F42)[25] sollten für eine Diagnose folgende Bedingungen erfüllt sein:

 

Die Zwangsgedanken oder zwanghaften Handlungsimpulse müssen vom Patienten als seine eigenen erkannt werden.

Mindestens gegen einen Zwangsgedanken oder gegen eine Zwangshandlung muss der Patient noch Widerstand leisten.

 

Der Zwangsgedanke oder die Zwangshandlung dürfen nicht an sich angenehm sein.

 

Die Zwangssymptome müssen sich in zutiefst unangenehmer Weise wiederholen.

 

Die Symptomatik muss über mindestens 14 Tage an den meisten Tagen bestehen.

 

Diagnose nach ICD-11

Gemäß der seit 2022 gültigen ICD-11 (Code 6B20) gehört die „Zwangsstörung“ zu der Gruppe der „Zwangsstörung oder verwandten Störungen“. Sie ist somit nicht mehr den Angststörungen zugeordnet.

 

Zu den verwandten Störungen der Gruppe gehören:

 

6B21 Körperdysmorphe Störung

6B22 Olfaktorische Referenzstörung

6B23 Krankheitsangststörung

6B24 Pathologisches Horten

6B25 Körperbezogene repetitive Verhaltensstörungen

 

Diagnose nach DSM-5

Das DSM-5 unterscheidet mehrere Abstufungen, je nach Grad der gegebenen Einsicht in die Zwangsproblematik. Die aktuell gültige 5. Auflage führt die Störung erstmals in einem eigenen Kapitel unter dem erweiterten Oberbegriff „Zwangsstörung und verwandte Störungen“ auf – zuvor war sie dem Kapitel „Angststörungen“ zugeordnet. Zu den verwandten Störungen zählen dabei die „Körperdysmorphe Störung“, „Zwanghaftes Horten“, „Trichotillomanie“, „Dermatillomanie“ sowie analoge Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen, Medikamenten und anderen medizinischen Bedingungen.

 

Zur genaueren Diagnosestellung können Fremdratingskalen (Fragebögen zur Fremdbeurteilung) verwendet werden

z. B.:

 

-  Die Yale-Brown Obsessive Compulsive Scale (Y-BOCS).[28]
   Die Y-BOCS liegt auch als Version für Kinder und als Selbstbeurteilungsfragebogen vor.

 

-  Maudsley Obsessional Compulsive Inventory (MOC)

 

-  Leyton Obsessional Inventory (LOI) – auch als Version für Kinder

 

-  Hamburger Zwangsinventar (HZI) – auch in Kurzform

 

Differentialdiagnose

Gelegentliche Panikattacken oder leichte phobische Symptome sind mit der Diagnose vereinbar. Obwohl bei Zwangsstörungen Ängste eine große Rolle spielen können und als sogenannte anxiety disorder nach amerikanischen Leitlinien klassifiziert wurden, zählen diese nicht zu den Angststörungen im engeren Sinne.

 

Abgrenzung zur Schizophrenie:

Früher wurde von Eugen Bleuler ein Zusammenhang zwischen Zwang und Schizophrenie postuliert. Mehrere aktuelle Studien deuten darauf hin, dass es keinen solchen direkten Zusammenhang gibt. Patienten mit Zwängen haben kein erhöhtes Risiko gegenüber der Allgemeinbevölkerung, an einer Schizophrenie zu erkranken. Allerdings treten Zwänge auch im Rahmen von Schizophrenien auf. Bei Patienten, die an einer Schizophrenie leiden, scheint das Vorliegen von Zwangssymptomen die Prognose hinsichtlich der Lebensqualität und Arbeitsfähigkeit zu verschlechtern.

 

Abgrenzung zur zwanghaften Persönlichkeitsstörung:

Es besteht kein nachweisbarer Zusammenhang zwischen einer symptomatischen Zwangsstörung und einer zwanghaften Persönlichkeitsstörung. Während die Zwanghaftigkeit im Rahmen der zwanghaften bzw. anankastischen Persönlichkeitsstörung vom Betroffenen als „ich-synton“, also als mit seiner Person vereinbar empfunden wird, wird die symptomatische Zwangsstörung in der Regel vom Betroffenen als „ich-dyston“, also als ich-fremd und der Person nicht zugehörig empfunden.

 

Zwangssymptome bei einer Ticstörung, beim Gilles-de-la-Tourette-Syndrom und bei organischen psychischen Störungen werden nicht als Zwangsstörung diagnostiziert, sondern als Teil der entsprechenden Störungsbilder betrachtet. Ebenso führen Tic-Symptome im Rahmen einer Zwangsstörung nicht zwangsläufig zu einer Diagnose des Tourette-Syndroms, da auch im Rahmen einer Zwangsstörung Tic-Symptome auftreten können. Auch sind Stereotypien bei Autismus zu unterscheiden.

 

Reine Zwangsgedanken können auch in Zusammenhang mit postpartalen Depressionen oder postpartalen Psychosen auftreten. In der Regel fürchtet die Mutter, sie könne das Neugeborene schädigen.

 

Von den reinen Zwangsstörungen sind auch die sogenannten Zwangsspektrumstörungen abzugrenzen. Hier wird postuliert, dass gewisse Erkrankungen, die sowohl in der alten DSM-IV als auch in der ICD-10 zumeist anderen Kategorien zugeordnet werden, aufgrund ihrer Charakteristika auch als Ausprägungen eines Spektrums von zwangsähnlichen Erkrankungen angesehen werden können. Hierzu zählen insbesondere: bestimmte Formen der Hypochondrie, die körperdysmorphe Störung, Anorexia nervosa, Depersonalisationsstörung, Tourette-Syndrom, Trichotillomanie, Dermatillomanie, Hoarding (Tierhortung, Messie-Syndrom) und pathologisches Spielen. Teilweise wurden diese Überlegungen in die neue Klassifikation DSM-5 übernommen, die mit dem Oberbegriff „Zwangsstörung und verwandte Störungen“ mehrere zusammengehörige Störungsbilder vereint.

 

Begleiterkrankungen

Wie auch bei anderen Angststörungen ist bei der Zwangsstörung zu beobachten, dass sie häufig gemeinsam mit anderen affektiven Störungen und Angststörungen auftritt. Die Zwangsstörung tritt am häufigsten in Kombination mit Depression, Panikstörung und sozialer Phobie auf. Rund 80 Prozent der Betroffenen weisen depressive Symptome auf, die aber nicht immer die Diagnose „Depressionen“ rechtfertigen. Ein gutes Drittel leidet mindestens einmal im Leben an einer Depression. Bei 12 Prozent der Kranken tritt die körperdysmorphe Störung auf.

 

Bei 50 Prozent der Betroffenen liegt gleichzeitig eine Persönlichkeitsstörung vor. Die unter den Erkrankten am häufigsten auftretenden Persönlichkeitsstörungen sind die abhängige und die selbstunsicher-vermeidende. Eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung liegt dagegen deutlich seltener vor. Generell weisen Zwangskranke häufig problematische Interaktionsmuster bzw. Persönlichkeitszüge auf.

 

Zwänge bei anderen Erkrankungen

Das Vorhandensein von Zwangssymptomen muss nicht gleich das Vorhandensein einer Zwangsstörung bedeuten. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen können unabhängig von der klassischen Zwangsstörung auch als Symptome im Rahmen anderer neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen vorkommen. Hier ist von Obsessive Compulsive Symptoms (OCS) die Rede. Unter anderem ist dies der Fall im Rahmen des Tourette-Syndroms, des Autismus, bei Schädel-Hirn-Trauma, Schizophrenie sowie bei neuropsychiatrischen Syndromen wie PANS bzw. PANDAS. In der Regel sprechen die Zwangssymptome in diesen Fällen auf eine Behandlung der verursachenden Grunderkrankung an.

 

Die Erkrankung beginnt meist im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter vor dem 30. Lebensjahr. Jungen und Männer erkranken im Durchschnitt früher als Frauen. Die Erkrankung verläuft meist langsam zunehmend und verschlimmert sich ohne wirksame Therapie stetig, zu zwei Dritteln chronisch, zu einem Drittel schubweise mit akuten Verschlechterungen unter besonderen Belastungen.

 

Der Ausbruch in Kindheit oder frühem Erwachsenenalter kommt bei Jungen häufiger vor als bei Mädchen. Dabei liegt das Ersterkrankungsalter bei circa 25 % der Jungen unter zehn Jahren. Je früher mit der Behandlung begonnen wird, desto besser sind die Prognosen. Durch die Behandlung mit psychotherapeutischen Methoden oder geeigneten Medikamenten ist die Prognose deutlich zu verbessern, auch wenn eine vollkommene Symptomfreiheit selten erreicht wird.

 

Getrennt lebende oder geschiedene Personen und Arbeitslose sind unter den Personen mit Zwangsstörung in der Regel leicht überrepräsentiert. Dies überrascht nicht, wenn man bedenkt, welche Schwierigkeiten die Störung in Beruf und Beziehungen hervorrufen kann. Das Risiko einer Verschlimmerung der Zwangssymptome während Schwangerschaft und Stillzeit liegt bei 60–70 %. Auch haben Patientinnen mit einer Zwangsstörung ein erhöhtes Risiko für eine Wochenbettdepression.

 

Verhaltenstherapeutische Erklärungen

Die Zwei-Faktoren-Theorie von Mowrer erklärt die Entstehung und Aufrechterhaltung von Zwängen und Ängsten – die Entstehung über das lerntheoretische Modell der klassischen Konditionierung, die Aufrechterhaltung über die operante Konditionierung.

 

Kurz zur klassische Konditionierung: Ein ursprünglich neutraler Reiz (z. B. Schmutz), wird durch Kopplung an einen unkonditionierten Stimulus, der von Natur aus bereits angstbesetzt ist, zu einem stellvertretenden Auslöser für die Empfindung von Angst oder Abneigung. Ein solcher unkonditionierter Stimulus, der von Natur aus die Anspannung auslöst, könnte beispielsweise eine emotionale Belastung in der Familie sein.

 

Operante Konditionierung:

Als Folge treten Zwangshandlungen (oder auch Zwangsgedanken) auf, um die Angst oder Anspannung zu neutralisieren, das bedeutet zu reduzieren. Gelingt es, die Angst zu reduzieren, wirkt das als negative Verstärkung der Zwangshandlungen, was bedeutet, dass sie in Zukunft häufiger auftreten.

 

Eine kognitiv-verhaltenstherapeutische Theorie zur Entstehung von Zwangsstörungen (Paul Salkovskis) geht davon aus, dass Zwangsstörungen durch die negative Bewertung von sich aufdrängenden Gedanken, die auch bei gesunden Menschen von Zeit zu Zeit auftreten, und deren (anschließende) Vermeidung entstehen. Die Vermeidung der auftretenden Gedanken kann kognitiv oder auf Verhaltensebene geschehen:

 

Entweder wird versucht, die Gedanken zu unterdrücken oder sie durch Handlungen zu „neutralisieren“ (bspw. bei Angst vor Kontaminationen durch Händewaschen). Beide Vermeidungsreaktionen führen jedoch nicht zu den erwünschten Effekten: Die Neutralisierungshandlung führt nur kurzfristig zu einer Erleichterung, da sich die Gedanken, die das Verhalten ausgelöst haben, weiterhin aufdrängen. Dennoch hat die Person gelernt, dass sie sich durch die Handlung, wenn auch nur kurzfristig, Erleichterung verschaffen kann. Das Verhalten wird somit negativ verstärkt. Gedankliches Unterdrücken hat andererseits einen paradoxen Effekt: Durch das aktive Unterdrücken verstärken sich die Gedanken zusätzlich („rebound effect“).

 

Die kognitionspsychologische Forschung identifizierte mehrere Faktoren, aufgrund deren „normale“ Gedanken von Menschen mit Zwangsstörungen als störend empfunden werden.

 

Depressive Stimmung:
Eine stärkere depressive Stimmung bei diesen Menschen führt zu einer Erhöhung
in der Anzahl und Stärke von unerwünschten Gedanken.

 

Strenger Verhaltenskodex:
Außerordentlich hohe Moralmaßstäbe tragen dazu bei, dass insbesondere
sexuelle und aggressive Gedanken viel weniger akzeptiert werden können.

 

Dysfunktionale Überzeugungen von Verantwortlichkeit und Schaden:
Einige Menschen mit Zwangsstörungen glauben, dass die für sie störenden negativen
– tatsächlich vollkommen normalen – Gedanken sie selbst oder andere schädigen könnten.

Dysfunktionale Überzeugungen und Gedankenmuster:
Menschen mit Zwangsstörungen haben fehlangepasste Vorstellungen darüber,
wie das menschliche Denken funktioniert, indem sie annehmen,
sie könnten unangenehme Gedanken kontrollieren.

 

Psychoanalytische Erklärungen

Psychoanalytiker gehen davon aus, dass sich Zwangsstörungen dann entwickeln, wenn Kinder ihre eigenen Es-Impulse zu fürchten beginnen und Abwehrmechanismen einsetzen, um die resultierende Angst zu verringern. Der Kampf zwischen Es-Impulsen und Angst wird auf bewusster Ebene ausgetragen. Die Es-Impulse erscheinen gewöhnlich als Zwangsgedanken, die Abwehrmechanismen als Gegengedanken oder Zwangshandlungen.

 

Sigmund Freud postulierte, dass manche Kinder in der sogenannten analen Phase (mit etwa zwei Jahren) intensive Wut und Scham empfinden. Diese Gefühle heizen den Kampf zwischen Es und Ich an und stellen die Weichen für Zwangsstörungen. In diesem Lebensabschnitt ist Freud zufolge die psychosexuelle Lust der Kinder an die Ausscheidungsfunktion gebunden, während zugleich die Eltern mit der Sauberkeitserziehung beginnen und von den Kindern analen Befriedigungsaufschub fordern.

 

Wenn die Sauberkeitserziehung zu früh einsetzt oder zu streng ist, kann dies bei den Kindern Wut auslösen und zur Entwicklung aggressiver Es-Impulse führen – antisozialer Impulse, die immer wieder nach Ausdruck drängen. Die Kinder beschmutzen vielleicht ihre Kleidung erst recht und werden allgemein destruktiver, schlampig oder dickköpfig. Wenn die Eltern diese Aggressivität unterdrücken, kann das Kind auch Scham- und Schuldgefühle sowie das Gefühl, schmutzig zu sein, entwickeln. Gegen die aggressiven Impulse des Kindes stellt sich jetzt ein starker Wunsch, diese Impulse zu beherrschen. Dieser heftige Konflikt zwischen Es und Ich kann sich das ganze Leben lang fortsetzen und sich schließlich zu einer Zwangsstörung auswachsen.

 

Zahlreiche Ich-Psychologen wandten sich von Freud ab und führten die aggressiven Impulse nicht auf die strenge Sauberkeitserziehung zurück, sondern auf ein unbefriedigtes Verlangen nach Ausdruck des eigenen Selbst oder auf Versuche, Gefühle wie Angst vor Verwundbarkeit oder Unsicherheit zu überwinden. Sie stimmen mit Freud aber darin überein, dass Menschen mit einer Zwangsstörung starke aggressive Impulse sowie ein konkurrierendes Kontrollbedürfnis gegenüber diesen Impulsen besitzen.

 

Biologische Erklärungsmodelle

Zahlreiche Studien konnten inzwischen zeigen, dass die Zwangsstörung moderat erblich ist bzw. dass bestimmte genetische Konstellationen die Entstehung der Erkrankung wahrscheinlicher machen. Dies könnte ein bisweilen zu beobachtendes familiär gehäuftes Auftreten von Erkrankungen aus dem Zwangsspektrum mitbedingen. Allerdings konnten die relevanten Genabschnitte bisher nicht zweifelsfrei identifiziert werden.

 

Neurobiologische Faktoren

Zwangsstörungen gehen mit Veränderungen im Hirnstoffwechsel einher. Ob diese Veränderungen ursächlich verbunden sind oder Begleiterscheinung der Zwangsstörung darstellen, ist nicht geklärt.

 

Serotonin-Hypothese:

Verschiedene neurochemische Untersuchungen sowie Erfolge mit serotonergen Medikamenten verweisen auf einen Zusammenhang zwischen dem Serotonin-Stoffwechsel des Hirns und der Zwangsstörung. Durch Gabe von SSRI kann die Symptomatik reduziert werden. Nach dem Absetzen der Medikation kommt es in der Regel zu einem Rückfall in die Zwangssymptomatik.

 

Dopamin-Hypothese:

Vor allem bei den Zwangsstörungen der an Tic-Syndromen oder am Gilles-de-la-Tourette-Syndrom erkrankten Patienten spielt wahrscheinlich auch das Dopamin bzw. das dopaminerge Transmitter-System eine bedeutsame Rolle. Es gibt Hinweise darauf, dass die Transmitterstörungen nicht Ursache der Zwangserkrankung sind, sondern Begleiterscheinungen „primärer Störungen im orbitofronto/zingulostriatalen Projektionssystem, welches das Verhalten an eine sich verändernde äußere Umwelt und innere emotionale Zustände anpasst und auf die monoaminergen Kerne des Mittelhirns zurückwirft“.

 

Basalganglien-Hypothese:

Es liegen Veränderungen in bestimmten Hirnregionen, den Basalganglien vor (Cortex orbitofrontalis und im Nucleus caudatus). In Positronen-Emissions-computertomographischen Studien fand sich sowohl im Bereich des Cortex orbitofrontalis, der beiden, Nuclei caudati sowie des Gyrus cinguli ein erhöhter Glucoseumsatz. Gleichzeitig war in diesen Hirnarealen die Durchblutung reduziert.

 

Immunologische Erklärungsansätze:

Stereotype Zwangssymptome und Tics im Zusammenhang mit infektiösen bzw. immunologischen Faktoren bei Streptokokkeninfektionen im Kindesalter (PANDA-Syndrom) bzw. anderen Erregern (PANS/PITAND Syndrom) führten zu immunologischen Studien. Es bestehen Hinweise auf die Wirksamkeit immunmodulatorischer Therapieansätze mittels Plasmapherese oder i. v.-Immunglobulinen und eine langfristige Besserung des klinischen Bildes durch die antibiotische Prophylaxe. Des Weiteren liegen Befunde vor, die auf erhöhtes B-Lymphozytenantigen D8/17 hinweisen. Zusätzlich wurden autoimmunologische Parameter, z. B. pathologische Autoantikörper, nachgewiesen. In einer Untersuchung fand sich bei Patienten mit zwanghaften Bewegungsstörungen, vergleichbar zur Chorea Sydenham, eine erhöhtes Auftreten von Anti-Basalganglien-Antikörpern.

 

Behandlung aus Sicht der Psychiatrie

Die aktuelle deutsche S3-Leitlinie zur Zwangsstörung empfiehlt Patienten mit einer Zwangsstörung eine „Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) einschließlich Exposition und Reaktionsmanagement als Psychotherapie der ersten Wahl anzubieten“. Sie besagt zudem, dass eine „medikamentöse Therapie einer Zwangsstörung mit einer Kognitiven Verhaltenstherapie mit Expositionen und Reaktionsmanagement kombiniert werden soll“.

 

Eine alleinige medikamentöse Therapie ohne begleitende Psychotherapie sei nur indiziert, wenn „Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) abgelehnt wird oder wegen der Schwere der Symptomatik keine KVT durchgeführt werden kann“; sowie, wenn „KVT wegen langer Wartezeiten oder mangelnder Ressourcen nicht zur Verfügung steht oder damit die Bereitschaft des Patienten, sich auf weitere Therapiemaßnahmen (KVT) einzulassen, erhöht werden kann. Zudem kann es ratsam sein Bezugspersonen, sofern gewünscht, in die Befundaufnahme zu integrieren“.

 

Der Hauptnachteil einer rein medikamentösen Behandlung von Zwangsstörungen ist, dass die Rückfallraten nach dem Absetzen der Medikamente sehr hoch sind und bis zu 90 Prozent betragen können. Allerdings weisen auch ca. 20 % der Patienten nach Verhaltenstherapien Rückfälle auf. Bei schweren Verlaufsformen wird eine Kombination von Medikamenten und Expositionstherapie empfohlen. Patienten mit Zwangsstörung und einer komorbiden Tic-Störung sollten gemäß der aktuell gültigen Leitlinie „mit einem SSRI und ggf. bei fehlender Therapieresponse zusätzlich mit Antipsychotika wie Risperidon oder Haloperidol behandelt werden“. Die tiefe Hirnstimulation kommt nur unter kritischer Nutzen- und Risikoabwägung bei schwerstbetroffenen Patienten mit therapierefraktärer Zwangsstörung in Frage.

 

Bei optimaler Therapie ist eine deutliche Besserung der Beschwerden und des Verlaufs in den meisten Fällen zu erwarten. Eine vollständige Heilung ist jedoch selten. Besonders bei abruptem Absetzen der Medikation und ungenügender verhaltenstherapeutischer Begleitung ist eine Verschlechterung der Symptomatik wahrscheinlich.

 

Behandlung aus Sicht der Psychotherapie

Zwangserkrankungen sind eine erhebliche Belastung für Betroffene und ihren Angehörigen. Die Behandlung des Störungsbildes ist weiterhin schwierig und komplex. Dennoch gelingt es, durch psychotherapeutische Verfahren und medikamentöse Unterstützung eine Linderung der Symptomatik zu erreichen. Allerdings bedarf es auch niederschwelliger Angebote wie ein entsprechendes Coaching. 

 

Es gibt verschiedene psychotherapeutische Verfahren, die zum Einsatz kommen können. Diese unterscheiden sich in Theorie und Methodik deutlich voneinander. Die unterschiedlichen Strategien der verschiedenen Therapieformen sind Gegenstand der Forschung sowie einer weitreichenden Theoriedebatte. Die aktuelle deutsche S3-Leitlinie zur Zwangsstörung benennt verhaltenstherapeutische Verfahren als Mittel der ersten Wahl. Psychoanalytisch begründete Psychotherapieverfahren werden zur Therapie von Patienten mit Zwangsstörungen ebenfalls eingesetzt. 

 

Hinterfragung und tiefenpsychologische Neu-Programmierung von Glaubenssätzen 

Bei einer Zwangsstörung liegen oftmals bestimmte übertriebene Glaubenssätze zugrunde, die dann zu überhöhten Ansprüchen an sich selbst sowie zu zwanghaften Ritualen und eingeschliffenen Denkweisen führen. Nicht selten können mögliche Ursachen und Beweggründe in der Kindheit und Erziehung ausgemacht werden, die dann zu bestimmten Glaubenssätzen und Programmen führen.

 

Es hilft, die entsprechenden Glaubenssätze herauszufinden bzw. zu ermitteln und über perspektivisch neue Formulierungen und entsprechende Suggestionen unter leichter Trance (Spezielles autogenes Training / Hypnose) umprogrammiert werden, sofern ein regelmäßiges Priming der entsprechenden Suggestionen erfolgt, was dann dazu führt, dass das alte Programm überschrieben wird, das eigene alte Denken hinterfragt und gestoppt wird - und sich neues Denken und Verhalten einstellt.

 

Da Menschen mit einer Zwangsstörung in Bezug auf sich selbst und ihr Zwangsverhalten völlig illusorische Maßstäbe anlegen, an deren Richtigkeit sie fest glauben - und das Selbstbild zudem oft absolut unrealistisch ist, gestaltet sich die Umprogrammierung zu neuem Denken nicht einfach und scheint erst einmal unmöglich. Bei Einsicht und entsprechender Mitwirkung, Regelmäßigkeit mit geringen Sitzungs-Abständen und Selbst-Disziplin ist dies aber machbar.

 

Verhaltenstherapie

Mit der Verhaltenstherapie steht ein effektives psychotherapeutisches Behandlungsverfahren zur Verfügung, das am konkreten Verhalten der Betroffenen ansetzt. Eine frühe verhaltenstherapeutische Behandlung sollte nicht verzögert werden, weil eine Behandlung zu Beginn der Störung erfolgversprechender ist. Für Verhaltenstherapie (VT), Kognitive Therapie (KT) und Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) haben sich weder in der Wirksamkeit noch in der praktischen Durchführung Unterschiede ergeben. Dies kann auch in einem Gruppensetting durchgeführt werden, besonders wenn Einzeltherapie nicht möglich erscheint.

 

Konfrontation mit Reaktionsmanagement

Bei dieser gut erforschten Methode werden Patienten wiederholt mit Gegenständen oder Situationen konfrontiert, die normalerweise Angst, zwanghafte Befürchtungen und Zwangshandlungen auslösten. Dabei sollen die Zwangspatienten jedoch keine der Zwangshandlungen bzw. Sicherheitsverhalten tatsächlich ausführen und so lernen, dass es auch ohne Ausführung der Zwangshandlungen geht - und trotzdem nichts Nachteiliges bzw. Schlimmes passiert.

 

Weil dies den Klienten sehr schwerfällt, führt der Therapeut das Verhalten ggf. anfangs modellhaft vor (Modelllernen). Während man bei dieser Behandlungsmethode früher von einer „Reaktionsverhinderung“ sprach, wird heute üblicherweise von einem „Reaktionsmanagement“ gesprochen, denn die Reaktionen sollen während der Konfrontation nicht gänzlich verhindert werden, sondern lediglich die Vermeidungsreaktionen (siehe auch Konfrontationstherapie) unterbinden.

 

Weil es fast unmöglich ist, gedankliche (kognitive) Vermeidung zu beobachten, soll der Patient dazu angeleitet werden, sich auch inhaltlich mit den zentralen Themen seiner Befürchtungen zu beschäftigen und sich auf die emotionale Qualität der Situation einzulassen („emotional processing“). Es geht in diesem Sinne nur um die Reaktionsverhinderung von Vermeidungsverhalten, während die emotionale Reaktion gefördert wird.

 

Besteht die Möglichkeit einer hochfrequenten Exposition mit Reaktionsmanagement (Blockexposition, mehrere Expositionen in der Woche etc.) wird dies empfohlen. Dabei wird eine Expositionsbehandlung empfohlen bis zum Erreichen einer klinischen Remission (bspw. Abfall der diagnostischen Werte und Verbesserung der Lebensqualität). Bei 60 bis 90 % der Zwangspatienten, die mit diesem Verfahren behandelt werden, tritt eine Besserung ein in Form einer Reduzierung der Zwangshandlungen und darauf folgenden Angsterlebnissen. Die Therapieerfolge lassen sich noch Jahre später beobachten.

 

Habituationstraining

wird bei isolierten Zwangsgedanken eingesetzt. Die Klienten erhalten die Anweisung, sich den Zwangsgedanken oder die Zwangsvorstellung ins Bewusstsein zu rufen und eine längere Zeit gegenwärtig zu halten. Bei einer anderen Form konfrontieren sich die Patienten mit den belastenden Zwangsgedanken durch das Anhören entsprechender sich wiederholender Sprachaufnahmen.

 

Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie

kann in Erwägung gezogen werden, wenn zuvor keine ausreichende Veränderung durch Konfrontation mit Reaktionsmanagement erzeugt werden konnte. Dies gilt sowohl im Einzel- als auch im Gruppensetting. Die Betroffenen lernen, auf ihre Gedanken und Verhalten zu achten und zu versuchen, die auslösenden Gedanken zu stoppen.

 

Die Gedankenstopp Methode ist eine einfache Möglichkeit sich von störenden Gedanken zu befreien. Je öfter man diese  Technik anwendet, desto besser kann man lästigen Gedanken wie Zwangsgedanken stoppen, das Gedankenkarussell unterbrechen und sich von Zwangsgedanken befreien.

 

Wie funktioniert das? Wenn man sich beim Grübeln, einem belastenden, angstmachenden oder zwanghaften Gedanken ertappt, stoppt man die Gedanken, indem man sich in Gedanken ein rotes Stopp-Schild vorstellt - und laut oder in Gedanken "STOPP" sagt. Durch das STOPP-Zurufen unterbrechen wir unsere Gedanken erst mal.

 

Wenn man nachfolgend nichts unternimmt, würden die lästigen Gedanken danach sofort wiederkommen. Deshalb ist es wichtig, dass man sich nach dem STOPP bewusst und ruckartig etwas anderem zuwendet. Statt negative Gefühle überwinden zu wollen, ist es einfacher, diese durch gute Gefühle zu neutralisieren. 

 

Es empfiehlt sich, langsam ein und wieder aus zu atmen und sich etwas Schönes und Entspannendes vorzustellen z.B. einen Strand, eine Bergwiese, etwas, das man sich wünscht. Danach oder alternativ kann man sich Gute Laune Strategien zuwenden. Was sind Gute Laune Strategien?

 

Es gibt viele Gute Laune Strategien: Man kann sich z.B. Positives und Erreichtes bewusst machen und sich bewusst machen, wofür man dankbar sein kann. Das Gefühl der Dankbarkeit ist ein echtes Powergefühl und es ist leicht zu erzeugen.

 

Auch kann man seine Körpersprache nutzen: Man kann seine Gefühle relativ schnell ändern, wenn man seine Körpersprache ändert. Denn durch seine Mimik, Gestik und Körperhaltung hat man einen direkten Draht zu seinen Gefühlen. Erzeugt man ein künstliches Lächeln (am besten vor einem Spiegel) - notfalls sogar über einen Stift zwischen den Zähnen -  entsteht nach einiger Zeit eine psychosomatische Rückkopplung.

 

Eine ähnliche Wirkung hat der Gebrauch von "Gute Laune Vokabular". Worte können in uns Gefühle von Begeisterung, Liebe und Hoffnung auslösen, aber eben auch das Gegenteil davon. Das Umschwenken auf "Gute Laune Aktivitäten" nach der Gedanken-Stopp-Methode ist ebenfalls ein gutes Mittel sich aus einer negativen Stimmung oder aus Zwangsgedanken herausreißen, positive Gefühle zu erzeugen, sich abzulenken und sich über stetige Wiederholung entsprechender "Gute-Laune-Strategien" umzuprogrammieren.

 

Auch kann und sollte man sich bewusst machen, dass man selbst der Chef über sich ist, der letztendlich selbst bestimmt, was man denkt und was man fühlt. Wie man gefühlsmäßig auf etwas reagiert, liegt letztendlich an einem selbst. Tatsächlich hat man selbst die Wahl, wie man sich fühlen möchte, denn man selbst kontrolliert letztendlich die eigenen Gedanken. Ggf. hilft es, sich bewusst zu machen, dass man nicht sein Körper IST, sondern einen Körper HAT, über den man selbst bestimmen kann. Und zu diesem Körper gehört auch unser Gehirn. Gedanken kommen nicht einfach; man macht Sie.   

 

Man kann die Wirkung des Gedankenstopps weiter unterstützen, indem man sich ein Gummi um das Handgelenk legt, kräftig daran zieht und dann schnuckartig loslässt, so dass man einen leichten (oder zur Not ggf. etwas stärkeren) körperlichen Schmerz verspürt, der im Sinne des Wirkungsprinzips der klassischen Konditionierung als bestrafender Reiz - ähnlich einem Stromstoß - und als Verstärker fungiert. Zudem verstärkt dies die ablenkende Wirkung des STOPP. 

 

Assoziationsspaltung

ist eine Therapietechnik für Patienten, die ihre Zwangsgedanken in Worte fassen können. Die Methode baut parallel zu den negativen, quälenden Assoziationen neue neutrale oder positive Verknüpfungen auf. Dadurch werden auf physiologischer Ebene alternative neuronale Bahnungen (Assoziationen) belebt. Die Methode ist als Selbsthilfetechnik anwendbar. Eine systematische Übersichtsarbeit ergab signifikante Effekte auf Zwangsgedanken und die Zwangssymptomatik insgesamt im Vergleich zu Kontrollbedingungen.

 

Metakognitives Training bei Zwangsstörungen (Z-MKT)

ist ein Behandlungsangebot mit Schwerpunkt auf zwangsspezifische Denkverzerrungen. Erste Studien sprechen für die Akzeptanz seitens der Teilnehmer sowie die Effektivität gegenüber einer Kontrollbehandlung.

 

Psychodynamische Verfahren

Eine psychodynamische Psychotherapie, die einem psychoanalytischen oder tiefenpsychologischen Ansatz zugrunde liegt, hat das Ziel, gehemmte Impulse bewusst zu machen und etwaige Konfliktspannungen als unbewusste Inszenierung auf Grundlage daraus abgeleiteter Konflikte aufzuarbeiten (z. B. zwischen Abhängigkeit und Autonomie, Unterordnung und Aufsässigkeit, Gehorsam und Sich-Auflehnen). Für diese Ansätze in der Zwangsstörungsbehandlung liegen „keine Evidenzen in der Wirksamkeit aus randomisierten kontrollierten Studien“ vor.

 

Zurück zur Sichtweise der Psychiatrie:

Behandlung mit Medikamenten

Zur Behandlung kommen primär Arzneistoffe aus dem Bereich der Psychopharmaka zum Einsatz. Häufig werden mehrere Medikamente kombiniert und es kann einige Zeit (oft 2–3 Monate) in Anspruch nehmen, bis ein Patient wirksam eingestellt ist. Eine alleinige medikamentöse Therapie (Monotherapie) ist indiziert, wenn eine geeignete Verhaltenstherapie nicht zur Verfügung steht bzw. eine lange Wartezeit erfordert oder wenn eine Motivation für eine kognitive Verhaltenstherapie nicht vorhanden ist. Ebenfalls kann eine Psychotherapie medikamentös ergänzt werden zum Erreichen eines schnelleren Wirkungseintrittes, bei Vorliegen einer zusätzlichen Depression und insbesondere bei unzureichendem Ansprechen auf Psychotherapie[109]. Auch kann eine psychopharmakologische Behandlung eingesetzt werden, um die Bereitschaft und Fähigkeit des Patienten für eine kognitive Psychotherapie zu erhöhen.

 

a) Antidepressiva

Als wirksam zur Behandlung der Zwangsstörung haben sich in mehreren kontrollierten Studien diejenigen Antidepressiva erwiesen, die überwiegend oder selektiv eine Hemmung der Wiederaufnahme des Botenstoffs Serotonin bewirken, z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), zum Beispiel Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin, Sertralin oder das trizyklische Antidepressivum Clomipramin; in einer Studie hat sich auch Venlafaxin als wirksam bei Zwangsstörungen erwiesen. Das Ansprechen auf die Behandlung scheint unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung zu sein.

 

In Deutschland sind zur Behandlung der Zwangsstörung Clomipramin, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin und Sertralin zugelassen. SSRIs gelten aufgrund der besseren Verträglichkeit als Mittel der 1. Wahl. Clomipramin ist laut Metaanalysen tendenziell oder signifikant wirksamer als SSRIs. Da Patienten die Behandlung mit Clomipramin wegen der Nebenwirkungen jedoch häufiger abbrechen, gilt dieses Medikament als zweite Wahl.

 

Für die medikamentöse Therapie der Zwangsstörung gelten einige Besonderheiten: Es sind meist höhere Dosen als in der Behandlung einer Depression oder Angsterkrankung notwendig. Nach spätestens 6–8 Wochen sollte die maximal mögliche Dosis erreicht sein (sofern nicht bereits eine Wirkung eingetreten ist)[109]. Höhere Dosen sind mit einem besseren Therapieerfolg verbunden. Ein Therapieerfolg stellt sich oft erst nach zwei bis drei Monaten ein. Meist werden nur Besserungen um 40–50 % erreicht. Dies entspricht einer deutlich nachweisbaren Wirkung, jedoch keiner vollständigen Besserung. Es ist eine längerfristige medikamentöse Erhaltungstherapie (mindestens 12–24 Monate) erforderlich.Bei Behandlungsresistenz kann der Wechsel auf einen anderen SSRI-Wirkstoff oder Clomipramin oder Venlafaxin versucht werden.

 

Bei alleiniger medikamentöser Therapie ist nach dem Absetzen des Antidepressivums in etwa 80 % der Fälle mit einem Rückfall zu rechnen. Absetzen der Medikamente sollte daher langsam ausschleichend und möglichst nur nach einer parallel durchgeführten Verhaltenstherapie erfolgen.

 

b) Neuroleptika

Bei ausbleibendem oder unzureichendem Ansprechen auf SSRIs und Clomipramin und insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen von Tic-Störungen und Tourette-Syndrom kann als Ergänzung eine zusätzliche Therapie mit den Antipsychotika Risperidon, Haloperidol, Aripiprazol oder, mit Einschränkung, auch Quetiapin versucht werden.

 

Bei der Behandlung mit Neuroleptika können Nebenwirkungen auftreten wie Müdigkeit, Benommenheit, Störungen von Konzentration und Reaktionsfähigkeit zu Beginn der Behandlung, langfristig Appetitsteigerung und Gewichtszunahme, hormonelle Störungen, sehr selten und nur in höherer Dosierung Bewegungsunruhe und motorische Eingebundenheit. Neuroleptika werden von manchen Autoren besonders dann empfohlen, wenn die Zwangsgedanken magischen Charakter haben, eine unzureichende Distanz zu den Zwangsinhalten besteht oder die Zwänge bizarr wirken. Etwa ein Drittel der Patienten mit Therapieresisten sprechen nach Metaanalysen auf Hinzugabe von Neuroleptika an.

 

c) Sonstige Arzneistoffe

Es gibt Hinweise darauf, dass der Wirkstoff Acetylcystein ebenso wie andere Medikamente, die auf die glutaminergen Synapsen des Gehirns einwirken, zu einer Besserung von Zwangssymptomatiken führen kann. Gleiches gilt für einige H1-Antihistaminika wie Diphenhydramin und insbesondere Hydroxyzin, das auch ein starker Dopamin- und Serotonin 5-HT2 Antagonist ist. Daneben gibt es sporadische Studien über diverse andere Wirkstoffe, die auf das serotonerge System (z. B. Inositol) sowie die Acetylcholinrezeptoren (Anticholinergika) einwirken.

 

Im Rahmen von Anwendungsbeobachtungen zeigte sich unter Einnahme von μ-Opioiden wie Hydrocodon oder Tramadol eine spontane Reduktion von Zwangssymptomen bei ansonsten behandlungsresistenten Patienten. Breit angelegte Studien hierzu liegen allerdings nicht vor und Grund sowie Wirkungsweise für den beobachteten Effekt sind bis dato unklar.Der Einsatz von Opiaten bei Zwangssymptomen ist somit experimentell und indikationsüberschreitend („off-label“); zudem sind bei gleichzeitiger Einnahme von CYP2D6-Inhibitoren wie Fluoxetin oder Paroxetin besondere Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, da die therapeutische Breite deutlich reduziert sein kann. Zudem besitzen Opiate ein erhebliches Suchtpotential.

 

Chirurgische Eingriffe

Zur Behandlung starker therapieresistenter Zwangsstörungen besteht die Möglichkeit der „Tiefen Hirnstimulation“ (Deep Brain Stimulation). Dabei werden dauerhaft Elektroden in das Hirn eingepflanzt, die elektrische Impulse eines an der Brust implantierten Schrittmachers in für die Entstehung von Zwangssymptomen entscheidende Hirnareale leiten. In den USA ist dieses Verfahren bereits seit 2009 von der Kontrollbehörde FDA für die Behandlung von Zwangsstörungen zugelassen.

 

Unterstützende Maßnahmen

Neben der direkten Behandlung einer Zwangsstörung können begleitende Hilfsmaßnahmen wie bspw. das Einbinden des näheren sozialen Umfelds (durch Familientherapie, Eheberatung oder Maßnahmen der sozialen Arbeit) sich als hilfreich erweisen. Von besonderer Bedeutung sind zudem folgende Interventionen:

 

Psychoedukation: Darunter versteht man die Schulung und Unterweisung von Erkrankten oder ihren Angehörigen bzw. Bezugspersonen, um besser mit den Konsequenzen einer Zwangserkrankung umgehen zu können. Das Verständnis für die Ursachen und Auswirkungen der Krankheit kann sich auf die Behandlung des Erkrankten ebenso positiv auswirken wie auf seine sozialen Beziehungen. Auch der im Falle einer Zwangserkrankung bestehenden Gefahr einer sozialen Stigmatisierung kann mit psychoedukativen Verfahren begegnet werden.

 

Bewegung:  Sport- und bewegungstherapeutische Interventionen wie z. B. Ausdauertraining können eine sinnvolle Ergänzung zur Therapie sein.