Es gibt verschiedene Arten von Erinnerungen, aber eine ist besonders einzigartig: Die traumatische Erinnerung.
Eine traumatische Erinnerung basiert auf einer vorausgegangenen traumatischen Erfahrung (siehe Psychotrauma). Viele traumatische Erfahrungen werden vergessen und zum Zwecke des Selbstschutzes ins Unterbewusstsein verlagert, von wo sie dann ggf. weiterwirken.
Doch nicht immer kommt es bei traumatischen Erfahrungen zu einer Amnesie bzw. zu einem Verlust der Erinnerung. Manchmal sind bestimmte Erinnerungen mehr oder weniger sehr präsent. Die Betroffenen erinnern sich ganz genau oder nur zum Teil oder manchmal auch fehlerhaft. Fehlerhaft heißt, dass Zusammenhänge oder Abfolgen der eigenen Erinnerung nach ggf. anders sind, als andere (z.B. außenstehende Beobachter, sofern vorhanden) diese beschreiben würden.
Wie auch immer: Traumatische Erinnerungen können starke negative Emotionen hervorrufen, wobei die Emotionen, Empfindungen und Reize, die mit dieser Erinnerung verbunden sind, jederzeit ausgelöst werden können, was zu einer diffusen Angst und Anspannung bei den Betroffenen führt.
Viele negative bis traumatische Erfahrungen schlummern weiter in unserem Unterbewusstsein und lösen beim Eintreffen bestimmter neuer Sinnesreize (Eindrücke, Bilder, bestimmte Verhaltensweisen, Aussagen, Worte/Wörter etc.) von hier aus starke Reaktionen aus. Negative bis traumatische Erfahrungen von früher können uns später bzw. im heute weiter triggern und bestimmte Gedanken und Gefühle aktivieren, die dann in ein bestimmtes (unkontrollierbares) Verhalten (Reaktionen) münden.
Werden wir aufgrund eines (negativ stimulierenden oder ggf. sogar völlig neutralen) neuen Reizes (z.B. konkretes Verhalten eines Kollegen) unbewusst an einen alten Reiz (z.B. Verhalten der Eltern oder des Ex-Partners) erinnert, werden wir durch das ggf. sogar relativ neutrale Verhalten des aktuellen Kollegen derart getriggert als beträfe es uns selbst in früheren (negativ empfundenen oder traumatisch erlebten) Situation mit dem Ex-Partner oder den Eltern, so dass uns bestimmte Dinge oder Verhalten, die/das uns eigentlich selbst nicht betroffen machen sollten, weil es uns selbst gar nicht betrifft, trotzdem derart erregen, dass Gefühle von früher in uns hochkochen und so z.B. zu destruktiven Gedanken und negativen Gefühlen führen, welche dann in destruktives Reaktionsverhalten münden können oder zu psychischen Problemen führen können, obwohl uns das neu Erlebte aus objektiver Sicht selbst eigentlich gar nicht betrifft und gar nicht interessieren müsste.
Doch wir sind dann "interessiert", weil wir uns selbst betroffen bzw. einbezogen bzw. involviert fühlen. Ein solches Involvement steht für Betroffenheit, aber nicht nur im Sinne von (selbst) betroffen sein, sondern von sich betroffen FÜHLEN, obwohl man selbst als Person selbst physisch eigentlich gar nicht betroffen ist. Doch es kommt einem so vor. Es fühlt sich so an - und man kann nichts dagegen tun. Es passiert einfach.
So bekommen selbst neutrale neue Reize / Informationen, die einen selbst vielleicht gar nicht direkt betreffen, spürbare Auswirkung auf einen selbst. Bei negativen Erfahrungen fühlt man sich dann selbst negativ betroffen (provoziert, ausgenutzt, geärgert, betrogen usw.). Dies obwohl z.B. das Verhalten einer anderen Person (z.B. ein Kollege, ein Fremder) objektiv betrachtet eigentlich gar nichts mit der eigenen Person zu tun hat.
Das Gefühl, selbst betroffen zu sein, geht zugleich mit der entsprechenden Wahrnehmung und der Bewertung der Realität einher. Wer sich unmittelbar eingebunden und betroffen fühlt, ist weniger in der Lage, sich sachlich-nüchtern zu distanzieren oder angemessene Vergleiche zu ziehen. Er bezieht das, was er neu erfährt, automatisch auf sich selbst. Dies kann geradewegs wahnhafte bis paranoide Auswüchse annehmen. Unter einem Wahn versteht man eine irreale Überzeugung, die aber nach objektiv messbaren Aspekten nicht zutrifft, an welcher der Betroffene jedoch unbeirrt festhält, obgleich diese nicht mit der der objektiv nachprüfbaren Realität übereinstimmt.
Obwohl dies vielleicht gar nicht der Fall ist, sind sich die Betroffenen selbst hingegen sicher, dass selbst neutrale Informationen ihnen gelten und sie persönlich betreffen. Wahnhaft oder paranoid kann sich im Prinzip jeder Mensch im Alltag zeigen, ohne das dies eine Erkrankung darstellt. Zumeist basiert ein solches nicht krankes wahnhaftes oder paranoides Verhalten auf bestimmten Ängsten und Erwartungshaltungen, aber eben auch auf Erfahrungen. Waren bestimmte Erfahrungen negativ, dann decodieren wir auch neue Informationen ehe negativ bzw. argwöhnisch.
Sind wir durch irgendetwas (z.B. ein bestimmtes erhalten) traumatisiert, überinterpretieren wir bestimmtes Verhalten oder interpretieren bestimmtes Verhalten negativ auf uns bezogen. Die entsprechende Wahrnehmung von Informationen erfolgt dann z.B. mit dem sogenannten Beziehungs-Ohr über die Beziehungs-Ebene (Schulz von Thun), so wie dies z.B. bei der Borderline-Symptomatik der Fall ist, was dann wiederum zu ungünstigen bis falschen Verhaltens-Reaktionen oder zu destruktivem Verhalten führt, was ein neutrales (nicht involviertes) Umfeld dann stark irritiert oder verletzen kann.
Es kommt zu inneren und äußeren Konflikten. Ggf. kommt es zur Selbstverletzung / Selbstschädigung, weil ein geeignetes Ventil für die Entlastung der hochgekommenen negativen Gefühle aufgrund Erinnerung an nicht bewältigte traumatische Erfahrungen fehlt.
Wer betroffen ist, weil er von negativen oder neutralen Reizen, die auf negative bis traumatische Erinnerungen treffen, getriggert wird, wird aktiviert und durch sein Unterbewusstsein quasi ferngesteuert - und beginnt, sich in einer gewissen Art und Weise zu verhalten, obwohl dies den Aktivierten selbst gar nicht bewusst ist.
Involvement erregt und aktiviert unser zentrales Nervensystems über physische Reize der Sinnesorgane, die unbewusst zu entsprechenden Emotions- und Kognitions-Prozessen führen. Im negativen Sinne können so auch negative Emotionen und Kognitionen aktiviert werden z.B. bei - durch entsprechende Sinnesreize hervorgerufene - Erinnerung an tief sitzende und ggf. verdrängte negative bis traumatischer Erfahrungen, welche die aktivierten Personen dann ggf. mit etwas ganz anderem verbinden. Das Ganze erfolgt wie beim Klassischen Konditionieren (Lerntheorie von Iwan Petrowitsch Pawlow).
Klassisches Konditionieren beschreibt einen Prozess, bei dem ein neutraler Reiz (NS) mit einem unbedingten Reiz (US) kombiniert wird, um eine bedingte Reaktion (CR) hervorzurufen. Dies geschieht, indem der neutrale Reiz mit dem unbedingten Reiz assoziiert wird, sodass die natürliche Reaktion auf den unbedingten Reiz auch durch den neutralen Reiz ausgelöst werden kann.
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Bei manchen Menschen sind die Auswirkungen bzw. Folgewirkungen einer traumatische Erfahrung derart stark, dass sie an einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leiden.
Bei all diesen Menschen geht es um Erlebnisse oder Erfahrungen, die sie zuvor nie erlebt haben und sie sie nach ihrer entsprechenden Erfahrung nicht adäquat verarbeiten konnten, da sie aufgrund eines Schocks unfähig waren oder sind, sich mit ihren Erinnerungen zu konfrontieren und entsprechend auseinanderzusetzen, weshalb sich daraufhin intrusive Symptome (wiederkehrende und angsterfüllte Erinnerungen, Träume, Albträume, Dissoziationen, vorübergehender Bewusstseinsverlust, psychisches Unwohlsein, Vermeidung aller Situationen, die auch nur die geringste Beziehung zu diesem Erlebnis haben und intensive physiologische Reaktionen) zeigen, die mit dem traumatischen Erlebnis in Zusammenhang stehen.
Intrusiv kommt von Intrusion. Damit bezeichnet man in der Psychotraumatologie das häufig durch einen Schlüsselreiz (Trigger) unkontrollierbar wiederkehrende, quälend ins Bewusstsein drängende Wiedererinnern und Wiedererleben von traumatischen Ereignissen und Situationen oder Beschäftigen mit damit in Verbindung stehenden, ungeklärten schmerzhaften Fragen und Gedanken, die durch die tiefe seelische Erschütterung durch das Trauma oder die dadurch zerstörten Grundüberzeugungen aufgeworfen wurden.
Dabei werden in der Regel auch die mit diesem Ereignis verbundenen, belastenden emotionalen Zustände reaktiviert. Intrusionen können auch unerwartet und ohne bewusst wahrnehmbaren (‚subliminalen‘) äußeren Schlüsselreiz (Trigger) auftreten und entziehen sich der willentlichen Kontrolle, weshalb sie emotional und physiologisch sehr belastend sind und mit vegetativer Übererregung (Hyperarousal) und starker Stressbelastung, Herzrasen, oft auch Schweißausbrüchen, Atembeschwerden, Zittern bis hin zu Panikattacken und Angina Pectoris verbunden sind.
Im Gegensatz zu einem sogenannten Flashback, der eine besonders heftige Form der Intrusion darstellt und bei der der Betroffene plötzlich und mit voller Wucht ganz und gar in das Wiedererleben der traumatischen Situation hineingerissen und überwältigt wird und sie nochmals mit allen Sinneseindrücken durchlebt, als würde sie gerade erneut real stattfinden und dabei die Umgebungswahrnehmung, Ansprechbarkeit und Realitätskontrolle zeitweise völlig verliert, kann der Betroffene bei einer Intrusion die Umgebungswahrnehmung, Ansprechbarkeit und Realitätskontrolle zumeist noch eingeschränkt aufrechterhalten.
Intrusionen entziehen sich der willentlichen Kontrolle und überwältigen die betroffene Person, die so immer wieder in die traumatischen Ereignisse hineingezogen wird und diese vollständig oder in wesentlichen Teilaspekten mit vielen Einzelheiten quälend wieder erlebt. Dieses Wiedererleben kann Gedanken, Bilder, andere Sinneswahrnehmungen, wie Geräusche, Sprache, Schreie, Gerüche, Geschmack, Schmerzen und andere Körperempfindungen und Wahrnehmungen, sowie Emotionen umfassen, wobei die verschiedenen Sinnesmodalitäten unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Kinder können das traumatische Geschehen dabei im Spiel reinszenieren. Dabei kann der Betroffene das Auftreten und den Ablauf einer Intrusion nur sehr beschränkt beeinflussen. Häufig wechseln sich Intrusion und emotionale Taubheit ab.
Eines der diagnostischen Kriterien im DSM-V (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) für die Diagnose einer PTBS ist die Unfähigkeit, sich an bestimmte relevante Aspekte des traumatischen Ereignisses zu erinnern. Dieses Symptom wird auch als dissoziative Amnesie bezeichnet. Obwohl es scheint, als wären die Erinnerungen überhaupt nicht vorhanden, schlummern sie tief in den Betroffenen und können deren Gefühle und Verhalten erheblich beeinflussen (z.B. durch Vermeidung von Orten, die mit der unbewussten Erinnerung an das verdrängte Erlebnis in irgendeinem Zusammenhang stehen, obwohl es keine bewusste Erinnerung an das konkrete traumatische Ereignis gibt).
Zu den häufigsten Symptomen, die Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung am meisten beeinträchtigen, zählen Vermeidungsverhalten, Unterdrückung von Emotionen, Hyperaktivierung, das Wiedererleben von Ereignissen und intrusive Erinnerungen. Darüber hinaus erleben die Betroffenen bei den letztgenannten Symptomen das traumatische Erlebnis trotz Erinnerungslücken erneut. Das Wiedererleben bestimmter Details oder einzelner Szenen des Ereignisses kann in Form von Albträumen, intrusiven Erinnerungen oder Flashbacks (Rückblenden) erfolgen, die weder kontrolliert noch verhindert werden können.
Bei diesen Flashbacks handelt es sich um keine Erinnerungen wie dies bei Intrusionen der Fall ist. Wenn jemand einen Flashback erlebt, verliert er dabei jegliches Zeitgefühl. Für die Betroffenen fühlt es sich so an, als würden sie das traumatische Erlebnis erneut durchleben. Dies kann selbst auf Basis kleinster neutrale Reize auftreten.
Eine posttraumatische Belastungsstörung hat zudem Auswirkungen auf das Gehirn der Betroffenen. Es kann passieren, dass sie eine Amnesie (Gedächtnisverlust) erleiden, welche eine Desorganisation oder Fragmentierung des Gedächtnisses oder ein komplettes oder partielles Vergessen zur Folge haben kann.
Durch eine PTBS kann allerdings auch eine Hypermnesie (verstärkte Erinnerungsfähigkeit) auftreten, bei der es zu intrusiven Erinnerungen, Flashbacks und Albträumen kommt. Hypermnesie (von griechisch mnesis = Erinnerung) bedeutet eine stärkere Erinnerungsfähigkeit. Von einer Hypermnesie wird gesprochen, wenn sich Personen zu einem späteren Zeitpunkt an mehr erinnern als zu einem früheren. Auch im Zusammenhang mit einer Hypnose spricht man von Hypermnesie, wenn sich der Hypnotisand an Ereignisse erinnert, die er nicht bewusst wahrgenommen hat oder die er geglaubt hat, vergessen zu haben.
In seiner Traumdeutung fasste Sigmund Freud einige hypermnestische Träume verschiedener Autoren zusammen. In diesen Träumen erscheinen dem Träumer Personen, Ereignisse oder Gegebenheiten, welche dieser scheinbar noch nie gesehen hat. Es stellte sich jedoch heraus – manchmal auch erst nach Jahrzehnten, dass die Träumer die Personen, Ereignisse oder Gegebenheiten, die sie scheinbar noch nie gesehen haben, doch schon vor dem Traum kannten bzw. doch bereits erlebt hatten. Dadurch zeigte Freud, dass sich Menschen in Träumen an Dinge erinnern können, die im Wachsein nicht in ihrem Bewusstsein haben, die dennoch aber in deren Unbewussten gespeichert sind. Auch stellte er fest, dass es häufig Details waren, die bereits beim Erleben nicht bewusst wahrgenommen wurden.
Amnesie und Hypermnesie können auch gleichzeitig auftreten, was davon abhängt, was der Betroffene konkret erlebt und vergessen hat.
Bei einem schweren Trauma und einer posttraumatischen Belastungsstörung ist das normale Abrufen traumatischer Erinnerungen eher sehr schwer. Denn es ist unmöglich, schreckliche Erlebnisse in normale Glaubens-, Anschauungs- und Bedeutungssysteme zu integrieren, weshalb sich traumatische Erfahrungen auf andere Weise abspeichern, was dazu führt, dass sie sich vom Bewusstsein trennen und die Erinnerungs-Fragmente außerhalb der Kontrolle an den Rändern des Bewusstseins abgelegt werden, wobei sich eine zeitliche Distanz auf das Erinnerungsvermögen positiv auswirken kann.