Einführung
Das Wort Stereotyp setzt sich aus zwei griechischen Wörtern zusammen: "steréos" bedeutet "starr" oder "fest" und "typos" bedeutet "Schlag" bzw. "Eindruck" und steht für "Muster" bedeutet. Ein
Stereotyp steht also für ein "festes Muster" und ist das Gegenteil von flexibler Individualität.
Früher wurde die Bezeichnung im Buchdruck verwendet und bezeichnete dort den Druck mit feststehenden, unveränderlichen Schriften bzw. vorgefertigte Drucktexte, die der schematischen Wiederholung dienen.
In der Psychologie steht der Begriff Stereotyp für die automatisch ablaufende schnelle und unreflektierte schematische Kategorisierung von Personen allein durch die Nennung des stereotypen Begriffs und das Abrufen verfestigter kollektiver Einordnungen und Zuschreibungen, die auch einen emotionalem Gehalt haben.
Stereotype - einfach erklärt
Stereotype Personen kennt jeder Mensch bereits aus der Schule: z.B. der "Klassenclown" oder der sogenannte "Streber". Einen typischen Streber stellt man sich mit einer Brille vor, der den ganzen Tag liest und lernt und seine Hausaufgaben immer 100 prozentig erfüllt. Ebenso kennen wir Stereotype in Bezug auf Geschlechter. Als diesbezügliches Stereotyp seien hier z.B. "Männer" genannt, die angeblich alle nur Fußball im Kopf haben. Auch gibt es Stereotype in Bezug auf Nationen bzw. Nationalitäten: "Der Deutsche", "die Polen" usw.
Während die Deutschen von Menschen anderer Nationen (zumindest früher vor dem Image-Abstieg seit 2015) pauschal als sehr pünktlich, ordentlich oder auch übergenau erachtet bzw. angesehen wurden, wurden Polen von Deutschen (früher) pauschal (aber witzig gemeint) mit männlichen Autodieben und fleißigen günstigen männlichen Handwerkern assoziiert, obwohl es in Polen natürlich auch Frauen und natürlich mehr unbescholtene Menschen gibt als Diebe. Ebenso ist klar, dass nicht alle Deutschen pünktlich oder ordentlich sind.
Doch stereotype Vorstellungen sind sehr pragmatisch, langlebig und nicht gerade unbeliebt, so dass sich bestimmte stereotype Auffassungen fest in unseren Köpfen fest verankern. Weil viele Menschen an Stereotypen festhalten und sie immer wieder bedienen, sind diese Stereotype fest in der Gesellschaft und Kultur verankert und werden von Generation zu Generation weitergegeben.
Hintergründe / Erklärungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln
Hintergrund 1 (Persönlichkeitspsychologie)
Menschen haben bestimmte Eigenschaften und Verhaltensweisen, die sie von anderen Personen unterscheiden und abgrenzen. Somit bilden sich bestimmte Denkmuster heraus, die wir von den Eigenschaften anderer haben.
Hintergrund 2 (Image-Psychologie / Wahrnehmungspsychologie)
Menschen haben eine bestimmte Vorstellung von einer Person oder Personengruppe - und auch von deren Eigenschaften.
Eine solche Einteilung ist aus Sicht der Wahrnehmungspsychologie aber recht oberflächlich, fehlerhaft und schnell überzogen. Es besteht die Gefahr von Wahrnehmungsfehlern.
Hintergrund 3
Viele Menschen reden gerne über andere. Zudem haben sie einen Hang dazu, Menschen gerne pauschal bestimmte Eigenschaften zuzuordnen.
Hintergrund 4 (Soziologie / Sozialpsychologie)
Menschen sind soziale Wesen und fühlen sich gerne einer bestimmten Gruppe zugehörig. Das gibt ihnen Sicherheit und Halt.
Ebenso haben Menschen - insbesondere Menschen in Gruppen - den Hang, sich von anderen Menschen bzw. Gruppen abzugrenzen. Durch Abgrenzung von anderen Gruppen erhöhen Menschen ihr Zugehörigkeits- und Selbstwertgefühl. Auch verstärkt sich das Gefühl von Sicherheit und Halt, wenn man man bestimmte ähnliche Denkmuster hat und die Umwelt und sich selbst selbst in bestimmte Raster einteilt, um zu wissen, wo man steht und um Bestätigung zu finden, dass die eigenen Denkmuster und Einteilungen auch zutreffen.
Hintergrund 5
Menschen streben nicht nur nach Klarheit bezüglich ihrer Gruppen- und Status-Zuordnung und ihres Selbstwertes, sondern oft auch nach Erhöhung ihres Selbstwertes. Dies erreichen sie durch
Abwertung anderer. Stereotype werden also auch bedient, um sich über andere zu erheben oder sich über sie lustig zu machen. Dadurch dass andere Personen oder Gruppen reduziert werden, will man
sich selbst aufwerten.
Hintergrund 6
Durch Stereotype und stereotypisierte Kopplungen, bei denen Stereotype automatisch auch bestimmte pauschale Eigenschaften zugeschrieben werden, entstehen Vorurteile und ein bestimmtes Image. Ein
Stereotyp ist jedoch von einem Image zu unterscheiden: Im Gegensatz zum Image einer Person, einer Personengruppe oder einer Organisation, das auch durch eigene Erfahrungen entsteht und gepflegt
wird, steht bei Stereotype aus wahrnehmungspsychologischer Sicht die Entstehung von Vorurteilen und Kategorien im Vordergrund.
Doch auch von einem "Vorurteil", einem "Klischee", einem "Stigma" ist ein Stereotyp abzugrenzen. Während Klischees, Vorurteile und Stigmata stets mit negativen Bewertungen und negativen Gefühlen einhergeht, stellen Stereotype lediglich eine Unterscheidung zum Ausdruck. Doch nicht alle sind dieser Auffassung:
Unterschiedliche Sichtweisen
Die automatische Aktivierung von Stereotypen spielt im Bereich der sozialen Kognition eine bedeutende Rolle.
Während Walter Lippmann, der Gründungsvater der Stereotypenforschung den Begriff Stereotyp im abwertenden Sinn gebraucht und als eine sachlich unbegründete und sozial schädliche Vorstellung erachtet, betont die heutige Stereotypenforschung die kognitive Komponente der Stereotype. Dabei hat sich gezeigt, dass die Stereotypengenauigkeit (stereotype accuracy), das heißt die Übereinstimmung von Stereotyp und Wirklichkeit auf Gruppenebene, tatsächlich sehr hoch ist.
Untersuchungen von Lee Jussim, Thomas R. Cain und anderen Forschern in den USA ergaben eine durchschnittliche Korrelation von Stereotypen mit der Wirklichkeit anhand von empirischen Befunden (psychologische Messungen, demographische und soziologische Daten) von r = 0,7 bei ethnischen Stereotypen (Schwarze, Weiße, Asiaten) und von r = 0,75 bei den Geschlechterstereotypen. Das bedeutet einen mittleren bis starken statistischen Zusammenhang von Stereotypen und Wirklichkeit. Der Einfluss der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit auf die Stereotype ist größer als der der Voreingenommenheit der Probanden oder der Effekt der sich selbsterfüllenden Prophezeiung. Die Stereotypengenauigkeit ist größer als die der Einschätzungen von Individuen über ethnische Gruppen bzw. die Geschlechter oder als die Vorhersagekraft von sozialpsychologischen Theorien.
Während folglich alte Ansichten - und auch die Wahrnehmungspsychologie - Stereotype mit Klischees, Vorurteilen und Stigmata gleichsetzt, was stets mit negativen Bewertungen und negativen Gefühlen einhergeht, stellen Stereotype nach moderneren Sichtweisen lediglich eine Unterscheidung zum Ausdruck. Dies wird mit der hohen Übereinstimmung von Stereotype und Realität begründet.
Trotz der besagten Stereotypengenauigkeit bzw. der hohen Übereinstimmung von Stereotype und Realität, erachtet die Wahrnehmungspsychologie Stereotype als einen typischen Wahrnehmungsfehler - eine Sichtweise, die nachfolgend ebenfalls erklärt und logisch nachvollziehbar begründet wird.
Denn im Gegensatz zum Image einer Person, einer Personengruppe oder einer Organisation, das auch durch eigene Erfahrungen entsteht und gepflegt wird, steht bei Stereotype aus wahrnehmungspsychologischer Sicht die Entstehung von Vorurteilen und Kategorien im Vordergrund. Demnach sind Stereotype vereinfachende Vorstellungen über Menschen (Menschenbildannahmen), welche die Wahrnehmung einer Person ebenso bestimmen wie die unzähligen sonstigen Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler, denen das menschliche Gehirn unterliegt.
Erwähnenswert ist, dass es in der Stereotypenforschung eigentlich nicht darum geht, den Wahrheitsgehalt von Stereotypen zu ermitteln oder zu widerlegen, sondern ihre Funktion und Wirkung in gesellschaftlichen Diskursen, die Genese, Funktion und Wirkung von Stereotypen bei kollektiver Identitätsbildung zu deuten.
Kritische Sicht in Bezug auf Stereotype
Manche behaupten, dass an Stereotypen nie etwas dran sei. Das ist aber nicht richtig: Die Untersuchungen von Lee Jussim, Thomas R. Cain und anderen Forschern in den USA ergaben eine hohe Korrelation von Stereotypen mit der Wirklichkeit anhand von empirischen Befunden (psychologische Messungen, demographische und soziologische Daten). Trotzdem macht man es sich schlichtweg zu leicht, sich einfach bestimmter Klischees und Vorurteile zu bedienen.
Auch wenn nachgewiesenermaßen etwas Wahres in ihnen steckt, so sind diese stereotypen Vorstellungen zumindest stark übertrieben, sehr verkürzt oder viel zu verallgemeinernd - und daher sehr oberflächlich. Denn Stereotype werden auf wenige einprägsame Merkmale reduziert und können so einem Menschen als Individuum nicht gerecht werden.
Zudem ist es aus Sicht der Ethik und Moral heute eher problematisch, Menschen - wie früher üblich - in eine "Schublade" zu stecken. Denn aus Sicht der Persönlichkeitspsychologie hat jeder Mensch viele Facetten seiner Persönlichkeit und lässt sich nicht auf ein paar einfache Beschreibungen reduzieren.
Dadurch dass andere Personen oder Gruppen über Stereotypisierung zur Aufwertung bzw. Erhöhung des eigenen Selbstwertes gerne reduziert werden, können Stereotype auch schnell gefährlich werden und mit Beleidigungen und Diskriminierungen von Personen und Gruppen einhergehen.
Wahrnehmungspsychologische Sicht: Stereotype als Wahrnehmungsfehler
Aus wahrnehmungspsychologischer Sicht basieren Stereotype und der kognitive Umgang damit auf einem "logischen Fehlers" (siehe Wahrnehmungsfehler).
Stereotype basieren auf Vorstellungen und Denk-Mustern, die fest im Gehirn verankert sind und in unseren täglichen Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsprozessen nicht mehr hinterfragt werden.
Insbesondere bei der Einschätzung und Beurteilung von Menschen aus bestimmten sozialen Gruppen haben Menschen bereits vorgefasste Meinungen über diese sozialen Gruppen (die Frauen, die Ausländer, die Ärzte, die Psychologen, die Chefs, die Manager, die Arbeiter, die Behinderten etc.). Im Kopf entstehen regelrechte Bilder, die die komplette weitere Wahrnehmung und das Denken beeinflussen, eine bestimmte Schublade öffnen und füllen und eine bestimmte weitere Denkrichtung vorgeben
Die Einschätzung auf Basis von Stereotype erfolgt automatisch und unbewusst, wird jedoch auch ganz bewusst vorgenommen, da Menschen einen Hang zur jeweiligen Einstufungen und Klassifizierung haben und - darüber hinaus - zur schnellen und einfachen (primitiven) Zuordnung. Dies erfolgt auf Basis eines primitiven Urinstinktes, der grundsätzlich erst einmal einen Sinn und Nutzen hat.
Dass unser Gehirn Menschen automatisch verschiedenen Kategorien zuordnet, ist eigentlich eine praktische Eigenschaft, welche das Gefühl der Zugehörigkeit und der Einschätzung des eigenen Standes ermöglicht und darüber hinaus automatisch regelt, was man in seiner Rolle oder Position besser tun oder unterlassen sollte. Insofern erleichtern Stereotype das Verhalten und das Reaktionsverhalten und gestalten Wahrnehmungs-, Denk, Entscheidungs- und Reaktionsprozesse um ein Wesentliches ökonomischer. "Ökonomisch" heißt jedoch nicht "immer richtig".
In der Steinzeit diente diese Fähigkeit dazu, sehr schnell Freund und Feind zu unterscheiden und bei der Begegnung mit anderen Menschen ebenso schnell mit Flucht, Verteidigung oder Angriff zu reagieren. In unserer heutigen modernen Zeit ist das Leben bzw. Zusammenleben jedoch viel komplexer und vielschichtiger. Daher sind Zuordnungen nach alten Steinzeit-Mustern teilweise auch nicht mehr stimmig - und daher nicht immer von Vorteil.
Dennoch denken und handeln wir immer noch so wie früher. Wir tun dies nicht nur unbewusst, sondern sogar sehr bewusst. Zudem besteht - wie in der Steinzeit - auch heute immer noch ein Hang zur Einstufung in bestimmte Typen, Menschenbilder, Gruppen, Rollen, Hierarchien, Klassifizierungen, Zertifizierungen und Normen, die nach wie vor darüber entscheiden, wer wir sind, wie wir anzusehen sind und wie wir uns anderen gegenüber verhalten sollen, können, dürfen - oder eben nicht.
An diese stereotype Vorstellung passen wir uns weitestgehend an, bewusst und unbewusst. Schließlich will z.B. ein Arzt auch gern als solcher wahrgenommen werden, weshalb er in Deutschland einen weißen Kittel trägt, ohne den er im Krankenhaus und selbst in seiner eigenen Praxis nicht "für voll" genommen würde. Bei Stereotypen handelt es sich jedoch nicht um ein Stigmata, weil der Kontext entscheidet. Der besagte Arzt würde im selben Kittel auf einer Autobahn-Toilette ein völlig anderes Bild erzeugen und dadurch auch ggf. anders bewertet und behandelt werden.
Insofern stehen Stereotype in einem engen Zusammenhang mit anderen weiteren Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehlern z.B. die Einschätzung nach der Kleidung. Es geht aber bei Stereotype nicht darum, wie oder als was man wirkt, sondern dass man z.B. als Arzt oder Toilettenmann oder als Mann oder Frau in ein bestimmtes Gruppen-Raster bzw. in eine Schublade gesteckt wird und dieser "Kategorisierung" dann bestimmte feste Eigenschaften zugeordnet werden, denen dann automatisch zugleich weitere Eigenschaften unterstellt werden (siehe: Stereotypisierte Kopplung).
Die Problematik der Stereotypisierung aus wahrnehmungspsychologischer Sicht
Der besagte menschliche Hang und Drang zur Kategorisierung und Einstufung ist ein regelrechter Trieb, der eigentlich erst einmal seinen Nutzen hat: Stereotype transportieren Einstellungen, bilden Werte und Normen und dienen zur Herstellung gesellschaftlicher Strukturen und Anerkennungs-Strukturen. Stereotype sind damit ein Instrument zur Herstellung von Ordnung.
Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Ordnung immer richtig ist (Wahrnehmungsfehler). Vieles wird übersehen und es kommt natürlich auch zu Fehleinschätzungen, allein aufgrund der Verallgemeinerung in der Kategorisierung und Bewertung von Menschen und Verhältnissen.
Durch ihre Einordnung in bestimmte „Schubladen“ (Schubladendenken) geben sie dem menschlichen Gehirn erst einmal einen Sinn, der u.a. in der schnellen Informationsverarbeitung und Handlungsfähigkeit liegt. Im Gegensatz zu Klischees, Stigmata und Vorurteilen sind Stereotype sehr stark von Rahmenbedingungen bzw. vom Kontext abhängig (Obiges Beispiel: Arzt im weißen Kittel in einem Krankenhaus + Arzt auf dem WC einer Raststätte) Ihre Aussagen sind allgemein und nicht speziell. Daher aber (selbst im jeweiligen Kontext) auch nie individuell und auf den Einzelfall bezogen.
Stereotype sind kulturell und sozialisationsabhängig unterschiedlich geartet bzw. ausgeprägt. In Deutschland ist der Hang, möglichst alles zu klassifizieren und zu zertifizieren z.B. sehr viel stärker ausgeprägt als in anderen Ländern, wo man sogar darüber schmunzelt - und es gibt Stimmen, die schmunzelnd verlauten lassen, dass es eigentlich sogar eine Prüfung als zertifizierter Diplom-Komiker geben müsse.
Fakt ist: "Ein Jäger" in Deutschland ist etwas völlig anders als "ein Jäger in England" oder "ein Jäger" in Kanada. Je nach Meinungsbildung, Wissen und Bildung formen wir uns in unserer Phantasie bzw. mit Hilfe unserer Vorstellungskraft bei den drei Jägern ein völlig unterschiedliches Bild, das sich (farblich, professionell und prüfungstechnisch, elitär oder natürlich - und auch von der Einschätzung von Persönlichkeit, Charakter, Aussehen, Kleidung und Sympathie völlig abhebt, obgleich es sich bei allen Dreien um "Jäger" handelt.
Während in Deutschland auf der einen Seite - auch staatlich - sehr stark klassifiziert und zertifiziert wird, besteht gleichzeitig ein starkes staatliches Engagement, bestimmte Stereotype zu negieren oder umzuinterpretieren. Ursächlich sind Gerechtigkeitsempfinden und Mitgefühl und daraus resultierendes soziales und politisches Engagement, zugleich aber auch die Verfälschung von Statistiken, nicht etwa aus betrügerischer Gesinnung heraus, sondern aufgrund der aus Stereotype resultierenden Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler.
Je nachdem, auf welcher Seite man steht, ergibt sich merkwürdigerweise ein völlig anderes Bild und sogar komplett andere Messwerte bzw. Zahlen. Keine Zauberei und keine bewusst betrügerische Tatsachenverdrehung, sondern Wahrnehmungsfehler, im konkreten Fall Stereotype und die darauf basierenden weiteren Fehler und Effekte.
Die Wertung selbst spielt keine Rolle. Weder ein pauschales Schlechtreden, noch ein Schönreden, noch ein Neutralisieren bestimmter Personengruppen-Stereotype steht in einem Verhältnis zur Realität und auch nicht zu dem, was vom Grundgedanken her eigentlich angestrebt wird, allein deshalb, weil es pauschal und auf Basis von Schubladen erfolgt, die man nachträglich nicht mehr umräumen kann, allein deshalb schon nicht, weil die anderen Schubladen verschlossen sind.
Bereits das Streben nach Gleichberechtigung und/oder Bevorzugung ganz bestimmter sozialer, kultureller und/oder politischer Schichten und Gruppierungen basiert auf genau eben diesen Stereotypen bzw. auf pauschalen Menschenbild- und Verhältnisannahmen (ohne individuelle Einzelfall-Prüfung) und fördert sie zugleich. Dies führt zu Privilegien, unterstellten Privilegien, Umschichtung von Privilegien, falschen Privilegien.
Was aus professioneller Sicht schizophren wirkt, ist sachlich-nüchtern betrachtet Wahrnehmung auf Basis von Stereotype. Die Folge: Das, was unserem Gehirn eigentlich Sicherheit geben soll, führt zu Unsicherheiten und sehr häufig zur Orientierung an anderen z.B. an den Stimmen und Meinungen der Presse.
Die Problematik der Stereotypisierung finden wir nicht nur in der Politik, sondern überall im täglichen Leben. Dies führt unter anderem dazu, dass bestimmte Menschen bevorzugt behandelt werden und andere eher benachteiligt. Andere wiederum behandeln (aufgrund ihrer eigenen Persönlichkeit und ihrer Ansichten) gerade Menschen bevorzugt, bei denen sie vom stereotypen Menschenbild her einfach stereotyp davon ausgehen, dass sie benachteiligt sind oder benachteiligt werden.
Im Umkehrschluss behandeln sie andere Menschen wiederum zu ihrem Nachteil, weil sie davon ausgehen, dass genau jene Menschen üblicherweise bevorzugt werden oder prinzipiell einen Vorteil haben. Folglich brauchen ihrer Sichtweise nach diese Menschen weder Hilfe noch Unterstützung und erst recht keine Bevorzugung. Vielmehr manifestiert sich das Bild, dass man diesen Menschen ihre vermeintlichen Vorzüge sogar weg nehmen oder sie gar bekämpfen müsse. Dies führt zu Mund-zu-Mund-Propaganda, übler Nachrede, Beschwerden, Klagen, Protesten, während es auf der anderen Seite zu sozialen Initiativen, Gesetzesänderungen, Vergünstigungen oder Bevorzugungen kommt.
Stereotype Wahrnehmung erfolgt unbewusst und bildet die Impliziten Persönlichkeitstheorien jedes Einzelnen. Auch die bewusste Nutzung stereotyper Vorstellungen und Muster ist allgegenwärtig: Subjektive Persönlichkeitstheorien und Persönlichkeitstests verwenden ebenso Stereotype wie Horoskope. Fast alle eignungsdiagnostische Verfahren erfolgen ebenso nach stereotypen Vorstellungen und Handlungsmustern wie die meisten Personalauswahlprozesse. Selbst in den meisten Vertriebsschulungen werden Kunden immer noch in eng umrissene Kunden-Typen klassifiziert.
Derartige Klassifizierungen können zwar hilfreich sein, werden jedoch der Realität und dem Kenntnisstand der Psychologie nicht gerecht. Insbesondere in der Beurteilung von Bewerbern, in Personalentscheidungsprozessen und im Verkauf sind die Fehler, die durch Stereotype erzeugt werden eklatant hoch und um ein Vielfaches höher als der Nutzen, den stereotypisiertes Wahrnehmen, Denken und Handeln in der Steinzeit hatte.
Stereotype beeinflussen Wahrnehmung und Handeln nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst. Sie nehmen - egal in welche Richtung ein Stereotyp geht - einen versteckten starken Einfluss auf professionelles Handeln und professionelle Entscheidungen. Dies betrifft sämtliche Lebensbereiche (Familien- und Sozialleben, Schule und Notengebung, Ausbildungs- und Berufswahl, Personalentscheidungen, Rechtsprechung, ärztliche Terminvergabe, Umgang mit Patienten, Behandlung und Pflege, Sonderrechte, Bevorzugung privilegierter Menschen, ebenso Bevorzugung nicht privilegierter Menschen, selbst eine Bestattung.
Egal in welche Richtung man Stereotype zu drehen, zu messen, auszulegen, zu negieren oder zu bevorzugen versucht: Sowohl Handlungen als auch Gegenoffensiven, sowohl Statistiken als auch Forschungsergebnisse, sowohl Rechtsbegehren als auch politische Debatten lösen allein durch die Nennung und das Aufzeigen von Stereotype oder das Zurückgreifen auf Stereotype einen starken Verzerrungseffekt aus, nur mit dem Unterschied, dass nun der Effekt mit System erfolgt (systematischer Verzerrungseffekt).
Insbesondere dann, wenn negative und positive Wertungen kommuniziert werden (z.B. geschlechtsspezifische Benachteiligung, religiöse oder kulturelle Ablehnung etc. ) wird nicht nur die Qualität der Wahrnehmung und Entscheidung beeinträchtigt, sondern zugleich das Wissen und die Wissenschaft, die ebenfalls dieser Beeinflussung daraus resultierenden Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehlern unterliegt. Stereotype führen stets zu Privilegien, egal wie man die Sichtweise dreht.
Stereotypisierte Kopplung
Ergänzend zu Stereotypen besteht der Hang und Drang bzw. der schematische Automatismus und Wahrnehmungsfehler der stereotypisierten Kopplung: Hier werden Charaktereigenschaften, die in keinem real abhängigen Zusammenhang stehen, mit einer entsprechend logisch scheinenden unterstellten Annahme und Erwartung automatisch miteinander verknüpft.
Wer z.B. sauber und gepflegt ist, ist der allgemeinen Auffassung nach zugleich auch höflich. Wer höflich ist, ist dann auch gebildet. Wer eine Brille trägt, ist intelligent. Wer intelligent ist usw. Da die Stereotypisierte Kopplung auf einer unterstellten Erwartung basiert, zählt die Stereotypisierte Kopplung nicht nur zu den logischen Fehlern, sondern auch zu den Erwartungsfehlern.
Zusammenhänge und Hintergrundwissen
Exkurs 1 zur stereotypisierten Kopplung: Logischer Fehler
Der Begriff "Logisches Denken" setzt sich aus den Begriffen "Logik" und "Denken" zusammen. "Denken" umfasst alle Vorgänge, die versuchen, aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen. Unter dem Begriff "Logik" der dem Altgriechischen entstammt, versteht man vernünftiges Schlussfolgern bzw. das Ziehen von Schlüssen aus Sachverhalten und Zusammenhängen auf Basis der Vernunft.
Logik bezieht sich auf das Erkennen und Bilden von Beziehungen und Zusammenhängen, von Möglichkeiten und Chancen, von Relevanzen, Gültigkeitsbedingungen und die Bildung passender Schlussfolgerungen.
Der Logische Fehler basiert auf unserem Denken und unserer Logik. Allein aufgrund der Annahme, dass bestimmte Informationen oder Merkmale (Persönlichkeitsmerkmale, Eigenschaften) miteinander verkoppelt sind, zumindest aber eine Verbindung besteht, unterliegen Menschen (z.B. ein konkreter Beobachter) der Tendenz, vermeintlich logisch zusammengehörende Merkmale ähnlich zu bewerten, von ihnen Rückschlüsse zu ziehen und weitere Zusammenhänge abzuleiten. Daraus leitet sich auch der sogenannte "Korrelationsfehler" ab, der ein "Logischer Fehler" ist.
Exkurs 2 zur stereotypisierten Kopplung: Korrelationsfehler
Korrelationsfehler (auch "Korrelations-Fehler" oder "Fehler aufgrund Korrelation von Informationen") basiert auf "Logik" und dem sogenannten "Logischen Fehler". Konkret geht es um falsche logische Informations-Verknüpfungen.
Bei einem Korrelationsfehler wird zu Unrecht eine logische Verbindung zwischen mehreren Informationen bzw. Beurteilungsmerkmalen angenommen. Der Beurteiler geht z.B. davon aus, dass zwischen zwei Informationen ein Zusammenhang besteht. Von diesem Zusammenhang leitet er eine neue Logik (Schein-Logik oder Fehl-Logik) ab und begründet darauf sein Urteil.
Beispiel: So hat z.B. (laut Nachrichten vom 10.09.2015 und 11.09.2015) der Ältestenrat des Bundestages den (eigentlich zuständigen) Bundesnachrichtendienst (BND) deshalb von der Aufklärung des vorausgegangenen Cyber-Angriffs auf die Computer des Parlaments ausgeschlossen, weil - neben dem Cyber-Angriff auf den Bundestag - auch Angriffe auf andere (z.B. auch privatrechtliche) Institutionen erfolgt sind.
Aufgrund beider Informationen, die hier a) in einen Zusammenhang gebracht werden oder b) ggf. einen tatsächlichen Zusammenhang darstellen wird nun ein neuer Zusammenhang konstruiert oder der vorausgegangene mögliche Zusammenhang negiert (z.B. Angriff eines fremden Geheimdienstes, hier konkret aus Russland).
Derartige Korrelationsbildung zählt zwar zu den gehirneigenen logischen Denkprozessen - aber leider geht diese Logik nicht immer auf. Im konkreten Fall ist es sogar extrem naiv, einen Zusammenhang zwischen der Cyber-Attacke und der Handlung eines fremden Geheimdienstes nur deshalb auszuschließen, weil auch andere betroffen sind. Aber es ist auch grundsätzlich naiv, so etwas auszuschließen. Letzteres wäre dann zugleich ein typisches Beispiel für den Heile-Welt Naivitätsfehler.
Der Korrelationsfehler erfolgt extrem häufig in vielen Bereichen, in denen Menschen und Sachverhalte beurteilt und entsprechende Entscheidungen getroffen werden müssen. Ganz bewusst wird der Korrelationsfehler u.a. in der Werbung, im modernen Neuromarketing und von Trickbetrügern (aus-)genutzt, was eigentlich jedem klar sein sollte.
Da der Korrelations-Fehler eine Art Illusion bildet, wird er in (u.a. der Sozialpsychologie, insbesondere in der Vorurteils-Forschung ) auch als "Illusorische Korrelation" bezeichnet und in verschiedene Korrelations-Typen unterteilt bzw. klassifiziert.
Exkurs 3 zur stereotypisierten Kopplung: Illusorische Korrelation
Illusorische Korrelation bedeutet, dass in der eigenen Erinnerung bzw. der eigenen Vorstellung Zusammenhänge (z.B. zwischen zwei Ereignissen oder zwischen Personen und entsprechenden Attributen) gesehen werden, die tatsächlich aber gar nicht wirklich vorhanden sind.
In der Sozialpsychologie und Vorurteils-Forschung wird die "Illusorische Korrelation" zu den sogenannten "Urteilsheuristiken" gezählt. Dabei werden unterschiedliche Korrelations-Typen unterschieden. Dazu zählen u.a. Illusiorische Korrelationen, die auf einer bestimmten Erwartung oder Erwartungshaltung basieren und zu einem sogenannten "Erwartungsfehler" führen.
Folglich besteht hier ein Zusammenhang zwischen Illusorischen Korrelationen und entsprechenden Erwartungsfehlern. Derartige "Erwartungsbasierte Illusionen" entstehen z.B. dann, wenn bestimmte erwartete Ereignisse, die einen vermuteten ursächlichen Zusammenhang erwartungsgemäß bestätigen sollen, stärker gewichtet werden als unerwartete Ereignisse, die der angenommenen Ursache widersprechen.
In der Wahrnehmung von Personen (Personenwahrnehmung) liegen u.a. sogenannte Stereotype zugrunde (Siehe auch: Stereotype Wahrnehmung). Zugleich ist dies z.B. der Grund, warum vermeintlich typisch weibliche Verhaltensweisen selbst dann häufiger Frauen zugeschrieben wird als Männern, wenn die objektiv Häufigkeit exakt gleich ist.
Eine weiterer Faktor für illusorische Korrelationen ist die eventuell ungleiche kognitive Verarbeitung vorhandener und fehlender Merkmale. Auch die Aufmerksamkeit spielt eine Rolle, wenn wir bestimmte Zusammenhänge in eine angenommene Verbindung bringen.
Sofern zusätzlich Informationen wahrgenommen werden, die dem Stereotyp widersprechen (z.B. "Das Blondinen-Girl mit der Eins in Latein."), ist das menschliche Gehirn bemüht, irgendeine Erklärung dafür zu konstruieren bzw. regelrecht zu erfinden (z.B. "Ihr Vater ist Pfarrer und er wird ihr geholfen haben"), selbst wenn diese Erklärung nicht den Tatsachen entspricht oder vollkommen an den Haaren herbeigezogen wird. Die Bildung derartiger Erklärungen zur "Rettung" der vermeintlich eigenen Logik erfolgt wiederum auf anderen logischen Zusammenhängen, die hier kurz erklärt werden sollen:
Stets ist der Mensch bestrebt, seine eigene Logik aufrechtzuerhalten und bei Entstehen möglicher Widersprüche und kognitiver Dissonanzen regelrecht zu retten. Das liegt auch daran, dass der Mensch den eigenen Selbstwert bzw. sein Selbstwertgefühl nicht beschädigen möchte. Das subjektive Gefühl einer solchen "Beschädigung" liegt bereits vor, wenn die eigene Logik in Frage gestellt würde.
Das Ziehen logischer Zusammenhänge zählt geradewegs zu den Grundprinzipien menschlichen Denkens und Handelns. Allein schon aus Grund des Strebens nach Logik und des Strebens nach Anerkennung aufgrund eigener logischer Schlussfolgerungen wäre das Selbstwertgefühl aus der subjektiven Selbstwahrnehmung heraus dann bereits beschädigt wenn die eigene Logik und die sich daraus ergebenen Schlüsse nicht richtig wären.
Im Zuge des Wirkungsprinzips der kognitiven Dissonanz-Reduktion greift der Mensch zu sogenannten "Selbstwertdienlichen Verzerrungen", die auch als "Selbstwert-Effekt" bezeichnet werden - und formt sich so eine neue Realität bzw. selbst konstruierte vermeintlich "logische" Zusammenhänge
Exkurs 4 zur stereotypisierten Kopplung: Kleber-Effekt
Der Kleber-Effekt basiert auf einem Logischen Fehler (siehe oben) und zugleich auf einer Art Erwartungsfehler. Was den Logischen Fehler anbetrifft, so unterliegt ein Beobachter bzw. Entscheider aufgrund der Annahme, dass bestimmte Merkmale miteinander verkoppelt sind und in einer logischen Verbindung stehen, der Tendenz, die für ihn logisch zusammengehörenden Merkmale ähnlich zu bewerten, von ihnen Rückschlüsse zu ziehen und weitere Zusammenhänge abzuleiten.
Anders als beim klassischen Logischen Fehler werden beim Kleber-Effekt keine Eigenschaften miteinander in Verbindung gebracht, sondern Erfahrungswerte auf Basis vorausgegangener Beobachtungen. Aus diesen Erfahrungen leitet der Beobachter bzw. Entscheider eine bestimmte Erwartung ab, die zu einer Prognose führt, die er für wahrscheinlich bzw. sicher hält.
Die meisten kennen den Ausspruch "Ich kenne meine Pappenheimer", was so viel heißt wie "genau wissen, was man von jemandem bzw. einer bestimmten Personengruppe zu erwarten hat" bzw. konkret "Wer sich bis jetzt verlässlich zeigte, wird sich immer wieder verlässlich zeigen." Der Spruch entstammt aus dem Dreißigjährigen Krieg und bezieht sich auf die Pappenheimer Kürassiere des gleichnamigen Regiments. Verbreitung erfuhr die Redewendung in abgewandelter Form spätestens durch Schillers Drama "Wallensteins Tod“.
Ähnlich wie Wallenstein oder Tilly dachte auch Napoleon hinsichtlich seiner Alten Garde 1815 bei Waterloo. Danach war nicht nur die Schlacht verloren, sondern auch Napoleon "weg vom Fenster". Schuld war der Kleber-Effekt. Er besagt, dass einmal eingefahrene(r) Ruhm und Ehre an den Betreffenden bzw. Beurteilten für immer haften bleibt und auch in Zukunft das gleiche Verhalten erwartet - und daher sicher vorausgesetzt werden kann, im Positiven wie im Negativen. Während Wallenstein den Ausspruch voller Bewunderung und Hochachtung tat, meint das z.B. die Lehrerin in der Schule ggf. eher kritisch z.B. wenn sie Schüler vor Klassenarbeiten nach Spickzetteln durchsucht.
Zugleich beschreibt der Effekt die Überschätzung bzw. Unterschätzung von Leistungen. Der Effekt zeigte sich nicht nur im Militärwesen (z.B. 1415 bei Acincourt oder bei Hitlers Russlandfeldzug etc.) - besondere Wirkung zeigt der Kleber Effekt auch in der Schule, im Arbeitsleben und bei Entscheidungen im Hinblick auf die Personalauswahl und die Personalentwicklung.
Ein beobachteter oder beobachtbarer Verlauf (z.B. Lebenslauf eines Bewerbers oder die Personalbeurteilungs-Vita eines Angestellten) prägt die Sicht des Beurteilenden bzw. Entscheiders so stark, dass er von seiner bisherigen, sichtbaren Einschätzung nicht mehr zurück will. Fälschlicherweise wird auf Basis sogenannter Menschenkenntnis und der daraus resultierenden Erwartung (Erwartungsfehler) davon ausgegangen, dass jemand, der z.B. früher zuverlässig war, sich automatisch immer wieder zuverlässig verhält oder jemand, der gute Leistungen zeigte, auch in Zukunft immer wieder gute Leistungen erbringen wird.
Man geht davon aus, dass Menschen, die früher gut waren nicht plötzlich oder später schlecht sind. Umgekehrt geht man davon aus, dass Menschen, die in der Vergangenheit negative Muster zeigten, nicht anders können, als sich immer wieder negativ zu zeigen, was sogar zur Bewahrheitung einer sogenannten Selbsterfüllenden Prophezeiung (Rosenthal Effekt) (siehe auch: Etikettierungs- und Stigmatisierungsfehler) führen kann, aber eben nicht zwingend muss.
Wer früher schlecht war, kann nach Ansicht von Menschen nicht plötzlich gut sein und selbst bei höchster Motivation und Anstrengung kann ein Mensch dem Glauben nach nicht wirklich deutlich besser werden. Dies kann zu einem Stigma führen und - sowohl für die beobachtete und bewertete Person als auch für den Beobachter und Entscheider - sehr negative Konsequenzen haben.
Exkurs 5 zur stereotypisierten Kopplung: Erwartungen / Erwartungsfehler
Sowohl eine bestimmte allgemeine Erwartungshaltung als auch bestimmte konkrete Erwartungen sowie das Maß dieser Erwartungen prägen die Tendenz und Ausprägung der Wahrnehmung sowie die entsprechende Einschätzung und Wertung. Unsere Erwartungen beeinflussen nicht nur die Informationsverarbeitung, sondern bereits die Güte der Informationsaufnahme bei der Beobachtung.
Konkrete Erwartungen stehen in einer Verbindung mit einer bestimmten (bewussten oder unbewussten) Erwartungshaltung sowie mit mit individuellen Wahrnehmungs- und Denkmustern, die sich auf das Erwartete und die Wertung des Erwarteten übertragen. Die Übertragung bezieht sich auf das Eintreffen der Erwartung sowie die Wertung des Erwarteten.
Individuelle Erfahrungen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen der Person, die etwas erwartet, spielen eine ebenso große Rolle wie die konkrete Ausprägung der jeweiligen Erwartung sowie der Glaube an die Erfüllung oder das eigene (sachliche oder naive) Weltbild in Sachen Erwartungs-Erfüllung an sich.
Erwartungsfehler treten auch in der sozialen Wahrnehmung auf. Siehe dazu u.a.: Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung, Stereotypisierte Kopplung, Kleber-Effekt usw.
Menschenkenntnis
Stereotype stehen in einem indirekten Zusammenhang mit dem, was man als "Menschenkenntnis" bezeichnet. Menschenkenntnis ist eine aus der Beobachtung und Einschätzung von Auftreten und Verhalten abgeleitete Menschenbildannahme und aus wissenschaftlich-psychologischer Sicht ein "Vorurteil", das auf stereotyper Wahrnehmung und stereotypen Kopplungen basiert (Detail-Infos).
Ängste
Stereotype stehen ebenfalls in einem indirekten Zusammenhang mit Ängsten. Dazu gehört der Respekt und die Angst vor bestimmten Menschen, Menschengruppen, Hierarchien etc., aber auch die Angst vor der Fehlbeurteilung eines Menschen an sich. Ängste führen wiederum zu ungenauen Beobachtungen, unentschlossenem Handeln, Vermeidungsverhalten, zur Hemmung oder zu milder Bewertung.
Weitere Effekte, Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler
im Zusammenhang mit Ängsten auf Basis von Stereotype
Stereotype können auf Basis von Ängsten zum Milde Effekt (Leniency-Effekt) führen, wobei der jeweilige Beurteiler bzw. Entscheider bei seiner Beurteilung stets bestrebt ist, negative Eigenschaften des Beurteilten zu verharmlosen, herunterzuspielen oder gar zu leugnen. Ein etwaiges "Ego-Involvement" führt dazu, dass der Beurteiler eine zu beurteilende Person sogar viel positiver bewertet, als sie in Wirklichkeit ist. Hier besteht ein Zusammenhang mit dem sogenannten Sympathie-/Ähnlichkeitsfehler und dem Sympathie-/Antipathie-Effekt.
Ein weiterer ähnlicher Beurteilungs- bzw. Urteilsfehler, der auf Ängsten und Stereotypen basieren kann, ist der Großzügigkeitsfehler (Generosity error): Die Sorge, durch negative Aussagen einer beobachteten, einzuschätzenden zu beurteilenden Person, die man z.B. für ein Stereotyp hält, ggf. zu schaden, führt beim Beobachter zur generellen Neigung, eine gute Beurteilungen abzugeben, auch aufgrund der Befürchtung, sich ggf. bei den beurteilten Personen oder anderen unbeliebt zu machen.
Ein weiterer ähnlicher Beurteilungs- bzw. Urteilsfehler, der dazu passt, ist die Tendenz zur Mitte bzw. der Fehler der zentralen Tendenz: Hier fällt ein Beurteiler bzw. Entscheider sein Urteil bzw. seine Entscheidung immer möglichst so unkonkret, dass er alles gleich bewertet bzw. nach Möglichkeit genau die Mitte wählt, z.B. um niemanden vor den Kopf zu stoßen. Extreme Beurteilungen und Bewertungen werden in Bezug auf die Tendenz zur Mitte generell vermieden (Vermeidungsverhalten). Stattdessen werden mittlere Ausprägungen bei der Bewertung bevorzugt.
Ein fast gegenteiliger Beurteilungs- bzw. Urteilsfehler, der auf Stereotype basieren kann, ist die Tendenz zur Strenge z.B. dann, wenn man z.B. wegen Stereotype einen hohen Maßstab bzw. ein zu hohes Anspruchsniveau gegenüber einzuschätzenden bzw. zu beurteilenden Personen (Stereotype) anwendet, wobei hohe Erwartungen und die daraus resultierenden hohen Ansprüche zu überproportional niedrigen Einstufungen und ggf. grundsätzlich schlechteren Bewertungen führen.
Die besagten Wahrnehmungsfehler, die mit Stereotypen, Ängsten und daraus resultierenden Erwartungen in Verbindung stehen und zu denen viele weitere noch hinzukommen, führen auch dazu, dass statistisches Zahlenmaterial, das der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung zugrunde liegt, von vorne herein verfälscht wird, je nachdem welches Stereotyp wirkt und welche Sichtweise besteht. Diese Sichtweise hängt von vielen Faktoren ab.
Soziale Stereotype
Eine besondere Form der Stereotype sind soziale Stereotype, die dem Zusammengehörigkeitsgefühl dienen. Soziale Stereotypen gehen von einem "Wir" aus, woraus ohne jegliche Richtigkeit und Logik ein "Wir-Gefühl" in Bezug auf Nationen und Volksgruppen erzeugt - und soziales Verhalten ohne Rechtfertigung als zusammengehörig empfunden wird.
Dieses "Wir-Gefühl", das die Wahrnehmung trübt und stark verzerrt, kann im Ausland selbst einen Ostfriesen aus dem hohen Norden beim Anblick eines Maßkruges oder einer Lederhose befallen, selbst wenn Maßkrug und Lederhose eigentlich aus Bayern sind. Selbst in ihrer Heimat verfolgte Asylbewerber bekommen dieses "Wir-Gefühl" in Bezug auf ähnliche Dinge aus ihrer Heimat.
Der Blick für die eigentliche Realität wird so stark getrübt, dass selbst frühere Antipathien und Feindschaften plötzlich blindlings übersehen oder gar vergessen werden. Ärger, Unmut und Armut werden plötzlich negiert. Es überkommt einen der Stolz auf die Heimat und seine Kultur, egal wie weit hergeholt oder realitätsnah dies ist.
Was man hasste, wird jetzt zur "Heimat", auf die man stolz ist. Das "Wir-Gefühl" breitet sich sogar auf jene aus, die im eigenen Land oder in der eigenen Kultur als entfremdet, als Ausländer oder gar als Außenseiter und Aussätzige galten. Soziale Stereotype schweißen wieder zusammen.
Eine ähnliche Wirkung haben andere soziale, kulturelle und religiöse Verhaltensweisen, was sogar dazu führen kann, dass man sich allein aufgrund einer bestimmten Religion, dem Klang einer Nationalhymne oder eines Liedes, Musik-Stückes oder Tanzes plötzlich ganz anders fühlt, Informationen anders wahrnimmt, plötzlich anders denkt und sich sogar an etwas anderes zu erinnern weiß, was jedoch in keinster Weise der tatsächlichen Erfahrung entspricht. Auf diesem Wahrnehmungsfehler basieren dann alle weiteren Beobachtungen, Wahrnehmungen, Ansichten, Äußerungen und Handlungen.