Status-Denken / Status-Rollen-Effekt (nach Köhler)

Psychologisches Wissen zum Thema sozialer / gesellschaftlicher Status, zum Statusdenken und zum Status-Rollen-Effekt nach Köhler

Einführung: Status
(Sozialer Status / gesellschaftlicher Status)

Sozialer Status oder Soziale Stellung bezeichnet in der Soziologie und Sozialpsychologie die gesellschaftliche Wertung aufgrund der sozialen Herkunft oder der sozialen Position innerhalb einer sozialen Struktur.

 

Unter einer sozialen Struktur versteht man ein Netzwerk aufeinander bezogener Statuspositionen, die von den einzelnen Statusinhabern und ihren Gegenspielern in einer Hierarchie unterschiedlich „hoch“ eingestuft und bewertet werden.

 

Schichtungstheorie
Die Schichtungstheorie beschreibt die hierarchische Differenzierung einer Gesellschaft durch den sozialen Status. Der Status drückt den Rangplatz aus, das Prestige, die soziale Wertschätzung, die Autorität und Macht, die eine Person in der Gesellschaft inne hat. Die so nach ihrem Wert eingestuften Statusgruppen, die auch als soziale Klassen bezeichnet werden, bilden das System der sozialen Schichtung einer Gesellschaft. Im Kontext zur Gesellschaft spricht man von sogenannten Gesellschaftsschichten. In der Sozialpsychologie ist der Status-Begriff auf kleinere soziale Einheiten wie soziale Gruppen und Organisationen bezogen. 

 

Erworbener Status vs. zugeschriebenem Status

Unterschieden wird zwischen erworbenem („achieved status“) und zugeschriebenem bzw. unterstelltem Status („ascribed status“). Der erworbene Status ist unabhängig von sozialer Herkunft durch Leistung oder Fähigkeiten „erarbeitet“, während der zugeschriebene Status dagegen quasi „ererbt“ und / oder automatisch von außen zugeschrieben bzw. unterstellt wird und nicht durch eigene Aktivitäten bestimmt ist. 

 

Anders als viele meinen, kommt letzterem Status trotz gesellschaftlicher Veränderungen immer noch eine erhebliche Bedeutung zu. Zudem wird ein Status selten über Leistung erworben. Relevanter ist die Unterstellung eines Status über Stereotype, stereotype Kopplungen und andere Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler. 

 

Hinzu kommt, dass Status immer noch über die Eltern weitergegeben wird und darüber hinaus stark von Symbolen abhängig ist (Name, Wohnort, Adresse, Beruf, Studienabschluss, Auto, Kleidung, Hobby, Reiseziele usw.). Derlei Symbole sind nicht nur äußerlich; sie werden mit einem bestimmten Habitus, also Einstellungen, Fähigkeiten, Distinktion, Lebensstil und Gewohnheiten verknüpft.

 

Verknüpfungen / Zusammenhänge

Der jeweilige soziale Status wird gleichgesetzt mit Macht, Einfluss, Einkommen, Vermögen, Prestige und ähnlichen Kriterien. Folglich werden mit jeder sozialen Status-Position bestimmte Eigenschaften verknüpft. Entweder ist diese Gleichsetzung und Eigenschafts-Verknüpfung real - oder sie wird lediglich angenommen bzw. unterstellt (Wahrnehmungsfehler). Beides ist möglich.

 

Hinzu kommt, dass mit jeder gesellschaftlichen bzw. sozialen Status-Position bestimmte Privilegien, Rechte und Pflichten verknüpft werden. Auch werden mit jeder Status-Position automatisch bestimmte Fähigkeiten verknüpft - völlig unabhängig davon, ob diese nun tatsächlich real vorhanden sind - oder nicht. Ebenso gibt es Verknüpfungen von ethnischen Zugehörigkeiten, Beruf, Einkommen und Bildung mit bestimmten Eigenschaften und Fähigkeiten.

 

In der Rollentheorie von Ralph Linton ist der „soziale Status“ bedeutungsgleich mit der sozialen Position, die einem Akteur in einem – relativ festen – sozialen Zusammenhang zugewiesen wird (z. B. als Lehrer in der Schule, als Mutter in der Kernfamilie). Mit diesen Positionen sind gesellschaftliche Erwartungen und Rollenansprüche verbunden.

 

Statusdenken

Statusdenken beschreibt die Einordnung von Individuen und deren Umfeld in eine soziale Hierarchie. Als soziale Wesen sind Menschen überall in Sozialstrukturen eingebunden und übernehmen – ihrem Status entsprechend – unterschiedliche Rollen. Das Statusdenken hat damit Einfluss auf das eigene Verhalten sowie auf das Verhalten uns gegenüber – analog zum Status, den uns andere zuweisen.

 

Ein hoher Status kann das Denken und die Wahrnehmung von Menschen dramatisch verändern. Nathan C. Pettit und Niro Sivanathan von der Stern Universität in New York stellte bei ihren Studien fest: Aufsteiger mit hohem Status hörten ihren Applaus lauter und sahen in den Gesichtern ihres Gegenübers mehr Wohlwollen als tatsächlich da war. Das führt dazu, dass einige Menschen aufgrund einsetzenden Statusdenkens die Bodenhaftung verlieren.

 

Tiere kämpfen um die jeweilige Rolle und die Vorherrschaft. Menschen tuen es ebenfalls, entweder über entsprechende Leistungen oder die Art, zu kommunizieren. Unentwegt führen wir - mehr oder weniger bewusst - Status-Kämpfe. Nicht selten kommt es im Zusammenleben mit unseren Mitmenschen zu unangenehmen Situationen und Interessenskonflikten, die letztendlich der Verteidigung des Status-Niveaus dienen (Details).

 

Status-Stereotype 

Bei der Beobachtung, Einschätzung und Beurteilung anderer Menschen haben Menschen bereits vorgefasste Meinungen über die Menschen als Menschen-Typ. Es besteht geradewegs ein Hang zur Einstufung von Menschen in bestimmte Typen, Menschenbilder, Gruppen, Rollen, Hierarchien, Klassifizierungen, Zertifizierungen und Normen.

 

Besonders deutlich wird dies bei der Beobachtung, Einschätzung und Beurteilung von Menschen aus ganz bestimmten sozialen Gruppen (Soziale Stereotype). Menschen haben bereits vorgefasste Meinungen über diese sozialen Gruppen. Klassifizierungen, Menschenbild- und Persönlichkeits-Typ-Annahmen und Klassifizierungen können zwar hilfreich sein, werden jedoch der Realität und dem Kenntnisstand der Psychologie nicht wirklich gerecht. Sie führen häufig zu gravierenden Fehlwahrnehmungen, Fehlbeurteilungen und Fehlentscheidungen.

 

Stereotype sind ein Sonderfall des "logischen Fehlers". Stereotype sind vereinfachende Vorstellungen über Menschen (Menschenbildannahmen), welche die Wahrnehmung einer Person ebenso bestimmen wie die unzähligen sonstigen Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler, denen das menschliche Gehirn unterliegt. 

 

Stereotype basieren auf Vorstellungen und Denk-Mustern, die fest im Gehirn verankert sind und in unseren täglichen Wahrnehmungs-, Denk- und Entscheidungsprozessen nicht mehr hinterfragt werden. Insbesondere bei der Einschätzung und Beurteilung von Menschen aus bestimmten sozialen Gruppen haben Menschen bereits vorgefasste Meinungen über diese sozialen Gruppen. Im Kopf entstehen regelrechte Bilder, die die komplette weitere Wahrnehmung und das Denken beeinflussen, eine bestimmte Schublade öffnen und füllen und eine bestimmte weitere Denkrichtung vorgeben

 

Die Einschätzung auf Basis von Stereotype erfolgt automatisch und unbewusst. Sie wird jedoch auch ganz bewusst vorgenommen, da Menschen einen Hang zur jeweiligen Einstufungen und Klassifizierung haben und - darüber hinaus - zur schnellen und einfachen (primitiven) Zuordnung. Dies erfolgt auf Basis eines primitiven Urinstinktes, der grundsätzlich erst einmal einen Sinn und Nutzen hat.

 

Dass unser Gehirn Menschen automatisch verschiedenen Kategorien zuordnet, ist eigentlich eine praktische Eigenschaft, welche das Gefühl der Zugehörigkeit und der Einschätzung des eigenen Standes ermöglicht und darüber hinaus automatisch regelt, was man in seiner Rolle oder Position besser tun oder unterlassen sollte. Insofern erleichtern Stereotype das Verhalten und das Reaktionsverhalten und gestalten Wahrnehmungs-, Denk, Entscheidungs- und Reaktionsprozesse um ein Wesentliches ökonomischer. "Ökonomisch" heißt jedoch nicht "immer richtig".

 

In der Steinzeit diente diese Fähigkeit dazu, sehr schnell Freund und Feind zu unterscheiden und bei der Begegnung mit anderen Menschen ebenso schnell mit Flucht, Verteidigung oder Angriff zu reagieren. In unserer heutigen modernen Zeit ist das Leben bzw. Zusammenleben jedoch viel komplexer und vielschichtiger. Daher sind Zuordnungen nach alten Steinzeit-Mustern auch nicht mehr stimmig und daher nicht immer von Vorteil.

 

Dennoch denken und handeln wir immer noch so wie früher. Wir  tun dies nicht nur unbewusst, sondern sogar sehr bewusst. Zudem besteht - wie in der Steinzeit - auch heute immer noch ein Hang zur Einstufung in bestimmte Typen, Menschenbilder, Gruppen, Rollen, Hierarchien, Klassifizierungen, Zertifizierungen und Normen, die nach wie vor darüber entscheiden, wer wir sind, wie wir anzusehen sind und wie wir uns anderen gegenüber verhalten sollen, können, dürfen - oder eben nicht.

 

An diese stereotype Vorstellung passen wir uns weitestgehend an, bewusst und unbewusst. Schließlich will z.B. ein Arzt auch gern als solcher wahrgenommen werden, weshalb er in Deutschland einen weißen Kittel trägt, ohne den er im Krankenhaus und selbst in seiner eigenen Praxis nicht "für voll" genommen würde. Bei Stereotypen handelt es sich jedoch nicht um ein Stigmata, weil der Kontext entscheidet. Der besagte Arzt würde im selben Kittel auf einer Autobahn-Toilette ein völlig anderes Bild erzeugen und dadurch auch ggf. anders bewertet und behandelt werden.

 

Insofern stehen Stereotype in einem engen Zusammenhang mit anderen weiteren Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehlern z.B. die Einschätzung nach der Kleidung. Es geht aber bei Stereotype nicht darum, wie oder als was man wirkt, sondern dass man z.B. als Arzt oder Toilettenmann oder als Mann oder Frau in ein bestimmtes Gruppen-Raster bzw. in eine Schublade gesteckt wird und dieser "Kategorisierung" dann bestimmte feste Eigenschaften zugeordnet werden, denen dann automatisch zugleich weitere Eigenschaften unterstellt werden (siehe: Stereoptypisierte Kopplung).

 

Dieser Hang zur Kategorisierung und Einstufung ist ein regelrechter Trieb, der eigentlich erst einmal seinen Nutzen hat: Stereotype transportieren Einstellungen, bilden Werte und Normen und dienen zur Herstellung gesellschaftlicher Strukturen und Anerkennungs-Strukturen. Stereotype sind damit ein Instrument zur Herstellung von Ordnung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass diese Ordnung immer richtig ist. Vieles wird übersehen und es kommt natürlich auch zu Fehleinschätzungen, allein aufgrund der Verallgemeinerung in der Kategorisierung und Bewertung von Menschen und Verhältnissen. 

 

Durch ihre Einordnung in bestimmte „Schubladen“ (Schubladendenken) geben sie dem menschlichen Gehirn erst einmal einen Sinn, der u.a. in der schnellen Informationsverarbeitung und Handlungsfähigkeit liegt. Im Gegensatz zu Klischees, Stigmata und Vorurteilen sind Stereotype sehr stark von Rahmenbedingungen bzw. vom Kontext abhängig (Obiges Beispiel: Arzt im weißen Kittel in einem Krankenhaus + Arzt auf dem WC einer Raststätte) Ihre Aussagen sind allgemein und nicht speziell. Daher aber (selbst im jeweiligen Kontext) auch nie individuell und auf den Einzelfall bezogen. 

 

Die Problematik der Stereotypisierung finden wir nicht nur in der Politik, sondern überall im täglichen Leben. Dies führt unter anderem dazu, dass bestimmte Menschen bevorzugt behandelt werden und andere eher benachteiligt. Andere wiederum behandeln (aufgrund ihrer eigenen Persönlichkeit und ihrer Ansichten) gerade Menschen bevorzugt, bei denen sie vom stereotypen Menschenbild her einfach stereotyp davon ausgehen, dass sie benachteiligt sind oder benachteiligt werden.

 

Derartige Klassifizierungen können zwar hilfreich sein, werden jedoch der Realität und dem Kenntnisstand der Psychologie nicht gerecht. Insbesondere in der Beurteilung von Bewerbern, in Personalentscheidungsprozessen und im Verkauf sind die Fehler, die durch Stereotype erzeugt werden eklatant hoch und um ein Vielfaches höher als der Nutzen, den stereotypisiertes Wahrnehmen, Denken und Handeln in der Steinzeit hatte.

 

Stereotype beeinflussen Wahrnehmung und Handeln nicht nur bewusst, sondern auch unbewusst. Sie nehmen - egal in welche Richtung ein Stereotyp geht - einen versteckten starken Einfluss auf professionelles Handeln und professionelle Entscheidungen. Dies betrifft sämtliche Lebensbereiche (Familien- und Sozialleben, Schule und Notengebung, Ausbildungs- und Berufswahl, Personalentscheidungen, Rechtsprechung, ärztliche Terminvergabe, Umgang mit Patienten, Behandlung und Pflege, Sonderrechte, Bevorzugung privilegierter Menschen, ebenso Bevorzugung nicht privilegierter Menschen, selbst eine Bestattung.

 

 

Status-Rollen-Effekt

Der jeweilige soziale Status wird gleichgesetzt mit Macht, Einfluss, Einkommen, Vermögen, Prestige und ähnlichen Kriterien. Entweder ist diese Gleichsetzung real oder sie wird lediglich angenommen bzw. als Wahrnehmungsfehler unterstellt. Beides ist möglich.

 

Bei realen Status-Unterschieden werden die Lebenschancen von Menschen durch den jeweiligen sozialen Status ungleich verteilt: Mit einem höheren sozialen Status gehen dann bessere Bildung, Gesundheit und höheres Einkommen einher, was statistisch nachweisbar ist. 

Doch es gibt wie gesagt auch einen lediglich unterstellten sozialen Status. Hier liegen Macht, Einfluss, Einkommen, Vermögen, Prestige und ähnlichen Kriterien in der Realität zwar nicht entsprechend vor; doch das Verhalten anderer Menschen gegenüber dem Status-Inhaber ist anders.

 

Der Status-Rollen-Effekt beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Verhalten von Menschen und dem Erwartung von Rolle und Status des jeweiligen (anwesenden oder nicht anwesenden) Gegenübers.

 

In seinen Experimenten konnte Andreas Köhler nachweisen:  Je höher die echte oder vermeintliche Rolle (Position) ist bzw. je höher ein Status-Gefühl aufgebaut wird, desto mehr verstellen sich Menschen. Ihren wahren Charakter zeigen Menschen hingegen eher dort, wo sie einen niedrigen Status vermuten. Zugleich zeigte sich: Je mehr jemand hofiert wird, desto mehr wird er oder sie belogen.

 

Der Status-Rollen-Effekt zeigt auch, dass sich Menschen von anderen Menschen mehr bieten bzw. gefallen lassen wenn sie bei diesen einen höheren Status unterstellen oder der andere eine vermeintlich wichtige Rolle einnimmt

 

Der Status-Rollen-Effekt (nach Köhler) basiert auf a) Vorausurteilen, Vorurteilen und Stereotype, b) auf Status-Denken und c) entsprechenden Erwartungen. Der Effekt vereinigt gleich mehrere Phänomene: a) Die Wahrnehmung von Status und Rolle, b) das unterschiedliche Verhalten gegenüber Menschen mit vermeintlich unterschiedlichem Status und die Tatsache, dass Menschen sich einem anderen Status gegenüber anpassen, c) sich anderen Menschen mit vermeintlich höherem Status gegenüber verstellen und d) sich gegenüber Menschen mit einem vermeintlich niedrigem Status eher gehenlassen und in eher (negativ) outen.

 

Hintergrund
Menschen verhalten sich anderen Menschen gegenüber immer abhängig vom sozialen Status und der jeweiligen Rolle ihres Gegenübers. Dabei geht es nicht nur um die Rolle bzw. den Status, die/den der andere tatsächlich hat oder lediglich darstellt (z.B. vorgibt), sondern allein auf die reine Vorstellung. Diese Vorstellung basiert auf bestimmten Erwartungen und ist an Klischees, Stereotype und Denkmuster geknüpft. Ebenso bezieht sich der Effekt nicht nur auf die Rolle bzw. den Status selbst, sondern allein auf die Vorstellung bzw. Unterstellung von Status und Rolle einer anderen Person.

 

Auch betrifft der Effekt nicht nur das Verhalten: Die gesamte Wahrnehmung ändert sich abhängig vom unterstellten Status bzw. der unterstellten Rolle einer anderen Person. Der Status-Rollen Effekt zählt daher zu den sogenannten Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehlern.

 

Beobachtungen

Andreas Köhler konnte in unzähligen Experimenten nachweisen, dass Menschen (z.B. Telefonverkäufer, Vertriebsmitarbeiter und Bewerber bei ihrer telefonischen Erstkontaktaufnahme zu Unternehmen mit dem Ziel, den zuständigen oder vermeintlich zuständigen Entscheider zum Zwecke der Werbung oder Eigenwerbung zu kontaktieren), sich einer Person, die zuerst ans Telefon geht - und allein dadurch für einen Mitarbeiter mit niederem Status gehalten wird - auffallend anders verhalten als beim nachfolgenden Gespräch mit dem vermeintlichen Entscheider, an den unmittelbar danach oder später weiter verbunden wurde.

 

Je öfter die Versuchspersonen weiterverbunden oder zu einem neuen Gesprächspartner geführt wurden, desto freundlicher, höflicher, zurückhaltender und künstlicher war das Verhalten. Das Verhalten gegenüber den ersten Gesprächspartner war hingegen wesentlich selbstbewusster, ungehobelter und unfreundlicher.

 

Das Experiment zeigte bei persönlichen Kontaktaufnahmen das gleiche Ergebnis - dazu völlig unabhängig von der tatsächlichen Rolle der jeweiligen Personen: Auch nach einem Rollentausch war die konkrete Wahrnehmung und das Verhalten identisch.

 

Erklärung

Während sich die Anrufer dem ersten Gesprächspartner gegenüber überlegen fühlten und auch genauso verhielten, änderte sich Wahrnehmung und Verhalten nach Verbindung mit einer weiteren Person in starkem Ausmaße. Die Experimente zeigten auch, dass das Verhalten personenunabhängig war und zudem mit der tatsächlichen Rolle der Gesprächspartner in keinerlei Verbindung stand.

 

Der jeweils erste Gesprächspartner wurde anders gesehen und behandelt als der jeweils nachfolgende, dem eine wichtigere Rolle und ein höherer Status zugeordnet wurde. Je mehr Gesprächspartner aufeinander folgten, desto höher die Zuordnung von Wichtigkeit in Bezug auf Status und Rolle, desto höher die Wertschätzung, desto positiver das Verhalten, desto mehr wurde der wahre Charakter (gemessen über Verhalten) jeweils unterdrückt und eine regelrechte Maske aufgesetzt.

 

Zusätzlich konnte folgendes festgestellt werden:

Auf den künstlichen Aufbau von Reibung, Missverständnissen und Hürden reagierten die Versuchspersonen oftmals sehr ungehalten, teilweise erfolgte ein regelrechtes Negativ-Outing, das mit dem eigentlichen Anliegen (Werbung/Eigenwerbung) in keiner logischen Verbindung stand.

 

Bei Erzeugen der gleichen Reibung durch die nachfolgenden Gesprächspartner reagierten die Versuchspersonen weniger bis gar nicht. Die meisten unterdrückten das Verhalten, das sie zuvor an den Tag legten. Zugleich wurde das gespielte Verhalten der Tester - je nach unterstellter Rolle bzw. nach Status - unterschiedlich wahrgenommen.

 

Die subjektive Empfindung der Versuchspersonen war eine andere. Daraus folgt der Schluss, dass negatives Verhalten nicht nur bewusst unterdrückt wird. Unbewusste Prozesse spielen hier ebenfalls eine Rolle.

 

Der Status-Rollen-Effekt zeigt: Je höher die Rolle (Position) ist bzw. je höher ein Status-Gefühl aufgebaut wird, desto mehr verstellen sich Menschen. Ihren wahren Charakter zeigen sie hingegen eher dort, wo sie einen niedrigen Status vermuten. Zugleich zeigte sich: Je mehr ein Werber oder Bewerber "hofiert" wird, desto mehr wird ein Entscheider belogen.

Der Status-Rollen-Effekt zeigt auch, dass sich Menschen von Menschen mehr bieten bzw. gefallen lassen wenn sie bei diesen einen höheren Status unterstellen oder der andere eine vermeintlich wichtige Rolle einnimmt (ggf. spielt).

 

Der Effekt zeigt - neben unzähligen weiteren ähnlichen Effekten und Wahrnehmungsfehlern - dass die modernen Personal-Strategien (z.B. Mitarbeiter-Anwerbung) und die übliche Personalauswahl-Methodik stark in Frage zu stellen ist. Hier gilt die Faustformel: Je größer das Unternehmen, je umfassender das hierarchische Konstrukt, je höher die Position oder der Titel des Entscheiders, je werbender die Personalwerbung und je schicker das Ambiente, desto mehr verstellt sich der Bewerber, desto geringer die Aussagekraft von Vorstellungsgesprächen.

 

Die höchsten Werte wurden in der Wahrnehmung von vermeintlichen Stars bzw. Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens (z.B. Schauspieler gemessen), aber auch in der Wahrnehmung von TV-Journalisten, selbst wenn diese nur "Praktikanten" waren.

 

Die Ergebnisse der Untersuchung sind später in das ib reality view & proof concept (Personalauswahlkonzept) eingeflossen, wo sie einen kleinen - aber sicher nicht unbedeutenden kleinen Teil - zur angewandten psychologischen Eignungsdiagnostik beitragen, auch um den wahren Charakter im Alltag (inklusive Einstellungen und Verhalten gegenüber Mitarbeitern) von künstlich-aufgesetztem Verhalten zu unterscheiden.

 

Kontext zu anderen Effekten

Der Status-Rollen Effekt (nach Köhler) steht im Zusammenhang mit weiteren Wahrnehmungsfehlern und Effekten. Dazu zählen der Hierarchie-Effekt und der Überlegenheitsfehler:

 

Überlegenheits-Fehler / Überlegenheits-Illusion / Lake Wobegon-Effekt

Das Gefühl der Überlegenheit verzerrt unsere Wahrnehmung: Wenn wir uns einer anderen Person gegenüber überlegen fühlen bzw. von einer anderen Person annehmen, dass sie uns unterlegen sei, allein weil wir diese so wahrnehmen, treffen wir sehr unbesonnene Entscheidungen, die nicht selten zu unseren Ungunsten sind. Viele Schlachten und Kriege wurden nur deshalb verloren, weil sich ein Feldherr (oder eine Armee oder eine Nation) einem anderen Feldherrn (bzw. einer anderen Armee oder Nation) überlegen fühlte.

 

Der Überlegensheitsfehler steht in direkter Verbindung mit der Überlegenheitsillusion, die auch als "Lake Wobegon-Effekt" bekannt ist. Der Effekt besagt, dass der Mensch seine eigenen Fähigkeiten überschätzt. Der Lake-Wobegon-Effekt bezeichnet die Tatsache, dass nicht wenige Menschen bestimmte eigene Fähigkeiten für überdurchschnittlich halten. Hinzu kommt die Tatsache, dass die eigenen Fähigkeiten umso stärker überschätzt werden, je schlechter diese in Wirklichkeit sind (auch als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet).

 

Wie der Selbstwert-Effekt / Social-Cognition-Effekt und der Overconfidence-effect / Overconfidence-barrier-effect zu den Selbstwertdienlichen Verzerrungen im Rahmen der Selbstwirksamkeitserwartung und basiert somit auf auf einem Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler.

 

Hierachie-Effekt

Der Effekt basiert sowohl auf der sozialen Wahrnehmung als auch auf Stereotype. Er spielt im Personalwesen - aber auch in vielen anderen Lebensbereichen (von der Kreditvergabe bis zur Partnerwahl) eine entscheidende Rolle. Der Effekt besagt, dass Menschen (z.B. Mitarbeiter eines Unternehmens) höherer Hierachie-Stufen (Positionen im Unternehmen) grundsätzlich anders beobachtet, beurteilt und bewertet werden als Vertreter unterer hierarchischer Stufen. Es wird also davon ausgegangen, dass Menschen höherer Hierarchien automatisch besser sind.

 

Bei dieser Menschenbildannahme, die zugleich eine bestimmte Erwartung produziert, wird davon ausgegangen, dass in gehobenen Positionen ausschließlich gute bzw. sehr gute (z.B. intelligentere, zuverlässigere, engagierterer, ehrlichere usw.) Menschen bzw. Mitarbeiter zu finden sind, weil man meint, sie hätten es sonst gar nicht bis in diese Positionen gebracht. Im Umkehrschluss wird stigmatisierend davon ausgegangen, dass Angehörige unterer Hierarchien automatisch schlechter sind. Beobachtungs-, Beurteilungs- und Entscheidungsraster werden entsprechend angepasst.