Wissen: Soziale Wahrnehmung

Beeinflussung durch soziale Informationen

Psychologisches Wissen zum Thema Soziale Wahrnehmung

Kurzerklärung

Soziale Wahrnehmung bezieht sich auf die Filterung, Enkodierung und Interpretation von Informationen durch andere Menschen und die Beeinflussung dieser Prozesse der vorgenannten individuellen Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung auf den Einzelnen.

 

Perzeption sozialer Informationen

Soziale Wahrnehmung ist ein Teil der sozialen Kognition, das die Perzeption sozialer Informationen beschreibt, also ihre Filterung, Enkodierung und Interpretation und die Beeinflussung dieser Prozesse durch Artgenossen.

 

Unter Perzeptionen werden unbewusste Prozesse individueller Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung verstanden, die im Bewusstsein des Informationsempfängers Vorstellungsbilder (images) von wahrgenommenen Teilaspekten der Wirklichkeit entstehen lassen.

 

Perzeption bezeichnet die Gesamtheit der Vorgänge der Wahrnehmung und den Inhalt der Wahrnehmung selbst. Der Prozess der Perzeption bewirkt, dass die von außen kommenden Informationen im Erkenntnissystem des Informationsempfängers unwillentlich in einer bestimmten Weise strukturiert und eingeordnet werden. 

 

Soziale Wahrnehmung

Soziale Wahrnehmung ist die Fähigkeit, aus dem Datenstrom der Reize sozial relevante Perzepte zu konstruieren und ihnen Bedeutung zu geben, um zu einem Verständnis der anderen Individuen, Gruppen, des Selbst und der eigenen Rolle in einer Gruppe zu gelangen. Soziale Wahrnehmung basiert auf sozialen Einflüssen auf die Perzeption (siehe sozialer Einfluss).

 

Sozialer Einfluss bedeutet, dass unser Denken, Fühlen und Verhalten sowie unsere Meinungs- und Urteilsfindung durch externe Faktoren (passiv wie aktiv) massiv beeinflusst wird. Dazu zählt allein die tatsächliche, vorgestellte oder implizite Anwesenheit anderer. Die tatsächliche, vorgestellte oder implizite Anwesenheit von Autoritäten verstärkt diesen Effekt weiter (siehe Milgram-Experiment von 1963) .

Oft erfolgt diese Beeinflussung von außen sehr subtil (Subtile Einflussnahme), zum Beispiel durch bestimmte Konventionen, soziale Erwartungen, den kulturellen Kontext etc., aber auch gezielt - zum Beispiel über bewusste direkte Überzeugungsversuche oder mittels - den Rezipienten zumeist völlig unbewussten - gezielten Beeinflussungsstrategien und bestimmte Argumentationstechniken. Unterschieden wird zwischen normativen und informativen Einflüssen.

 

Normative und informative Einflüsse

Soziale Einflüsse auf die Perzeption werden unterschieden in normative und informative Einflüsse. Normativ sind Einflüsse, die im Wunsch begründet sind, die Regeln, Normen und Tabus einer Gruppe zu beachten. So passten die Teilnehmer am Konformitätsexperiment von Asch ihre Wahrnehmungen immer mehr jenen der Anderen an und behielten diese Überzeugungen bei, selbst als die Anderen nicht mehr anwesend waren. Informativ sind Einflüsse, die im Mangel an eigenem Wissen begründet sind. Die Teilnehmer an Sherifs Experiment mit dem autokinetischen Effekt passten ihre Wahrnehmungen immer mehr jenen der anderen an, da sie selbst über keinerlei Informationen verfügten.

 

Hintergrund der sozialen Wahrnehmung

Menschen stehen im Leben nie allein. Wir stehen und handeln stets in einem sozialen Kontext - ebenso nehmen wir alles in einem sozialen Kontext wahr. Wir beobachten andere und das, was sie tun, schauen uns Dinge ab und lernen - allein für uns durch andere oder unmittelbar in Gruppen und Gesellschaften, in denen wir interagieren und von denen wir in irgendeiner Art und Weise abhängig sind oder uns abhängig machen.

 

Dabei sind wir im Zusammenspiel mit anderen stets bestrebt, ein eigenes Bild von uns zu konstruieren, zu modellieren oder zu festigen (Selbstbild). Ebenso sind wir bestrebt, andere Menschen einzuschätzen und ihre Person sowie ihr Verhalten mit uns selbst und unserem eigenen Verhalten zu vergleichen. Dadurch manifestiert sich ein bestimmtes Bild von uns (Selbstbild) und von anderen (Fremdbild), wodurch zugleich auch unser Bild von dieser Welt (Weltbild) entsteht. Die Vermutungen, Annahmen und Unterstellungen wie andere wohl über uns selbst denken, bezeichnet man als Metabild.

 

Wie bereits erwähnt, bilden wir uns einen Eindruck von anderen Menschen und ziehen daraus Rückschlüsse auf uns selbst. Bei der Einschätzung anderer Menschen schließen wir allein schon aus nonverbalem Verhalten oder bereits aus Unterlassen und Abwesenheit auf die Einstellung anderer uns selbst gegenüber und leiten daraus Rückschlüsse ab, die nicht selten falsch sind: Entweder weil wir sie falsch übersetzen bzw. falsch interpretieren oder weil wir sie prinzipiell annehmen (Annahme) und unterstellen (Unterstellung) und sie uns somit einbilden (Einbildung).

 

Aus diesen Annahmen, Unterstellungen und Einbildungen leiten wir alles, was wir auf uns und andere beziehen, ab und formen damit unser Selbst- und Fremdbild. Auch überlegen wir stets, um was für ein Typ Mensch es sich bei anderen handelt. Dazu bilden und verfolgen wie naive subjektive bzw. implizite Persönlichkeitstheorien, passen daran unser Rollenverständnis an und versuchen Menschen in unserem Gehirn bestimmten Schubladen, Typisierungen, Klassifizierungen und Rollen (z.B. Stereotype Menschenbildannahmen, Persönlichkeits-Typen) zuzuordnen, obwohl dies alles sehr subjektiv und stark verallgemeinert ist. 

 

Dazu nutzen wir auch unsere Intuition, unsere Vorstellungskraft (Phantasie) und unsere vermeintlichen Fähigkeiten, andere Menschen zu erkennen, zu erklären und zu durchschauen. Diese vermeintliche Fähigkeit nennen wir Menschenkenntnis.

 

Zugleich versuchen wir, Zusammenhänge zu attribuieren (sogenannte Attributionsprozesse, aus denen ebenfalls Fehler resultieren, sogenannte Attributionsfehler). Wir versuchen Zusammenhänge (entsprechend unserer eigenen "Logik") entweder abzuleiten oder selbst zu konstruieren, um zu erklären, warum sich Menschen in einer bestimmten Art verhalten und warum man sich selbst in einer bestimmten Art und Weise verhält. Aus diesen vielen Gedanken, Annahmen und Unterstellungen leiten wir unser Selbst- und Fremdbild, unser Weltbild und damit sämtliche Urteile und Entscheidungen ab.

 

Bei den Gedanken, die man sich über sich selbst macht, können zusätzlich insbesondere kognitive Dissonanzen das Bild enorm trüben. Bzw. sorgen wir selbst dafür, dass unser Weltbild nicht ins Wanken gerät und konstruieren uns eigene Erklärungen, die unser Tun und Handeln vor uns selbst rechtfertigen (Siehe "Effekt der kognitiven Dissonanz-Reduktion" und "Selbstwert-Effekt" bzw. "Selbstwertdienliche Verzerrung")

 

Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung

Persönliche und soziale Faktoren lösen bestimmte Erwartungen aus, die zur Aufstellung bestimmter Hypothesen führt z.B. "andere bzw. bestimmte Menschen sind mir feindlich gesinnt". Derartige Erwartungshypothesen beeinflussen die eigene Wahrnehmung enorm. Sie stellen eine regelrechte Leitorientierung für die Wahrnehmung dar und entscheiden darüber, was überhaupt (selektiv) wahrgenommen wird und wie das Wahrgenommene (vor-)interpretiert wird.

 

In vielen Fällen nehmen Menschen aus der Masse der realen Umweltreize nur diejenigen wahr, die ihren Hypothesen entsprechen. Reize, die den eigenen Erwartungen und Hypothesen widersprechen, werden nicht wahrgenommen, abgelehnt, abgewertet, umgedeutet, verzerrt oder verfälscht.

 

Je stärker eine Hypothese ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie aktiviert wird, desto weniger Informationen werden benötigt, um sie für sich zu bestätigen. Entsprechend hoch muss die Anzahl widersprechender Informationen sein, damit sie widerlegt werden kann. Manchmal gelingt es nie, einen Menschen von seinen Fehlwahrnehmungen und daraus abgeleiteten Fehlannahmen abzubringen.

 

Nachfolgend finden Sie einige beispielhafte Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler, die mit der sozialen Wahrnehmung im Zusammenhang stehen oder daraus abgeleitet werden können:

 

Stereotype + Soziale Stereotype

Bei der Beobachtung, Einschätzung und Beurteilung anderer Menschen haben Menschen bereits vorgefasste Meinungen über die Menschen als Menschen-Typ. Es besteht geradewegs ein Hang zur Einstufung von Menschen in bestimmte Typen, Menschenbilder, Gruppen, Rollen, Hierarchien, Klassifizierungen, Zertifizierungen und Normen. Besonders deutlich wird dies bei der Beobachtung, Einschätzung und Beurteilung von Menschen aus ganz bestimmten sozialen Gruppen (Soziale Stereotype). Menschen haben bereits vorgefasste Meinungen über diese sozialen Gruppen. Klassifizierungen, Menschenbild- und Persönlichkeits-Typ-Annahmen und Klassifizierungen können zwar hilfreich sein, werden jedoch der Realität und dem Kenntnisstand der Psychologie nicht wirklich gerecht. Sie führen häufig zu gravierenden Fehlwahrnehmungen, Fehlbeurteilungen und Fehlentscheidungen (Detail-Infos). 

 

Stereotypisierte Kopplung

Hier werden Charaktereigenschaften, die in keinem real abhängigen Zusammenhang stehen, mit einer entsprechend logisch scheinenden unterstellten Annahme und Erwartung automatisch miteinander verknüpft. Wer z.B. sauber und gepflegt ist, ist auch höflich. Wer höflich ist, ist auch gebildet. Wer eine Brille trägt, ist intelligent, Wer einen Bart trägt, ist konservativ. Wer konservativ aussieht, arbeitet langsamer etc. Da die Stereotypisierte Kopplung auf einer unterstellten Erwartung basiert, zählt sie auch zu den Erwartungsfehlern. Darüber hinaus zählt sie zu den impliziten Persönlichkeitstheorien.

 

Hierarchie-Effekt

Der Effekt basiert sowohl auf der sozialen Wahrnehmung als auch auf Stereotype selbst. Er spielt im Personalwesen - aber auch in vielen anderen Lebensbereichen (von der Kreditvergabe bis zur Partnerwahl) eine entscheidende Rolle. Der Effekt besagt, dass Menschen (z.B. Mitarbeiter eines Unternehmens) höherer Hierarchie-Stufen (Positionen im Unternehmen) grundsätzlich anders beobachtet, beurteilt und bewertet werden als Vertreter unterer hierarchischer Stufen.

 

Es wird also davon ausgegangen, dass Menschen höherer Hierarchien automatisch besser sind. Bei dieser Menschenbildannahme, die zugleich eine bestimmte Erwartung produziert, wird davon ausgegangen, dass in gehobenen Positionen ausschließlich gute bzw. sehr gute (z.B. intelligentere, zuverlässigere, engagierterer, ehrlichere usw.) Menschen bzw. Mitarbeiter zu finden sind, weil man meint, sie hätten es sonst gar nicht bis in diese Positionen gebracht.

 

Im Umkehrschluss wird stigmatisierend davon ausgegangen, dass Angehörige unterer Hierarchien automatisch schlechter sind. Beobachtungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsraster werden entsprechend angepasst. Eine weiterer Fehler,

der auf stereotypen Annahmen und daraus resultierenden Eigenschafts-Erwartungen beruht, ist die...

 

Social Role Effect

Da in den unterschiedlichen Gesellschaften die unterschiedlichen Geschlechter verschiedene soziale Rollen einnehmen, werden bestimmte geschlechtsspezifische Erwartungen (Rollenerwartungen) gestellt. Diese Erwartungen beeinflussen das Verhalten in Richtung der entsprechenden Erwartung. Aus dem Social Role Effect leitet sich auch die Gender-Theorie ab.

 

Ähnlichkeitsfehler (Selbsterkennungs-/Sympathie-Fehler)/ (Sympathie-/Ähnlichkeitsfehler)

Bei der Wahrnehmung anderer Menschen nimmt man sich selbst als Bezugsrahmen. Nimmt man bei einem Menschen eine Ähnlichkeit (äußere Erscheinung, Kleidungs-Stil, Interessen, Herkunft, Einstellung, Gesinnung, Weltanschauung etc.) mit der eigenen Person wahr, führt dies zu einer Beurteilung entsprechend dem eigenen Selbstbild, das zumeist positiv ist.

 

Projektionsfehler

Völlig unbewusst neigen Menschen bei der Einschätzung anderer dazu, ihre eigenen Einstellungen, Ansichten, Erfahrungen, Interessen, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Wünsche und Motive in andere hineinzuprojizieren und das, was sie selbst denken und fühlen in ihrer Vorstellung auf andere zu übertragen bzw. anderen zuzuordnen. Dabei wird übersehen oder vergessen, dass andere Menschen völlig andere Einstellungen, Ansichten, Erfahrungen, Interessen, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Wünsche und Motive und Motive haben. Von sich selbst auf andere zu schließen, erzeugt enorme Fehler in der Einschätzung und Beurteilung anderer Menschen. 

 

Attributionsfehler (Fundamentaler Attributionsfehler, Korrespondenzverzerrung, ultimativer Attributionsfehler)

Der Attributionsfehler beschreibt die Tendenz von Beobachtern, die beobachteten Personen selbst als Ursache für die Handlungen der beobachteten Personen zu sehen. Es besteht eine Neigung, den Einfluss von Persönlichkeitseigenschaften, Einstellungen und Meinungen auf das Verhalten zu überschätzen und äußere Faktoren bzw. Einflüsse zu unterschätzen. Dispositionale Faktoren werden überbewertet, gleichzeitig werden situationale und externe Faktoren unterbewertet.

 

Menschenkenntnis

Menschenkenntnis basiert auf einer Menschenbildannahme, welche zugleich ein Vorurteil ist. Wenn wir behaupten, "Menschenkenntnis" zu besitzen, ist das objektiv gesehen, leider so, als würden wir behaupten, Gedanken lesen zu können... (Detail-Infos)

 

Anwesenheitsfehler

Die reine Anwesenheit anderer Personen beeinflusst die Beobachtung und Beurteilung einer beobachteten Person oder eines Gegenstandes. Besonders stark erfolgt die Beeinflussung dann, wenn es sich um Personen handelt, zu denen ein Bezug besteht (Bezugspersonen)

 

Bezugspersonen-Effekt

Bezugspersonen sind Menschen oder Gruppen, zu denen ein Beobachter, Beurteiler oder Entscheider einen bestimmten Bezug bzw. ein "Social Involvement" hat. Der Bezugspersonen-Effekt besagt, dass der Beurteiler seine Bewertung auf die Einstellung, Erwartung, Wünsche und Bedürfnisse dieser Bezugspersonen oder dieser Bezugspersonengemeinschaft ausrichtet.

 

In der Regel geschieht dies völlig unbewusst, allein schon deshalb, weil der Mensch ein "Herdentier" ist und stets bestimmten gesellschaftlichen Normen bzw. Gruppennormen unterliegt, in die er direkt oder indirekt in irgendeiner Art und Weise eingebunden oder sozialisiert ist.

 

Die Ausrichtung der Beurteilung in Richtung der Bezugspersonen kann aber auch bewusst geschehen z.B. um in einem guten Licht zu stehen, es anderen recht zu machen oder um sympathisch zu erscheinen oder aber umgekehrt, um sich nicht unbeliebt zu machen oder um Diskussionen und Unstimmigkeiten zu vermeiden.

 

Halo-Effekt / Hof-Effekt / Überstrahlungs-Effekt

Mit dem Halo-Effekt wird das Phänomen beschrieben, dass eine bestimmte Eigenschaft einer Person, die wahrgenommen wird, alle anderen Eigenschaften dieser Person so stark überstrahlt, dass das Gesamtbild völlig verzerrt wird. Von einer oder wenigen bekannten Eigenschaften einer Person (z.B. Verhalten, Daten) ziehen wir automatisch Rückschlüsse auf unbekannte Eigenschaften.