Psychologisches Wissen: Naivität

Naivität allgemein, Naivität als Wahrnehmungsfehler, Naivität als Persönlichkeitsstörung: 
Die positive und negative Seite der Naivität 

Psychologie: Psychologisches Wissen über Naivität. Naive Menschen, Naivität als Wahrnehmungsfehler, Naivität als Persönlichkeitsstörung, Naivität und Gutmenschen, Naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung, die positive und negative Seite der Naivität

Einführung / Bedeutung

Das Wort "Naivität" kommt von "nativ(e)" (gebürtig, ursprünglich) und steht für "harmlos", "einfältig", "töricht" und "blauäugig" sowie für "leichtgläubig", "unwissend", "arglos" und "leicht verführbar".

 

Begriff & Zusammenhänge

Der Begriff "Naivität" steht in einem Zusammenhang mit kindlichem Denken und Verhalten und auch stellvertretend für "Armut im Geiste", die "Nichtnutzung sachlich nüchterner analytischer Prozesse" sowie die "Beschränktheit in der Anwendung analytisch geistiger Prozesse".

 

Die negative Seite der Naivität

Naive Menschen sind in der Regel leicht (bzw. leichter) beeinflussbar als andere Menschen. Dadurch kann ein Schaden entstehen. Ein solcher Schaden entsteht zumeist auch aufgrund der zumeist kurzfristigen Wirkung einfältiger Entscheidungen, die aus Naivität heraus getroffen werden. Bei Menschen mit einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung kann Naivität ein wesentlicher Bestandteil dieser Störung sein z.B. wenn Naivität mit Egotismus (self serving bias), Selbstermächtigung (Siehe dazu auch Selbstwert-Effekt, overconfidence-effect, Überlegenheitsillusion, Gott-Komplex, Dunning-Kruger-Effekt) und einer aggressiven Haltung einhergeht. Nach neuesten Erkenntnissen spricht man in diesem Zusammenhang auch von einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung, bei der sich ein möglicher Zusammenhang mit dem Intellekt bzw. der Intelligenz der Betroffenen noch in der Forschungsphase befindet. Derartigen (negativen bzw. "bösartigen") Auswüchsen gegenüberstehend, hat Naivität aber natürlich auch eine durchaus positive Seite:

 

Die Positive Seite des "Kindlichen Denkens"

Da Kinder noch in der Lage sind, die Welt um sie herum unvoreingenommen und damit unverfälscht wahrzunehmen, was mit zunehmender Erfahrung, Erziehung und Sozialisierung abnimmt, hat Naivität bzw. die somit auch eine durchaus positive Seite. Diese positive Seite der Naivität hilft auch zum Zwecke des Glaubens sowie der Gestaltung und Anwendung sogenannter Glaubenssätze, die ihre (teilweise methodische) Verwendung auch im Coaching und in der Psychotherapie findet. Naivität hat aber auch eine negative, sogar sehr gefährliche und "böse" Seite. Beide Seiten sollen hier kurz durchleuchtet werden.

 

Naivität versetzt Berge

Der Spruch "Glaube versetzt Berge" ist ebenso bekannt wie die entsprechenden Seligpreisungen in der Bibel, die sich auf "Armut im Geiste" beziehen, was für "Unschuld" und "naiven Glauben" steht. Naivität steht damit für eine regelrechte Fähigkeit, die demnach zu mehr Erfolg führt, als alles auf Basis von Vernunft und Verstand zu hinterfragen. Im Zusammenhang mit dem "Gesetz der Anziehung" und dem Phänomen der "Selbsterfüllenden Prophezeiung", einem Wahrnehmungsfehler der auch als Rosenthal Effekt bezeichnet wird, bringt Naivität – insbesondere in Verbindung mit Dankbarkeit - einen deutlichen, ja sogar ganz entscheidenden Vorteil. In einigen Kreisen wird Naivität sogar als regelrechte Tugend erkannt: Der deutsche Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant (1724 -1804) bezeichnete Naivität als "eine edle oder schöne Einfalt, welche das Siegel der Natur auf sich trägt".

 

Naivität als "Blauäugigkeit"

Bei Erwachsenen gilt Naivität hingegen im Allgemeinen als Charakterschwäche, weshalb Erwachsene Naivität auch als "Blauäugigkeit" bezeichnen. Ein Mensch ist demnach naiv, wenn er wider besseres Wissen denkt und handelt. Obwohl der Partner es nicht (mehr) ernst meint, längst anderweitig "unterwegs" ist und seinen Partner gar schlecht behandelt, halten viele Partner "in gutem Glauben" gegen Logik und Verstand an diesem Partner fest. Sie glauben an das Gute im Menschen, selbst dann, wenn das Gute nach objektiven Gesichtspunkten nicht vorhanden ist.

 

Entartung des naiven Glaubens an das Gute

Der Glaube an das Gute kann so weit entarten, dass naive Menschen meinen, dass es überall nur Gutes in den Menschen oder in der Welt gibt oder bestimmte Menschen "guter" bzw. "besser" sind als andere Menschen (Heile-Welt Naivitäts-Fehler), weshalb diese vermeintlich "besseren Menschen" eine bevorzugte Behandlung gegenüber Anderen benötigen (Bevorzugung / Übervorteilung).

 

Naivität als Zwang 

Manchmal geht Naivität aber auch so weit, dass ein regelrechter Zwang zum "Gut sein" besteht, darüber hinaus die Überzeugung, selbst "gut" oder sogar "besser" zu sein als bestimmte andere Menschen, die man nicht für gute Menschen hält. Zumeist basiert diese Überzeugung auf einer überbewerteten (überwertigen) fixen Idee. Sie kann aber auch auf einem Wahn bzw. einer wahnhaften Störung (Psychose) basieren. Ein solcher Wahn kann in Verbindung mit unterschiedlichen psychotischen Krankheitsbildern - sogenannte  Psychosen - vorkommen. Er kann aber auch als eigenständiges Krankheitsbild auftreten. Dabei handelt es sich jedoch um eine stark unterdiagnostizierte psychische Störung, was u.a. daran liegt, dass die Betroffenen nichts von ihrem Wahn wissen, ihn nicht wahrhaben wollen und keine Veranlassung dafür sehen, sich entsprechende Hilfe zu holen. Menschen, die einem Wahn verfallen sind, halten andere für krank bzw. gestört, sich selbst aber nicht. Hinzu kommt, dass in der Regel nur nach außen kommunizierte Wahngedanken (falls überhaupt als solche erkannt) als unwirklich auffallen.

 

Naivität als bösartige Persönlichkeitsstörung

Bestimmte naive Persönlichkeiten können von ihren Wahrnehmungen, ihren Charaktereigenschaften und ihren Handlungsmustern derart auffällig werden bzw. entarten, dass eine Störung vorliegt, die sehr aggressive und durchaus bösartige Auswüchse annimmt. Da derartige Störungen aufgrund o.g. Zusammenhänge aktuell in der Regel nicht als solche diagnostiziert werden (auch, da sich der jeweils Betroffene einer Diagnosestellung weder unterzieht, noch sich ihr stellt), spricht man (an Stelle der möglichen Diagnose einer schweren psychotischen Erkrankung) lediglich von vorherrschenden bzw. gestörten Wesenszügen im Rahmen eines Charakterbildes. Liegen diese Wesenszüge massiv und überzogen ausgeprägt vor, so spricht man von einer Persönlichkeitsstörung (siehe: "Naive Persönlichkeit / Naive Persönlichkeitsstörung" oder in der destruktiven bis bösartigen Ausprägung auch "Naiv-aggressive Persönlichkeit / Naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung").

 

Diese Form der Persönlichkeitsstörung kann mit einem Zwang oder einem Wahn in Verbindung stehen, wird jedoch aufgrund der genannten Ursachen als solches selten diagnostiziert. Hinzu kommt die Tatsache, dass einige Störungen als durchaus gesellschaftsfähig gelten, selbst dann, wenn die Gesellschaft durch sie einen Schaden nimmt. Es ist sogar so, dass naive Persönlichkeiten aus ethisch-moralischer Sicht - aber auch in juristischer Hinsicht - in unserer Gesellschaft mit "Sonderrechten" ausgestattet sind und daher bevorzugt behandelt werden.

 

Naivität als Methode

Von klugen Köpfen (z.B. im Marketing und Selbstmarketing, in der gesellschaftspolitischen Meinungsbildung - aber eben auch von Gaunern und Trickbetrügern) wird Naivitität daher auch als regelrechte Methode bzw. als Strategie eingesetzt. Der methodisch-strategische manipulative Einsatz von Naivität erfolgt u.a. z.B. im Rahmen der persuasiven Kommunikation und Legendenbildung (siehe Storytelling), im Bereich der Status-Kommunikation und im Bereich des Neurosellings.

 

Eine besonders probate Methodik ist das "Storytelling" in Kombination mit der Erzeugung von Ego-Involvement. Ganz besonders wirksam und extrem effektiv ist die Methodik, wenn mit Stereotype gearbeitet wird, die auf implizite naive Persönlichkeitstheorien treffen und auf diese individuell abgestimmt sind. Wenn darüber hinaus noch mit dem Effekt der Sozialen Wahrnehmung  (siehe Sozialer Einfluss / Soziale Beeinflussung / Social Cognition) gearbeitet wird, setzen sich manipulative Naivitäts-Strategien nahezu immer durch.

 

Politik und Medien nutzen derartige Strategien z.B. zum Zwecke der gesellschaftspolitischen Meinungsbildung (bzw. Meinungsbeeinflussung), während geschickte Anwälte Naivitäts-Strategien zur erfolgreichen Verteidigung ihrer Mandanten nutzen. Wer meint, dass solche Strategien z.B. bei Richtern, einem Berufsbild mit überaus hohem Objektivitätsanspruch keine Wirkung zeigen, kennt die Ergebnisse der entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen nicht, die hier eine ganz klare und unmissverständliche Sprache sprechen. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich derartige Strategien insbesondere in einer Gesellschaft, in der naive Persönlichkeiten sogar einen "Bonus" besitzen, besonders gut entfalten und einen sehr hohen Wirkungserfolg erzielen.

 

Naivität in der Rechtsprechung

Auch in der Rechtsprechung wird Naivität aufgegriffen und geregelt: Wer als Beklagter oder Angeklagter "in gutem Glauben" gehandelt hat, wird zumeist weniger hart oder sogar gar nicht bestraft – allein deshalb, weil seine "Schuldfähigkeit" dann eingeschränkt ist. Viele kluge Täter machen sich diese Annahme als regelrechte Strategie zu nutze: Sie trinken vor und nach einer geplanten Straftat Alkohol, können hinsichtlich unterschriebener Verträge angeblich nicht richtig lesen oder die jeweilige Sprache nicht verstehen. Das Resultat ist, dass sie im Vergleich mit anderen, die sich nicht naiv geben, ggf. sogar besonders intelligent wirken, bevorzugt behandelt werden.

 

Naivität als Lebensstrategie

Das ist zugleich der Grund, warum Naivität (bzw. Schein-Naivität) häufig als regelrechte Strategie in sämtlichen Bereichen des Lebens genutzt wird, z.B. um die Hilfe anderer zu erhalten und sich selbst das Leben zu erleichtern. Wer sich schwach, dumm und naiv stellt, wird stets auf Hilfe derer treffen, die sich für stark, klug und vernünftig halten. Ebenso gilt der Spruch "Wer fragt, der führt.", der in der Rhetorik gewinnbringend genutzt wird.

 

Nahezu schizophren mutet es an, dass derartige Naivitäts-Strategien ganz besonders ihre Wirkung zeigen wenn sie auf "echte" naive Persönlichkeiten treffen. Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass derartige Strategien, die auf naive Persönlichkeiten trafen, zu 100 % (ein unglaublicher Wert) aufgegangen sind: Zwar konnte vorab ein geringfügiger Anteil der Probanden noch nicht vollends überzeugt werden - jedoch hat sich dieser Anteil spätestens nach der zweiten Fragestellung der Überzeugung der anderen Versuchs-Teilnehmer angeschlossen. Zu hoch war der soziale Druck, selbst wenn die Anwesenheit anderer lediglich vorgestellt war. Naivitäts-Strategien und Sozialer Einfluss stehen in Bezug auf Beeinflussungs-Strategien folglich in einem unmittelbaren interaktiven Zusammenhang. 

 

Sind die Naiven in Wahrheit die Klugen?

Sind die Naiven in Wahrheit die Klugen? So wird es zumindest bereits in der Bibel angedeutet. Fakt ist: Mit Naivität als Strategie sind naive bzw. naiv wirkende Menschen tatsächlich sehr gut in der Lage, sich ein schönes und angenehmes Leben auf Kosten anderer zu gestalten. Sie wissen stets die Moral, das Verständnis und die Hilfe anderer auf ihrer Seite, was hier folglich auch als "Naivität" bezeichnet werden kann. Dahinter steckt aber nicht nur die besagte Naivität allein, sondern insbesondere der soziale Druck (siehe: Sozialer Einfluss), der hier eine wichtige Rolle spielt, selbst wenn dieser nur (mit Hilfe der Vorstellungskraft) angenommen wird. Ein Mensch, eine Gruppe oder ein Staatsgebilde, der/die/das sich selbst für klug, stark und überlegen hält und ggf. sogar dem sogenannten Überlegenheitsfehler uns/oder anderen falschen Grundannahmen anheim fällt, wird immer für andere, die sich strategisch gegenteilig verhalten mit arbeiten und die Vorgenannten ggf. sogar mitfinanzieren. Insofern sind die Naiven die eigentlich Klugen - wie es bereits in der Bibel steht.

 

Naivität in der Wahrnehmungspsychologie

Die Vorstellung, dass das, was Menschen wahrnehmen, real und richtig ist, ist ebenso vom Grunde auf naiv wie die Vorstellung, dass Entscheidungen auf Basis sachlich-logisch-analytischer Denkprozesse getroffen werden. Längst weiß man aus den Neurowissenschaften bzw. der Gehirnforschung, dass unsere Entscheidungen über unbewusste Prozesse ablaufen und dafür unser Motiv- und Emotionssystem verantwortlich ist. Obwohl man im Neuromarketing / Consumer Neuro Science diese Erkenntnis längst gewinnbringend anwendet, um unsere Entscheidungen maßgeblich und nachhaltig zu beeinflussen und uns quasi "das Geld aus der Tasche" zu ziehen, glauben wir naiv weiter daran, dass wir unsere Entscheidungen bewusst treffen. Wir Menschen behalten uns diese Naivität einfach vor - allein damit wir nicht ständig an uns selbst zweifeln müssen. Daher nutzen wir Effekte, die auch unser Bild, das wir von uns selbst haben, bestätigen. Sogenannte Selbstwertdienliche Verzerrungen helfen uns, unsere Entscheidungen und die Welt um uns herum schön zu reden. Stellen wir dann - wider unserer Natur - doch einmal fest, dass wir uns falsch entschieden haben und es entstehen dadurch kognitive Dissonanzen, greifen wir sofort zum Effekt, dem Effekt der kognitiven Dissonanz-Reduktion und damit erneut zu selbstwertdienlichen Verzerrungen.

 

Darüber hinaus gibt es Wahrnehmungsfehler, die bereits von sich aus auf unserer Naivität basieren. Einer dieser Fehler ist der Heile Welt Naivitäts-Fehler, der u.a. sehr häufig bei Menschen im aktivistischen und politischen Umfeld beobachtbar ist. Selbst wenn um sie selbst herum gelogen, betrogen und gemordet wird, nehmen Menschen, die dem Heile Welt Naivitäts-Fehler unterliegen, dies nur bedingt oder sehr einseitig - oft sogar zu Gunsten der Täter bzw. bestimmter Täterkreise oder ihrer eigenen Gegner - wahr. Darüber hinaus neigen sie dazu, Täter bzw. negative Strömungen insbesondere dann zu verharmlosen oder zu entschuldigen, wenn diese aus bestimmten kulturellen und/oder religiösen und/oder sozialen Gruppen stammen (die dem eigenen Weltbild nach schwächer erscheinen) und die unbegründete Angst besteht, diese Menschen durch bestimmte Maßnahmen diskriminieren oder verletzen zu können. Täter (zu denen auch geschickte Taktierer anderer Staaten gehören können) machen sich dies gerne zunutze. Besonders erstaunlich ist dabei die Tatsachen, dass Menschen, die dem Heile Welts Naivitäts Fehler unterliegen, selbst dann keine Strategie im besagten manipulativen Verhalten erkennen können, wenn ein Schaden bereits mehrfach eingetreten ist.

 

Naivität und Glaube

Dass Glaube (bzw. der feste naive Glaube an etwas) sprichwörtlich "Berge versetzt", ist nicht nur aus der Psychologie (z.B. Placebo Effekt, Rosenthal-Effekt, etc.). bekannt. Naivität ist auch eine regelrechte christliche Grundhaltung, die man bereits der Bibel entnehmen kann. Diese naive Grundhaltung gibt es aber auch in anderen Religionen.

 

So wie sich Christen im alten Rom (z.B. in den Arenen) opfern ließen und mit Freude in den Tod gingen, um unbeirrt im Glauben festzuhalten, so opfern sich heute islamistische Sprengstoff-Attentäter im Namen von Allah und in naivem Glauben an das vermeintliche Paradies, in dem sie - dem Konzept nach - mit 72 Jungfrauen verheiratet werden, die dem koranischen Text nach, der das sinnliche Paradies beschreibt, alle "groß gewachsene", "schwellende" oder "wie Pfirsiche geformte" Brüste haben, von den anderen sexuellen Versprechungen ganz zu schweigen.

 

Die sinnlichen Vergnügen zwischen Gläubigen und sogenannten "Huris" (Bezeichnung der paradisischen Jungfrauen) im Paradies werden im Detail beschrieben. Für islamistische Attentäter sind diese Versprechungen ebenso real wie es für gläubige Christen wichtig ist, Mördern, Dieben und Betrügern selbst dann immer wieder aufs Neue zu helfen, wenn sie selbst und ihre Kinder ermordert, bestohlen und betrogen werden. Allein die etwa 2,3 Milliarden Anhänger des Christentums und die ca. 1,6 Milliarden Anhänger des Islams zeigen deutlich, dass Naivität zur Menschheit alleine schon aus Glaubensgründen einfach dazu gehört.

 

Naivität in der Politik / Naivität und Europa

Naivität in der Politik ist gefährlich. Mit einer naiven Grundhaltung befindet sich auch ein Staat oder ein komplexes Staatengebilde wie Europa "auf verlorenem Posten". Auch als das nationalsozialistische Deutsche Reich unter Hitler expandierte, wollten die Briten und andere Nationen im guten (naiven) Glauben abwarten und erst einmal schauen, was passiert. Bis zuletzt hatte man naiv geglaubt, dass sämtliche demonstrative Zurschaustellung von Macht, Einstellung und Anspruchshaltung nicht ernst zu nehmen sei und hat weiter zugesehen. Das Resultat ist bekannt.

 

Auch heute unterliegen viele Europäer dem Heile Welt Naivitäts-Fehler, der auf der falschen Grundannahme basiert, die Menschen seien eigentlich gut und meinen es ehrlich. Selbst führende Politiker unterliegen scheinbar diesem Wahrnehmungsfehler, selbst dann, wenn die Fakten eine andere Sprache sprechen. Ein Schweizer News-Magazin schreibt dazu: "Europa ist wie ein Teenager, der noch zu Hause lebt, von Mama und Papa beschützt und finanziert wird und gegen den Kapitalismus wettert. Jetzt aber muss er sich in der großen weiten Welt behaupten, einen Job suchen, vor dem Chef kuschen und sich überlegen, ob er sein Geld für ein Bier ausgibt oder Amnesty International spendet." Beim Schweizer "20 Min.ch" vom 14. Mai 2014 stellt sie Schweizer Journalstin Désirée Pomperman die Frage: "Die EU hat also den Bezug zur Realität verloren?" US-Autor und Sicherheitsexperte Eric T. Hansen antwortet im Interview:

 

"Ja. Viele Europäer haben verlernt, wie die Welt funktioniert. Sie haben sich daran gewöhnt, dass sie sich in Krisensituationen auf die USA verlassen können. Während die USA ihnen den Rücken freigehalten haben, konzentrierten sich die Europäer auf ihren Wohlstand und entwickelten eine starke Moralpolitik. Ihr Ziel: Das Böse aus der Welt zu schaffen. Dazu gehören die Banken, die Manager, der Kapitalismus und die Globalisierung. Dabei vergisst man, dass dies doch die Grundlage für den Wohlstand ist, ohne die es Westeuropa so gar nicht gäbe."

 

Wie ist die von vielen Fachleuten beobachtbare Naivität in Europa zu erklären?

Eric T. Hansen hat im Interview mit dem Schweizer Journal eine Erklärung, die auch auf Deutschland und andere Nationen zutreffen könnte. Zitat: "Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte sich die jüngere Generation von den Nazis distanzieren. Es gab einen starken Schwenker zum Moralischen. Werte wie politische Korrektheit, Toleranz und soziale Gerechtigkeit wurden extrem wichtig. Es gibt die politische Erwartung, dass die Welt ohne Konflikte funktionieren muss. Viele Europäer denken, dass wir nur nett zueinander sein müssen, und alles ist gut. Der Mensch wird als moralisches Wesen verstanden." Eric T. Hansen ergänzt im weiteren Verlauf des Interviews: "Viele Europäer sind so stark auf Moralpolitik gepolt, dass sie die Grenzen nicht sehen. Europa hat vergessen, dass man für seine Interessen auch kämpfen muss. Europa ist dumm und naiv geworden...Es reicht nicht, stolz darauf zu sein, die letzten 60 Jahre keinen Krieg gehabt zu haben und mit Anti-Kriegs-Plakaten an Demos zu gehen. Das ist eine Haltung, aber keine Politik. Es führt nur dazu, dass man ein gutes Gefühl hat, es ist pure Selbstbeweihräucherung. Aber man bewirkt nichts."

 

Naivität und Realitätsverlust 

Realität bezeichnet die Gesamtheit des Realen. Das Gegenteil ist die Illusion. Realität ist folglich alles, das keine Illusion ist und - darüber hinaus - nicht von den Phantasien bzw. Wunschvorstellungen oder den naiven Anschauungen, Meinungen und Überzeugungen eines Einzelnen abhängt. Realität basiert auf Vernunft und Verstand und setzt voraus, dass etwas in Wahrheit auch allgemein messbar genau so ist wie es erscheint. Mit subjektiven Meinungen, persönlichen Überzeugungen, persönlichem Glauben und Erwartungen hat Realität ebenso wenig zu tun wie mit den inneren Widersprüchen und den (ggf. als unangenehm empfundenen) Gefühlen und Konflikten, die sich aus der Konfrontation mit der Realität ergeben können.

 

Die Realität möglichst zu verdrängen und dadurch folglich "naiv" zu sein, gehört zu den Grundlagen des Menschseins und der Menschheit an sich. Die Realität ins Positive zu verzerren oder ganz zu verdrängen ist ein probates Mittel zur (zeitlich begrenten) Aufrechterhaltung oder Steigerung der Lebensqualität. Allein die Negierung bestimmter Hintergrundinformationen oder (möglicher) unangenehmer Folgen (Konsequenzen) aus eigenem Tun und Handeln kann dazu beitragen, die eigene Lebensqualität zu verbessern, nicht aber die der anderen. Die Realität naiv zu beschönigen oder unangenehme Realitäten zu negieren, zählt folglich zu den Grundsätzen menschlichen Denkens und Handelns.

 

Unter bestimmten Umständen können Menschen ihren Blick für die Realität völlig verlieren. Man spricht dann von einem Realitätsverlust. Dieser Verlust der Realität kann die Wahrnehmung, die geistige Haltung und das Denken umfassen und zu einem realitätsfremden bzw. realitätsfernen Handeln führen, das sich zumeist kontraproduktiv auswirkt. Manchmal kann realitätsfernes Denken und Handeln aber auch kreative Prozesse begünstigen, die dann zu einer völlig neuen eigenen Realität führen, die ggf. positiv ist. In letzterem Fall kann sich diese Phantasie-Realität aber ggf. zu Ungunsten des eigenen Umfeldes bzw. der anderen Beteiligten auswirken, zumindest aber aus der Perspektive der anderen sehr befremdlich anmuten.  

 

Es kann folglich sein, dass eine Person eine bereits nicht mehr funktionierende oder vorhandene Partnerschaft für sich weiterlebt, selbst dann, wenn das Gegenteil objektiv wahrnehmbar und messbar ist. Ebenso kann es sein, dass eine Person sich immer wieder erneut mit einer bestimmten Bewerbungs-Art und -Weise bei bestimmten Unternehmen bewirbt, obwohl genau jene Unternehmen nachweislich ganz andere Bewerber wünschen und die Art und Weise der Bewerbung an sich nicht zielführend ist. Selbst dann, wenn mehrere erfahrene Berater dies immer wieder betonen und auch die Arbeitgeber ihre Entscheidungen immer wieder kundtun, erfolgt das immer wiederkehrende gleiche naive Verhalten des Bewerbers.

 

Auch kann es sein, dass eine Person ihre finanzielle Situation nicht wahrhaben will, obgleich diese messbar ist: Obwohl kein Geld auf dem Konto ist oder nichts mehr nachkommt, geht die besagte Person immer noch dem gleichen Kauf- und Konsumverhalten nach oder steigert dieses sogar. Naivität und daraus resultierender Realitätsverlust kann auch zu einem Wahn führen - und zur sogenannten Umkehr: Gläubiger, die sich bei o.g. Schuldner einstellen, werden als Feinde gesehen, Forderungen als unberechtigt bzw. nicht real existent und unverschämt. Das Schuldverhältnis wird einfach herumgedreht. Das gleiche Umkehrverhalten kann sich auch bei dem besagten Bewerber- und Beziehungsbeispiel einstellen.

 

Menschen, die an Realitätsverlust leiden, finden für ihre Wahrnehmung und ihr Verhalten die abstrusesten naiven Erklärungen. So kann eine Person, die aufgrund überhöhten Schokoladen- bzw. Zucker-Konsums enorm zunimmt, vehement betonen, sie habe "schwere Knochen" oder es liege an der falschen "Schokoladen-Marke". Zumeist wird aber immer anderen die Schuld zugewiesen - und das mit den abstrusesten Erklärungen.

 

Naivität und Flüchtlingspolitik 2015

Bilder (tatsächlich und/oder vermeintlich) armer und hilfsbedürftiger Menschen, die auf naiven Nährboden stoßen, führen insbesondere über Emotionen und Involvement (teilweise sogar über zusätzliche Legendenbildung) dazu, dass die Grundregeln staatlicher Logik und Vernunft, ja sogar alle zuvor (aufgrund unzähliger vorausgegangener Terroranschläge) für dringend notwendig erachteten Sicherheitsregeln - einfach "über Bord geworden" werden. Das Gehirn klinkt quasi aus. Es kommt zu Realitätsverzerrungen und auch zu regelrechter Massenhysterie auf Seiten vieler Bürger sowie auf Seiten der Flüchtlinge, welche die Bekundung von Hilfsbereitschaft natürlich auf der ganzen Welt als Einladung erkennen, ihr Eigentum zu verkaufen und ins "gelobte Land" auszuwandern, wo es vermeintlichen Wohlstand und Sicherheit in Hülle und Fülle gibt. Der naive Glaube vom "gelobten Land" ist ebenso verständlich wie die Hilfsbereitschaft der Bürger im Lande selbst. Dass diese Hilfsbereitschaft aber zu einem inneren Schaden sowie einem Schaden bei den nachströmenden Hilfesuchenden führt, können viele Menschen allein aufgrund ihres naiven Ego-Involvements nicht erkennen. Ebenso wenig können sie erkennen, dass eine bestimmte Form der Hilfsbereitschaft bei allen Beteiligten zu einem Schaden führt und mittelfristig letztendlich das Gegenteil bewirkt wird. Naive Menschen denken zumeist sehr kurzfristig. Sie handeln vorrangig nach ihrem spontanen Gefühl und verhalten sich dabei sehr unkontrolliert:

 

Naivität und kurzfristige Hilfe

Naive Menschen denken zumeist sehr kurzfristig. Naive Menschen, die z.B. von einem vermeintlich hilfsbedürftigen und leidenden Alkoholiker um Hilfe in Form der Bereitstellung, Aushändigung oder Gabe von Alkohol gebeten oder sogar angefleht (Involvement) werden, werden dieser schädlichen und letztendlich ggf. todbringenden Bitte eher nachgeben als ein Mensch, der seine analytischen Fähigkeiten nutzt und in Relation zu seinen Emotionen kontrolliert einsetzt. Gleiches gilt im Falle hoch verschuldeter Menschen oder Staaten, die immer mehr Schulden machen oder für andere ähnliche Beispiele.

 

Die 2 Seiten der Naivität

Während sich naives individuelles Denken wider besseres Wissen als durchaus positiv erweisen kann und Entdecker- sowie Erfindertum erst möglich macht, wirkt sich insbesondere das Handeln wider besseres Wissen sehr häufig negativ aus z.B. wenn man negativ manipuliert und / oder betrogen wird und einem dadurch Nachteile oder ein Schaden entsteht. Ein solcher Schaden kann bereits entstehen wenn man aufgrund naiven Denkens bestehende Probleme nicht erkennt oder leugnet. Die Verzerrung und Leugnung der Realität gehört zu den Grundprinzipien der Naivität und geht mit dieser Wahrnehmungs- und Denkeigenschaft einher. 

 

Während sich das Leugnen und die Umdeutung bestehender Probleme z.B. in der Psychotherapie oder in Form methodisch eingesetzter (naiver) Glaubenssätze als durchaus positiv erweisen kann, führt ein naives Denken und Handeln dort wo viele weitere Menschen beteiligt sind (z.B. in der Politik, in der Wirtschaft und in der Finanzwelt) ggf. zu einem enormen Schaden. Es ist folglich deutlich zu unterscheiden, wann und wo Naivität zielführend und sogar eine Stärke und Tugend ist und wo und wann Naivität sich eher nachteilig auswirkt.

 

Mit einer gewissen Portion an Naivität können Kriege verhindert - aber auch erst möglich gemacht werden. Naivität kann einem Einzelnen oder einer einzelnen Nation dienlich sein, andere aber in den Abgrund stürzen, sofern sie dieser Naivität blindlings folgen und sie damit zu ihrer eigenen Naivität machen. Naivität behindert eine angemessene und richtige Einordnung und Bewertung von Fakten. Es kommt zu Fehlern in der Beobachtung (Beobachtungsfehler), Fehlern in der Wahrnehmung und Beurteilung (Wahrnehmungsfehler und Beurteilungsfehler) sowie zu entsprechenden Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen.

 

Das Gegenteil von Naivität ist Handeln nach Fakten, auf Basis von Vernunft und Verstand bzw. auf Basis von Logik (Logisches Denken) und/oder Sachverstand und Intelligenz sowie auf Basis von Klugheit und Bildung. Ebenso gegenteilig sind eine kritische Haltung, eine nüchterne Analyse und eine objektive Beurteilung.

 

Naivität und Image (Wahrnehmung & Vorstellung)

Imagetechnisch gelten menschliche Einschätzungen insbesondere dann als "naiv", wenn sie zu positiv sind. Negative Einschätzungen werden hingegen weniger als "naiv" bewertet. Im Rahmen wichtiger Entscheidungsprozesse (z.B. in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Finanzen) wird Naivität negativ bewertet. Im partnerschaftlichen bzw. sexuellen Bereich wird Naivität hingegen durchaus attraktiv wahrgenommen bzw. positiv empfunden. Das bezieht sich insbesondere auf die Wahrnehmung des weiblichen Geschlechts durch die meisten Männer. Hier wirken archaische Urinstinkte, die eine entscheidende Rolle für die Partnerwahl, das Schönheitsempfinden und die sexuelle Stimulanz haben. Frauen, die im Rahmen der Gender-Debatte weniger naiv wirken wollen, reduzieren bei der Mehrheit des männlichen Geschlechts (insbesondere mit Ausnahme devot veranlagter Männer) die Zuordnung von Attraktivitätswerten bzw. die Vorstellung von Attraktivität erheblich.

 

Kindische Naivität & kindliche Naivität - Was meint Schiller?

Der deutsche Dichter, Philosoph und Historiker Friedrich Schiller (1759 - 1805) unterscheidet zwischen "kindischer Naivität" und "kindlicher Naivität". Nach Schiller wird kindische Naivität belächelt, weil sie von Unverstand und Unvermögen herrührt. Kindliche Naivität wird hingegen als Stärke bewundert, weil man dahinter "ein Herz voll Unschuld und Wahrheit" erkennt, die "im Einklang mit der Natur" und "einig mit sich selbst und glücklich im Gefühl seiner Menschheit" ist. Schillers Erklärung passt auch noch heute sehr gut, um die zwei kontroversen Seiten von Naivität zu erklären.

 

Die positiven Seiten von Naivität

Man sieht das Leben und alles was damit in Zusammenhang steht (z.B. Umgang mit Menschen und mit Geld) lockerer, sieht weniger das Problem, als vielmehr die schönen Seiten des Lebens. Man glaubt an sich und weniger an das, was einen von seinen Zielen abbringt. Widersprüche und Widerstände werden geleugnet und geradewegs als Herausforderung betrachtet. Man macht sich über Normen erhaben und profitiert davon. Man denkt quer und neu, macht durch Entdeckungen und Erfindungen. Man definiert sich selbst und das Leben neu und erreicht dadurch komplexe Ziele, die für andere unerreichbar scheinen. Man erlebt Abenteuer, kann hoch hinaus steigen und weit kommen. Naive Menschen sind durch ihre Naivität in der Lage, sich ein schönes und angenehmes Leben zu gestalten, ggf. auch auf Kosten anderer. Das gelingt ihnen nicht nur über Naivität als Strategie, sondern auch über real gedachte und gelebte Naivität, die stets die Moral, das Verständnis und die Hilfe anderer anspricht.

 

Die positive Seite von Naivität wurde auch in Romanen und im Film aufgegriffen: Der abenteuerliche Simplicissimus beschreibt vermutlich über das entsprechende Alter Ego das erfolgreiche Leben des Autors Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Eine ähnliche Story ist die im 18. Jahrhundert handelnde Geschichte von Barry Lyndon. Stanley Kubricks mit vier Oscars prämierter Spielfilm basiert auf dem Roman „Die Memoiren des Junkers Barry Lyndon“ von William Makepeace Thackeray. Hier wird der Aufstieg und Fall des jungen und naiven irischen Abenteurers Redmond Barry zur Zeit des Siebenjährigen Krieges erzählt, der schließlich einen festen Platz im englischen Adel einnimmt, zum Schluss aber wieder abrutscht.

 

Als derart positive Eigenschaft kann Naivität auch in Form einer Tugend bei namhaften historischen Persönlichkeiten festgestellt werden. Allein aufgrund ihrer Unvoreingenommenheit waren sie in der Lage, bestehendem falschem bzw. veraltetem Wissen ohne Beschränkungen durch den Geist neutral gegenüberzutreten und bestehendes Wissen naiv zu hinterfragen. Hinzu kommt ihre kindliche Neugier, die frei von geistigen Fesseln – den Weg für bahnbrechende neue Entdeckungen und Erfindungen erst möglich machte. Dieser Vorteil von Naivität bezieht sich aber nicht nur auf Entdecker und Erfinder, die wider aller damals bestehenden Logik dachten und handelten, sondern auch auf bekannte Führungspersönlichkeiten, die gegen alle bestehenden Normen und Standesbeschränkungen ihren Weg von ganz unten bis zur Herrschaft über große Weltregionen gingen. Nicht nur Napoleon ist dafür ein Beispiel.

 

Die negativen Seiten von Naivität

Insbesondere beim vorgenannten Beispiel wird deutlich, dass man mit Naivität zwar weit kommt, bei genauer Betrachtung jedoch auch tief fallen kann (siehe auch Adolf Hitler), zumindest dann, wenn Naivität zum völligen Realitätsverlust führt oder wenn andere aufwachen, nicht mehr mitspielen und sich zur Wehr setzen. Hinzu kommt die unweigerliche Tatsache, dass Naivität zwar einem Individuum oder einer Gruppe helfen kann, im Gesamtkontext betrachtet, jedoch stets einen Nachteil für die Allgemeinheit zur Folge hat, zumindest dann, wenn Daten und Fakten bis zum Zusammenbruch bzw. Untergang geleugnet, verdreht und negiert werden. Die negative Seite von Naivität beinhaltet einen Schaden für jene, die sich plötzlich von der Realität eingeholt und konfrontiert finden. Dieser Schaden muss von klugen bzw. vernünftigen (vernunftsorientierten) Menschen wieder wettgemacht werden (Eltern haften für ihre Kinder!).

 

Naivität auf Kosten anderer
Naive Menschen schaffen es, ihr Leben "auf Pump" und auf Kosten anderer schön und angenehm zu gestalten. Schulden müssen irgendwann auch einmal bezahlt werden, zumindest dann, wenn die Gläubiger Vernunft und Verstand walten lassen. Der Naive profitiert nur solange von der Naivität der anderen wie diese den Schaden, der ihnen selbst dadurch entsteht noch erdulden können oder wollen.

 

Verbreitung von Naivität

Naivität ist ein weit verbreitetes Phänomen, das zusammen mit Dekadenz auftritt und u.a. auch der modernen Konsum- und Wohlstandsgesellschaft entspringt und von Politik, Werbung und Medien indirekt gefördert wird. Naivität basiert auch auf Wissen und Bildung und steht in Verbindung mit Intelligenz und Dummheit. Das Gegenteil von Naivität wäre Vernunft und Verstand. An Stelle von Logik bzw. logischem Denken (sinkend) kann eine steigende Moral verzeichnet werden. Die Tendenz in unserer Gesellschaft geht ganz klar in Richtung steigender Naivität. Der Heile Welt Naivitäts-Fehler kann immer häufiger festgestellt werden. Zugleich sinkt das gemessene individuelle Wissen immer weiter ab. 

Heile Welt-Naivitätsfehler

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Wie der Name es bereits sagt, basiert der "Heile Welt Naivitätsfehler" auf einer bestimmten Form der Naivität. wobei die Wahrnehmung auf subjektiven Theorien basiert, die im Laufe des eigenen Lebens und des persönlichen Sozialisationsprozesses gebildet werden. Dazu kann z.B. die Annahme einer "heilen Welt" gehören, in der - entgegen der Realität - alle Menschen oder besondere Personengruppen "gut und wohl gesonnen" sind.

 

Der Heile Welt Naivitätsfehler stellt eine Verzerrung bzw. Negierung der Realität bis hin zum Realitätsverlust dar und basiert auf bestimmten Menschenbildannahmen, die u.a. auf dem Phänomen der Selektiven Wahrnehmung sowie weiteren Wahrnehmungsfehlern basieren. Einer dieser Wahrnehmungsfehler, der mit dem "Heile Welt Naivitätsfehler" im Zusammenhang steht ist die "Massive externale Fokussierung"

 

Von den meisten anderen Wahrnehmungsfehlern unterscheidet sich der Heile Welt Naivitätsfehler insbesondere dadurch, dass er im Schwerpunkt Menschen betrifft, die durch einen ganz bestimmten Sozialisationsprozess bestimmte Denkmuster und Theorien entwickelt haben. Der "Heile Welt Naivitätsfehler" selbst umschreibt damit lediglich einen bestimmten Auszug der eigentlichen Untersuchung: Die weiteren Erkenntnisse der Social Cognition Forschung gehen jedoch noch viel weiter:

 

Das Gesamtproblem bezieht sich nämlich tatsächlich auf alle Menschen. Der "Heile Welt Naivitätsfehler" stellt nur einen Teil dar. Die Untersuchungen zum Heile Welt Naivitäts-Fehler konnten jedoch ergänzend herausstellen, dass bestimmte Persönlichkeits-Typen, Personengruppen und Gesellschaftskreise - allein über den Polarisierungseffekt und den jeweiligen Fokus der Aufmerksamkeit - noch stärker betroffen bzw. involviert (Involvement) sind.

 

Dabei handelt es sich um Menschen mit einem ausgeprägtem Gefühl in Bezug auf die eigene Sicherheit, bei denen die üblichen "Überlebens-Motive" weniger stark ausgeprägt sind. Das bezieht sich auch auf geringere "Existenzängste". Insbesondere Menschen aus finanziell abgesicherten bzw. wirtschaftlich oder sozial besser gestellten Kreisen und Schichten (z.B. viele Politiker) haben aufgrund Ihrer eigenen subjektiven Erfahrung und ihrer daraus resultierenden selektiven Wahrnehmung und Weltbildannahme ein sehr naives einseitiges Weltbild entwickelt, das auf eigenen Erfahrungen und Erwartungen basiert, nicht aber der messbaren Realität entspricht. Hinzu kommen Persönlichkeiten, die zur Ablenkung (ggf. eigener Probleme oder aus einer Art Langeweile heraus) einen massiven Fokus auf Externes richten, das sich von Ihnen selbst (ihrer Familie, ihrer Ordnung, ihrer Nation, ihrer Staatsbürgerschaft, ihrer Hautfarbe etc.) deutlich abhebt. Je höher die Gegensätze sind, desto höher das Interesse.

 

Der Heile Welt Naivitätsfehler tritt ebenso bei Menschen aus ganz bestimmten (z.B. politischen, religiösen oder philosophischen) Denk- und Wirkungskreisen auf, die bei ihren Wahrnehmungs- und Denkprozessen intuitiv auf spezielle (einseitige) Informationen zurückgreifen, die im Gehirn gesammelt wurden. Nicht selten steht der Heile Welt Naivitätsfehler in Verbindung mit sogenannter Selbstermächtigung sowie mit Selbstüberschätzung und Selbsterhöhung. Als Beispiel für den Heile Welt Naivitätsfehler seien hier ebenso Menschen (z.B. Politiker) mit einer bestimmten (zumeist einseitigen) politischen Gesinnung genannt.

 

Dieser Bereich wird aber auch völlig separat untersucht. Dabei handelt es sich um Menschen, die sich z.B. selektiv für bestimmte Gruppierungen bzw. Gesellschaftsgruppen bzw. für die unterstellte Annahme derartiger Gruppen engagieren und eine Art "Lobby" bilden z.B. für bestimmte Berufsgruppen oder vermeintlich benachteiligte Menschen" (Siehe dazu auch "Stereotype Schutzbedürfnis-Annahme inklusive Aufwertungs- und Abwertungs-Effekt), wobei diese Menschen aber alle anderen vernachlässigen, so sogar übergehen. Es erfolgt eine starke Polarisierung.

 

Beispiel: Ende August 2015 sagte z.B. ein führender SPD Politiker vor dem Hintergrund von Demonstrationen gegen den stetigen Zuwachs von Asylbewerbern vor laufender TV-Kamera: "Jeder Asylbewerber, der zu uns kommt, ist mehr Wert als die Deutschen, die jetzt hier dagegen demonstrieren." Vermutlich meinte er mit seiner Aussage radikale Randalierer oder andere kriminelle Persönlichkeiten - dennoch wird dies (bewusst oder unbewusst) so vermittelt, als beziehe sich das auf alle Menschen, die anders denken bzw. anderer Meinung sind.

 

Eine derart polarisierende Persönlichkeit "kennt" diese Unterscheidung nicht mehr. Sein Gehirn blendet die Möglichkeit des Vorhandenseins einer anderen Logik komplett aus, wodurch Meinungen anders denkender Menschen für ihn keinen Wert (mehr) besitzen. Vielmehr: Derartige Meinungen werden bereits als Meinung kriminalisiert. Die Wirkung des Effektes ist derart stark, dass selbst rechtsbewusste Persönlichkeiten aufgrund ihrer "fixen Idee" (oder gar eines "Wahns") ausblenden, dass es z.B. ein Recht auf freie Meinungsäußerung gibt.

 

Menschen, die dem Effekt unterlegen, gehen sogar so weit, dass ihr Streben dahin tendiert, der eigenen subjektiven Aufassung widersprechende (als widersprüchlich erscheinende) Rechte abzuschaffen oder umzuinterpretieren. Hier wirkt der Effekt der selbstwertdienlichen Verzerrung bzw. der Effekt der kognitiven Dissonanz-Reduktion. Diese selektive Wahrnehmung und Urteilsbildung, die aus dem Heile Welt Naivitätsfehler herrührt, führt zu einer Wahrnehmung, die von außen betrachtet, geradewegs "schizophren" anmuten kann - auch das Ausmaß der Selbstermächtigung. 

 

Die Denkweisen des früheren Hochadels ( insbesondere im 18. Jahrhundert) gelten hierfür als Beispiel. Als typisches Beispiel sei hier eine Aussage der absolutistischen französischen Königin Marie Antoinette (1755 - 1793) genannt. Als man ihr - der Überlieferung nach Jean-Jacques Rousseau entsprechend - mitteilte, dass das einfache Volk Hunger leide, soll sie gesagt haben: "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen (bzw. Stuten) essen."

 

„Es ist eine Tatsache, die mir in meiner praktischen Arbeit immer wieder überwältigend entgegentritt, dass der Mensch nahezu unfähig ist, einen anderen Standpunkt als seinen eigenen zu begreifen und gelten zu lassen“

(C.G. Jung, Psychoanalytiker und Zeitgenosse von Sigmund Freud)

 

Wie andere Menschen, die dem Heile Welt Naivitätsfehler unterliegen, so hatte auch Marie Antoinette ihren ganz eigenen Sozialisationsprozess durchlaufen, den sie selbst kurz vor ihrer Hinrichtung nicht ablegen konnte. Ihre letzten Worte am 16.10.1793 zu ihrem Henker, dem sie aus Versehen auf den Fuß getreten war: "Mein Herr, ich bitte Sie um Verzeihung, ich tat es nicht mit Absicht." Was hier ggf. etwas schrill anmuten mag, ist jedoch jedem Menschen zu eigen, der ganz bestimmte subjektive Theorien verfolgt, die ihm über einen bestimmten Sozialisationsprozess zu eigen geworden sind. Derartige Wahrnehmungs- und Denkmuster können - ähnlich wie bei einem Wahn - selbst leider weder erkannt noch hinterfragt werden wie dies bei überbewerteten (überwertigen) fixen Ideen noch möglich ist. Erst kurz vor ihrer Hinrichtung erlangte Marie Antoinette eine realistischere Sicht der Dinge, schließlich ging es jetzt auch bei ihr um die nackte Existenz. Sie soll gesagt haben: "Erst im tiefen Leid erkennt man, wer man wirklich ist."

 

Woher kommt die Bezeichnung "Heile Welt Naivitätsfehler"? Oft haben Menschen, die dem Heile Welt Naivitätsfehler unterliegen, einen regelrechten Hang zum naiven Glauben an ein "heiles Weltbild", das z.B. die Annahme einschließt, die meisten Menschen bzw. andere seien gut, ehrlich, harmlos etc. Dies führt dazu, dass negative Aspekte, Bedrohungen, Gefahren etc. zur Aufrechterhaltung der eigenen Realität bzw. des eigenen Selbstwertes einfach übersehen, uminterpretiert, klein gedacht, weggedacht oder sogar negiert werden. Es handelt sich folglich um eine künstliche Richtigstellung der subjektiven "Realität" und damit um eine Verzerrung der Realität.

 

Auf das einzelne Individuum hin betrachtet, kann der Heile Welt Naivitäts-Fehler eine sehr positive Seite haben. Genau so ist der Effekt nämlich von der Natur auch gewollt. Er dient der gehirnökonomischen Vereinfachung zwecks schnellen Handelns insbesondere in Bezug auf Gruppen (z.B. schnelle und nachhaltige Freund-Feind-Erkennung. Auch dient er - zumeist unbewusst - der Aufrechterhaltung des eigenen Selbst- und Weltbildes, selbst wenn das Weltbild eben nicht der Realität entspricht. Das Gefühl bleibt zumindest erhalten und das Selbstbild findet entsprechende Bestätigung. Was in früheren Tagen (z.B. in der Steinzeit noch sehr sinnvoll und sogar überlebenswichtig war) ist in der heutigen modernen Zivilisationsgesellschaft jedoch arg bedenklich und - angesichts moderner Strukturen, Mittel und Waffen - zugleich sehr gefährlich.

 

Es besteht die Gefahr der Begünstigung negativer Strömungseinflüsse sowie die Gefahr der Bekämpfung bestimmter Personengruppen (z.B. "das internationale Judentum" im Dritten Reich, die Aufnötigung vermeintlicher "Politischer Korrektheit" und moralischer Werte, die erneute Unterdrückung und Bekämpfung Andersdenkender).

 

Die aus dem Wahrnehmungsfehler resultierende Verzerrung (zumeist in Form von "Verdrängung der Realität", von "Schönreden" und "Polarisieren") führt zugleich zur Stärkung negativer Strömungen, die sich weiter entwickeln können, gestärkt werden und letztendlich selbst jene Gruppen unterwandern und zerstören, die der "naive" "Heile-Welt-Mensch" eigentlich selbst stärken will. Selbst wenn um einen herum gelogen, betrogen und gemordet wird, nehmen Menschen, die dem Heile Welt Naivitäts-Fehler unterliegen, dies nur bedingt oder sehr einseitig (z.B. zu Gunsten der Täter bzw. bestimmter Täterkreise) wahr.

 

Darüber hinaus neigen sie dazu, Täter bzw. negative Strömungen insbesondere dann zu verharmlosen oder zu entschuldigen, wenn diese aus bestimmten kulturellen und/oder religiösen und / oder sozialen Gruppen stammen (die dem eigenen Weltbild nach schwächer erscheinen), selbst wenn es sich nachweislich lediglich nur um die rein phantastische Annahme handelt, dass diese zu einer derartigen Gruppe zu zählen sind. Es besteht die unbegründete Angst besteht, diese Menschen durch bestimmte Maßnahmen zu diskriminieren. Gleichzeitig erfolgt aber eine direkte oder indirekte Diskriminierung jener Menschen, die eben nicht von der naiven Heile-Welt Theorie ausgehen.

 

Dadurch treten Maßstabsfehler wie z.B. der Milde-Effekt (Leniency-Effekt), der Großzügigkeitsfehler (Generosity error) oder die Tendenz zur Mitte (Fehler der zentralen Tendenz) in Kraft, insbesondere dann, wenn ein indirektes Ego-Involvement oder ein Politisches Involvement (bewusst oder unbewusst) vorliegt. Dies führt dann dazu, dass der Beobachter bzw. Beurteiler eine zu beurteilende Person oder Personengruppe positiver bewertet, als sie objektiv gemessen ist.

 

Der Effekt steht im Zusammenhang mit vielen weiteren Wahrnehmungsfehlern:

Dazu zählen sehr subjektiven Menschenbildannahmen, Kontrastfehler (wobei der Beobachter bzw. Beurteiler fälschlicherweise annimmt, andere Menschen seien gleichgeartet wie er selbst), Projektionsfehler (bei dem eigene Einstellungen, Ansichten, Erfahrungen, Motive etc. in andere hineinzuprojiziert werden und quasi von sich selbst auf andere geschlossen wird). Maßstabs- und Skalierungsfehler z.B. bei der Verfälschung, Uminterpretierung oder Auslegung von Statistiken können ebenso mitspielen wie Konformitätsdruck, wobei man bestrebt ist, sich möglichst Gruppenkonform zu verhalten, was sich hier jedoch selektiv auf eher einseitige Gruppen bezieht. 

 

Eine ebenso wichtige Rolle spielt der Social-Cognition-Effekt, schließlich geht man naiv davon aus, dass man sich und seine Umwelt (trotz subjektiver bzw. einseitiger Sicht) realistisch und richtig einschätzt. Bei der Beobachtung und Wahrnehmung setzt der Mensch daher gezielt kognitive Ressourcen ein, um die ihm zur Verfügung stehenden Informationen so zu ordnen und zu interpretieren, dass sie seiner eigenen Logik möglichst nicht widersprechen. Das kann schlimmstenfalls dazu führen, dass Täter (z.B. Kriminelle) entschuldigt oder sogar hofiert werden und sich die der Unmut, die Ablehnung oder der Zorn sogar gegen diejenigen wendet, die es zur Aufgabe haben, Täter zu suchen, zu finden, zu verurteilen und vor ihnen zu warnen.

 

Weitere Beispiele

a) GSG-9-Einsatz in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, bei dem die RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams im mecklenburgischen Bad Kleinen festgenommen werden sollten. Die Festnahme von Birgit Hogefeld verlief zwar "erfolgreich", aber eben nicht für die Terroristen: Bei dem anschließenden Feuergefecht kamen Wolfgang Grams und der GSG-9-Beamte Michael Newrzella ums Leben. An Stelle des Erfolges wurden vielmehr die Polizisten öffentlich "in die Mangel" genommen, die sich als "Täter" rechtfertigen mussten, warum sie die Terroristen getötet haben. Die Tötung der Terroristen im Einsatz wurde hier mit einer "Ermordung" gleichgesetzt.

 

b) Geiselnahme von Gladbeck - auch bekannt als Gladbecker Geiseldrama -  im August 1988, in dessen Verlauf drei Menschen starben. Die Täter Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner überfielen am 16. August 1988 die Filiale der Deutschen Bank im nordrhein-westfälischen Gladbeck, nahmen im Anschluss daran mehrmals ungehindert Geiseln und flüchteten mit ihnen zwei Tage lang ebenso ungehindert durch Deutschland und die Niederlande. Die Geiselnahme endete am 18. August 1988 in einer umstrittenen Polizeiaktion auf der A3 bei Bad Honnef. Während der Flucht erschoss Degowski den 15-jährigen Emanuele De Giorgi und bei der Verfolgung in den Niederlande kam ein Polizist ums Leben. Eine zweite Geisel, die 18-jährige Silke Bischoff, starb während der abschließenden Polizeiaktion auf der Autobahn. In den entführten Bus stiegen begeisterte Journalisten ein, fuhren die meiste Zeit im Fluchtfahrzeug mit und behinderten die Polizeiarbeit in erheblichem Maße. Kritisiert wurde jedoch überwiegend die Polizei, der sogar der tödliche Schuss unterstellt wurde, obgleich dieser nachweislich aus der Waffe Rösners stammt.

 

c) Selbst friedliche Demonstrationen gegen radikale islamistische Bestrebungen im Jahre 2014 und 2015 werden kriminalisiert, die Tatsachen umgekehrt (Umkehr) und ohne echte demokratische Hinterfragung unmittelbar in die rechtsradikale Ecke gedrängt, wobei die Demonstranten direkt oder indirekt als "Nazis" dargestellt werden (Stereotype), obgleich kein direkter Zusammenhang besteht oder zumindest nicht nachgewiesen ist. Zusätzlich werden die Demonstranten als Minderheit dargestellt und Gegendemonstranten als Mehrheit. Der Islamismus wird selbst gegen die Auffassung von Islamismus-Forschern und Augenzeugen eher generalisiert in die positive Richtung ausgelegt und öffentlich geäußerte Gegenstimmen aus Fachkreisen (auch von Polizeiorganen und Polizeigewerkschaft) tendenziell unterdrückt bzw. zurückgehalten. Es sind Bestrebungen zu beobachten, die Ängste der Bürger zu verdrängen oder zu negieren. Ebenso kann beobachtet werden, dass die Gefahr von Anschlägen und sonstigen Auswirkungen heruntergespielt wird, nicht nur um Ängste zu lindern und Aufruhr zu vermeiden, sondern auch um das naive Heile-Welt-Bild weitestgehend aufrechtzuerhalten, selbst dann, wenn es bröckelt. Hier wirkt auch die Angst, sich durch offene Äußerung unbequemer Meinungen ein spezielles oder gar negatives Image zugeschrieben zu bekommen. 

 

d) Der gleiche Effekt führte dazu, dass sich der Nationalsozialismus, der ursprünglich durch eine eher verfolgte Minderheit vertreten wurde, schließlich gegen die Stimmen vieler (der meisten anderen) durchsetzen (durchmogeln) konnte und schließlich zur Politik und Ideologie der Masse wurde (Anpassung und Unterdrückung). Der starke Beliebtheitsfaktor bei einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe führte im Zusammenspiel mit Ängsten und bestimmten Erwartungen, natürlich auch mit Hilfe der Propaganda, der Medien und populärer Fürsprecher und Vorbilder (bzw. Scheinvorbilder wie etwa der populäre Erste Weltkriegs-Veteran Hindenburg) zur Umkehr der vorausgegangenen Logik. Dies sogar, obgleich Hitlers wahre Intentionen sogar in seinem sehr früh veröffentlichtem Buch "Mein Kampf" Wort für Wort nachzulesen waren. Nach Zusammenbruch des Dritten Reiches wollten fast alle Menschen und Handelnden dagegen gewesen sein und nichts gewusst haben: Dies war nicht nur reiner Vorwand, sondern erfolgte auch auf der Grundlage diverser Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehler, bei denen die Erinnerung im Nachhinein stark verzerrt wird, um das eigene Selbstbild zu schützen und Kognitive Dissonanzen zu bekämpfen.

 

e) Selbst im Militärwesen wirkt der Heile Welt Naivitäts-Fehler z.B. wenn Befehlshaber oder hohe Offiziere davon ausgehen, es könne ihnen und/oder ihrer Truppe (selbst bei objektiv vorliegenden anders gearteten Situationen oder Kräfteverhältnissen nichts passieren. Beispiel: Französische Ritterschaft bei Agincourt am 25. Oktober 1415 mit der Folge, dass das viel größere und stärkere französische Ritterheer von einem viel kleineren und qualitativ schwächerem englischen Heer vernichtend geschlagen wurde, weil sich die Franzosen zu selbstsicher bzw. selbstverständlich verhielten. Ein weiteres militärisches Beispiel stellt General George Armstrong Custers  Einschätzung der Sachlage und sein Verhalten in der Schlacht am Little Bighorn am 25. Juni 1876 dar. Hier wurde das 7. US-Kavallerieregiment von Indianern der Lakota-Sioux, Arapaho und Cheyenne vernichtend geschlagen bzw. völlig aufgerieben. Die Niederlage ist der falschen Wahrnehmung und daraus resultierenden falschen Lage-Einschätzung Custers zuzuschreiben, der seine konzertierte Kampfkraft waghalsig schwächte und viel zu selbstsicher dachte und handelte, ähnlich wie z.B. Hitler dies tat bzw. seiner Generalität regelmäßig anordnete. Selbst wenn er die Nachricht erhielt, der Gegner sei übermächtig und die eigene Armee zu stark geschwächt oder sogar kurz vor der völligen Aufreibung, befahl er mit hoher Sieges-Gewissheit Durchhalten oder sogar Angriff. Aber bereits Hitlers und Custers Auffassung selbst entsprach dem Heile-Welt-Naivitätsfehler, schließlich gingen beide von bestimmen kulturellen Idealen aus und polarisierten und verzerrten das entsprechende Freund-Feind-Bild (die überlegene "weiße" bzw. "arische" Rasse gegen den "bösen Indianer", den "bösen Bolschewismus" und das böse "Weltjudentum"). 

 

f) Der Fehler tritt auch bei Coaches auf, die bestrebt sind, ausschließlich Klienten zentriert zu arbeiten, wobei unangenehme Wahrheiten, schwerwiegende Persönlichkeitsdefizite oder Persönlichkeitsstörungen, Umwelteinflüsse und schwerwiegende Abhängigkeitsverhältnisse, die ggf. sehr offenkundig und nicht zu leugnen sind, entweder verharmlost, außen vor gehalten oder nicht offen und ehrlich angesprochen werden (Falsches Feedback, Verharmlosung, Weglassen von Informationen, übertrieben positives und visionäres Denken)

 

Ergänzungen (zu den Beispielen)

von der Sozialwissenschaftlerin, Politologin und Extremismus-Expertin Meral Bayuk:

"Wenn wir Profile von Attentätern mit radikal fundamentalistischen Tendenzen analysieren, kann man folgendes feststellen: Die Entschuldigung, dass z.B. die "Attentate des  11. Septembers" nur auf einzelne Individuen gerichtet sind und keine religiös motivierte Absicht dahinter steckt, ist aus heutiger Sicht falsch interpretiert. Auch, dass der radikale Wandel von Personen nur deshalb vollzogen wurde, weil die Personen aus einem instabilen familiären Umfeld bzw. Milieu stammen, ist keine Erklärung für diese Taten. Die Täter vom 11. September hatten einen hohen Bildungsstand und sie wurden in Deutschland sozialisiert. Der Stereotyp eines radikalen jungen, ungebildeten und von der Gesellschaft isolierten Terroristen wird schnell als die Ursache für seine persönlich motivierte Handlungsweise erklärt. Der sogenannte "Einsamer Wolf-Typ"Typ lässt sich nicht belegen, weil die Taten selber durch und durch systematisch durchorganisiert, geplant und koordiniert sind. Der an eine heile Welt glaubende Wahrnehmende tendiert jedoch dazu, systematische Organisationen zu verdrängen und dies als Außenseiter-Bereich zu erklären.

 

Der Politikwissenschaftler Samuel Huntington hat es in seinem Buch "clash of civilizations" auf dem Punkt gebracht:

Mit dem Ende des kalten Krieges konnten sich neue Formen der Gewaltsamkeit bilden und sich geografisch verlagern. Mit dem Umbruch des Ost-West Konfliktes kommt es immer wieder zu regionalen Kriegen und somit zur Wiedererstarken des Islams (Neo-Islam). Auch im aktuellen Fall von Paris betont Ayaan Hirsi Ali eine Politikwissenschaftlerin, dass dieser Konflikt direkt etwas mit dem Islam zu tun hat. Tatsächlich gebe es z.B. im Koran zahlreiche Koranverse, die eine klare Gewaltdoktrin beinhalten und z.B. zum Mord an sogenannten Ungläubigen aufruft. Dies wird jedoch von Menschen, die z.B. dem Heile Welt-Fehler unterliegen, gerne verdrängt und/oder zumindest umgedeutet. Ayaan Hirsi Ali stützt Ihre These z.B. durch eine Analyse des pakistanischen Generals Malik. Malik kam z.B. zu der Erkenntnis, dass der Schlüssel zum Sieg die Verbundenheit zu Allah und seinem Propheten Mohammed ist. Aus seiner Sicht, sei der Terror die legitimste Form, die mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln Ihren Zweck erfüllt und letztendlich ihr Ziel erreicht.

 

Die Verdrängung von Tatsachen durch den Heile-Welt-Fehler führt dazu, dass Tatsachen und gesellschaftliche Missstände nicht offen ausgesprochen und sachlich diskutiert werden. Stattdessen kommt es zu einem Vermeidungsverhalten und zu Ängsten, sich kritisch zu äußern z.B. um auf religiöse Gefühle Rücksicht zu nehmen. Ayyan Hirsi Ali: "Denn die Seele des Westens ist der Glaube an Gewissens- und Meinungsfreiheit. Es ist die Freiheit, unsere Sorgen auszusprechen, die Freiheit anzubeten wen wir wollen oder nicht wollen." Der Heile Welt Naivitäts-Fehler führt jedoch schnell zum Gegenteil." 

 

Wir sollten unseren Kindern nicht vorgaukeln, die Welt sei heil.

Aber wir sollten in ihnen die Zuversicht wecken, dass die Welt nicht unheilbar ist.

(Johannes Rau (1931-2006), ehemaliger Minister-Präsident von NRW und Deutscher Bundespräsident) 

 

Weitere Zusammenhänge

Ein Zusammenhang besteht auch mit dem Wahrnehmungsfehler aufgrund falscher Grundannahmen (Gesellschaftliche Erwartungen und Manipulationen). Das menschliche Denken und Handeln basiert auf unzähligen und teilweise

sehr naiven Fehlannahmen, die sich zu regelrechten "Wahrheiten", "Überzeugungen" und "Glaubenssätzen" manifestieren. Aus diesen Glaubenssätzen manifestiert sich unsere Erwartung und damit auch unsere Erfüllung oder Nicht-Erfüllung bzw. die Bestätigung unserer Erwartung (Psychol.: Erwartungsfehler). Dies führt zu vielen Beobachtungs-, Beurteilungs- und Wahrnehmungsfehlern auf denen dann alle neuen Erkenntnisse basieren. Die Basis auf der wir wahrnehmen und wirken bzw. das, was wir als "Erkenntnis" ansehen, ist Wirklichkeit häufig falsch und in der Realität aberwitziger Irrsinn, nach dem wir jedoch handeln oder handeln müssen. Weitere Wahrnehmungsfehler, die mit dem Heile-Welt-Naivitäts-Fehler in Verbindung stehen:

 

Stereotype Schutzbedürfnis-Annahme

(inkl. Aufwertungs- und Abwertungs-Effekt)

In der Bewertung von Menschen in ihren unterschiedlichen Rollen sowie von Sachverhalten in Bezug auf bestimmte Menschen und ihre Rollen, verschieben Menschen (vorrangig mit einem bestimmten Persönlichkeits-Typus, der dem Heile-Welt-Naivitäts-Schema entspricht) ihre subjektive Bewertungs-Skala auf Basis stereotyper Annahmen zugunsten bestimmter Stereotype (Bevorzugung) - gleichzeitig automatisch aber auch zu Ungunsten (Ablehnung) anderer Stereotype. Insgesamt entsteht dadurch eine Übervorteilung eines bestimmten Stereotyps, wobei nicht nur die Anwesenheit, sondern bereits allein die Vorstellung eines Stereotyps ausreicht. Hinzu kommt, dass die Verschiebung der Skalierung sowie die darauf basierenden Urteile und Entscheidungen unabhängig von den tatsächlich vorliegenden objektiven Tatsachen und Umständen erfolgt.

 

Entsprechende Experimente zeigten, dass (bestimmte) Menschen (unter bestimmten Voraussetzungen) ganz klar Partei für jene Menschen ergreifen, denen sie ein Schutzbedürfnis unterstellen, obgleich dies objektiv nicht vorliegt. Dabei kommt es zu derart starken Verzerrungen, dass die Tatsachen völlig verdreht werden. In einem Experiment wurde ein vermeintlicher Straftäter (= negativ, böse, gefährlich) von vermeintlichen Ordnungskräften (= positiv, Helfer, gut) sichtbar gestellt und höflich gebeten, sich auszuweisen. Der vermeintliche Straftäter forderte die umstehenden Personen auf, ihm zu helfen (Hilferuf = Schutzbedürfnis). Ein großer Teil der Beobachter folgte diesem Aufruf, wodurch die Tatsachen-Verhältnisse völlig umgekehrt wurden. Die Ordnungskräfte wurden abgedrängt, verbal angegriffen oder festgehalten).

 

Auch andere Reize führten zu der Wahrnehmung des vermeintlichen Schutzbedürfnisses (weibliches Geschlecht versus Mann, optisch sozial-ökonomisch schwach wirkend gegen Uniform, schwächelnde Körperhaltung und Bewegungen versus aufrechte Haltung und stabile Körperproportionen, Mensch mit anderer Hautfarbe versus hellhäutig, einer versus zwei). Stets wurde die Gegenseite am Walten von Recht und Ordnung gehindert oder zumindest eingeschränkt. Die Versuchspersonen beschrieben Gefühle wie "Mitleid" und auf der anderen Seite "Wut", jedoch nie nach geltenden logischen Prinzipien.

 

Ein anderes Experiment, in dem fiktive  rechtliche Entscheidungen getroffen werden sollten, zeigte, dass die Urteile stets zu Gunsten der Stereotype erfolgte, welche die Versuchspersonen von ihrer Persönlichkeit her für subjektiv schutzbedürftig hielten. Das Urteil richtete sich stattdessen gegen die vermeintlichen Kläger/Ankläger. Selbst der Mörder eines vermeintlich älteren Herren wurde für unschuldig erklärt. Der experimentellen Fallbeschreibung war der vermeintliche Täter ein vermeintlicher Jugendlicher vermeintlich ethnischer Abstammung, der älteren Herrn wurden vermeintlich rassistische Äußerungen unterstellt.

 

KK-Fehler / Kaiser-Fehler

Vom Wortlaut her ist der Kaiser-Fehler (KK-Fehler = Kaisers-Kleider-Fehler) angelehnt an das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Das besagte Märchen von Hans Christian Andersen handelt von einem Kaiser, der sich von zwei Betrügern für viel Geld neue Gewänder weben lässt. Man macht ihm weis, die Kleider könnten nur von Personen gesehen werden, die ihres Amtes würdig und nicht dumm seien. Tatsächlich geben die Betrüger jedoch nur vor, zu weben. Dass der Kaiser die Kleider nicht sehen kann, weil diese gar nicht da sind, gibt er nicht zu – und auch die Menschen seines Hofstaates geben ihre Begeisterung über die scheinbar schönen Stoffe lediglich vor.

 

Die Geschichte vom Schalksnarr Till Eulenspiegel im Marburger Schloss ist ähnlich. Das Phänomen, über das bereits uralte Geschichten - sowohl mit Schalk im Nacken - als auch mit warnender Botschaft - berichteten, ist nichts anderes als die beispielhafte Beschreibung dessen, was man in der Psychologie einen Wahrnehmungsfehler nennt. Der "Kaiser-Fehler" stellt geradewegs ein buntes Potpourri bzw. das Zusammenspiel mehrerer Wahrnehmungsfehler und Effekte dar. Naivität, Glaube und Erwartungen spielen hier ebenso eine Rolle wie der Effekt der "Sozialen Wahrnehmung", der Selbstwert-Effekt und weitere Wahrnehmungsfehler, denen wir Menschen generell unterliegen - und bestimmte Persönlichkeits-Typen ganz besonders. 

 

Moderne Experimente, in denen z.B. vermeintliche "Kunstwerke" beschrieben und bewertet werden sollten, obwohl es sich dabei lediglich um Farbkleckse ohne jeglichen Sinngehalt oder um wertlose Alltagsgegenstände (aus dem Müll) handelte, zeigten, dass die Versuchspersonen unter bestimmten vorliegenden Voraussetzungen und Bedingungen (bestimmter Persönlichkeitstyp ähnlich wie beim "Heile Welt Naivitätsfehler" + Nennung "Kunst") die gezeigten sinn- und wertlosen Gegenständen mit phantastischen Zuschreibungen belegten.

 

Zusätzlich erfolgten sehr hohe Wertzuschreibungen, die wesentlich höher lagen als bei der Kontrollgruppe, denen echte wertvolle Gegenstände gezeigt wurden. Die Versuchspersonen (mit dem besagten Persönlichkeits-Typus) schrieben den Klecksen und Gegenständen besondere künstlerische Intention zu und beschrieben das, was der Künstler angeblich bzw. vermutlich damit gemeint haben könnte bzw. zum Ausdruck bringen will. Selbst eine tote Fliege wurde interpretiert und überbewertet. 

 

Dem vermeintlichen Künstler wurde "hohe Kunst" zugeschrieben, ja sogar ein regelrechter Genius unterstellt, während eine andere Gruppe (Menschen, die vom Typ her nicht dem Heile-Welts-Naivitäts-Persönlichkeits-Schema entsprechen) lediglich das beschrieben, was sie sahen: Eine tote Fliege, Kleckse, wertlose Gegenstände oder regelrechten Müll bzw. Abfall.

 

Verbindung mit dem Stockholm Syndrom

Der Heile Welt-Naivitätsfehler steht in einem Zusammenhang mit dem Stockholm-Syndrom. Darunter versteht man ein psychologisches Phänomen, das mit einer Verdrehung des Täter-Opfer-Verhältnisses zur Vermeidung kognitiver Dissonanzen im Rahmen der Umkehrung der Realität einhergeht. Obwohl es sich um eine völlig menschliche sogenannte Defensiv-Attribution handelt, wirkt das Verhalten der vom Stockholm-Syndrom Betroffenen wie eine Schizophrenie oder eine Art masochistische Persönlichkeitsstörung. Im Zuge des Stockholm-Syndroms bauen Opfer von Straftaten ein positives emotionales Verhältnis zu den Tätern auf. Untersucht wurde dies insbesondere am Beispiel von Vergewaltigungen und Geiselnahmen, bei denen die Opfer ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Vergewaltigern und Entführern aufbauten.

Aus psychologischer Sicht handelt es sich beim sogenannten Stockholm-Syndrom um einen Denkfehler, der bewirkt, dass das Opfer mit den Tätern sympathisiert und mit ihnen kooperiert. Vom Wesen der Erscheinung her vergleichbar ist der entstehende Denkfehler in etwa mit dem Einfluss des Gehirnparasiten Toxoplasma gondii, der das Gehirn bei entsprechender Infektion derart umprogrammiert, dass sich die sogenannten "Zwischenwirte" des nichtmenschlichen Einzellers zu ihren potentiellen Feinden geradewegs magisch hingezogen fühlen. Ziel des Einzellers ist hier die Herbeiführung des Todes des Zwischenwirtes, um nach Möglichkeit - so das Programm - in den Darm des Ausgangswirtes (Ursprung ist die Katze) zu gelangen.

 

Es gibt jedoch einen gravierenden Unterschied: Beim Stockholm-Syndrom handelt es sich um keine Infektion, folglich eine Krankheit bzw. eine Schizophrenie auslösende Umprogrammierung durch einen Parasiten, sondern um eine auf psychologischem Wege selbst herbeigeführte Umprogrammierung des Denkens, welches dem seelischen Selbstschutz zur Verarbeitung kognitiver Dissonanzen dient, ähnlich wie die selbstwertdienliche Verzerrung im Zuge des Selbstwert-Effekts.

Es handelt sich folglich um keine Krankheit, sondern lediglich um einen psychologischen Effekt zur Bewältigung traumatischer Ereignisse, die den eigenen Selbstwert gefährden und das eigene Weltbild derart in Frage stellen, dass es zu kognitiven Dissonanzen kommt, die der Mensch tunlichst verarbeiten will, was dann für objektive Außenstehende wie eine Schizophrenie anmutet.

Zurückgeführt wird der Begriff ursprünglich auf das Geiseldrama am Norrmalmstorg vom 23. bis 28. August 1973 in Schweden. Damals wurde eine Bank in Stockholm überfallen und vier Angestellte als Geiseln genommen. Hier wurde erstmals beobachtet, dass die Geiseln aufgrund des besagten Effektes eine regelrechte Zuneigung zu den Geiselnehmern entwickelten. Dies führte dazu, dass sie letztendlich mehr Angst vor der Polizei als vor ihren Peinigern hatten. Auch nach der Beendigung der Geiselnahme empfanden die Geiseln keine der üblichen gesunden negativen Gefühle wie zum Beispiel Hass auf die Täter. Sie waren ihnen sogar dankbar, baten um Gnade für die Täter und besuchten sie im Gefängnis.

Während das Phänomen aus psychologischer Sicht auf einer Art selbstwertdienlichen Verzerrung im Rahmen des Selbstwert-Effekts im Zuge des Wirkungsprinzips der kognitiven Dissonanz-Reduktion basiert, spricht man in der Psychiatrie vom Prinzip der sogenannten "Umkehr", welches man von der Schizophrenie und der Wirkung des Gehirnparasiten Toxoplasma gondii kennt, der durch Manipulation des Gehirns dazu führt, dass sich Tiere und Menschen bei Befall mit dem Einzeller zu ihren "Fress"-Feinden geradewegs magisch angezogen fühlen und sich ihnen - wie in diversen Experimenten (u.a. an Ratten und Flohkrebsen) gezeigt, bereitwillig ausliefern, um getötet bzw. gefressen zu werden. 

 

Im Zusammenhang mit dem Stockholm-Syndrom auffällig, ist bei Menschen auch die Verdrehung (exakte 1:1 Umkehr der Tatsachen), sofern es sich um Täter-Opfer-Verhältnisse handelt. Laut Andreas Köhler handelt es sich beim Stockholm-Syndrom aber nicht zwingend um ein psychiatrisches Problem, sondern eines, dass sich unabhängig von einer psychischen Erkrankung rein psychologisch anhand des Wirkungsprinzips zur Bewältigung kognitiver Dissonanzen (Effekt der kognitiven Dissonanz-Reduktion nach Köhler) erklären lässt. Konkret handelt es sich laut Köhler um eine sogenannte Defensiv-Attribution, die der Vermeidung von Hilflosigkeit dient:

Das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht, bestimmten Situationen ausgesetzt zu sein, selbst aber nichts dagegen unternehmen zu können, ist für Menschen nämlich derart unerträglich, dass sie sich zum Zwecke der Verteidigung bestimmte Dinge einreden (Bildung von Defensiv-Attributionen) und daran glauben. Derartige Defensivattributionen mildern das Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht ab. So geben sich zum Beispiel Opfer einer Gewalttat - um das unerträgliche Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht abzumildern - selbst eine gewisse Mitschuld. Unbeteiligte Außenstehende machen es ihnen gleich: Um sich selbst einreden zu können, sie seien selbst gegen ähnliche Vorkommnisse immun, schreiben sie Opfern automatisch eine Mitschuld zu (sogenannte Opfer-Abwertung).

 

Laut Köhler ist das Stockholm-Syndrom folglich auf kognitive Dissonanzen und damit verbundene Selbstwertdienliche Verzerrungen zur künstlichen Um-Erklärung der eigenen Weltanschauung zurückzuführen und auf Defensiv-Attributionen zurückzuführen, sofern das Erleben der Realität bzw. der persönlichen Erfahrungen nicht mehr dem ursprünglich verinnerlichtem Weltbild entspricht.

 

Anstatt das eigene Weltbild zu hinterfragen und entsprechend umzulernen, sind die Betroffenen bemüht, ihr Weltbild mit den ihnen zur Verfügung stehenden kognitiven Mitteln, zu denen die Nutzung der eigenen Vorstellungskraft (=Phantasie) gehört, aufrechtzuerhalten. Dies mündet dann letztendlich in ein Denken, das auch Schizophrenie-Patienten nutzen, um ihren krankhaften Gesundheitszustand umzuinterpretieren.   

 

Die Erkenntnis der Sozialpsychologie

Es geht aber nicht nur um Wahrnehmungsfehler und -Effekte, denen schwerpunktmäßig lediglich bzw. vorrangig bestimmte Persönlichkeits-Typen oder bestimmte Gesellschaftsgruppen verfallen: Tatsächlich wirken derartige Wahrnehmungsverzerrungen bei allen Menschen - unabhängig von sozialer bzw. sozioökonomischer Schicht, Intelligenz und Bildung. Dies zeigen die Erkenntnisse der Social Cognition-Forschung.

 

Folglich stellen Phänomene wie der "Heile-Welt-Naivitätsfehler", der "Kaiser Effekt" bzw. "Kaisers-Kleider-Effekt" und die Stereotype Schutzbedürfnis-Annahme (inkl. Aufwertungs- und Abwertungs-Effekt) auszugsweise lediglich ein Detail-Problem dar, das in Wirklichkeit aber alle Menschen bzw. die komplette Gesellschaft betrifft - und eben nicht nur ausschließlich Menschen mit naiven Vorstellungen z.B. von einer heilen Welt oder zum Schutze vermeintlich hilfsbedürftiger Menschen usw.

 

Das gesellschaftliche Problem, das aus dem Phänomen resultiert

Nun mag man sich denken: "Wer so naiv ist, Abfall als Kunst anzuerkennen, wer Straftätern hilft und die Ordnungshüter bestraft, ist einfach nur dumm und schadet sich letztendlich selbst." Wer so denkt, verkennt die Gefahr des Problems, denn die Menschen sind nicht dumm (viele sind Akademiker) und den Schaden erleiden oft viele andere Menschen: Z.B. wenn Politiker derart naive Maßnahmen an den Tag legen, dass dies letztendlich die Bürger betrifft. Selbst in kleineren Gruppen (z.B. Unternehmen, Arbeitsteams, Verein, Schule, Klassengemeinschaft, Familie) leiden und/oder haften stets die anderen mit wenn sich eine Clique etwas ausdenkt und ausheckt.

 

Jetzt mag man ebenfalls denken: "Es gibt doch Menschen, die solch einen Irrsinn erkennen und bestrebt sind, solch einen Wahnsinn zu stoppen." Weit gefehlt: In Wirklichkeit ist das besagte Phänomen ein regelrechter Selbstläufer - dazu ein sehr gefährlicher: Es gibt nämlich nur sehr wenige Menschen, die dies leisten. Und die bekommen zumeist arge Probleme in der jeweiligen Gruppe. Oft scheitert allein der Versuch bereits im Ansatz.

 

Monty Pythons Filmklassiker "Das Leben des Brian" zeigt dies sehr schön in einer bekannten Szene: Brian, der mit dem Messias verwechselt und unfreiwillig verehrt wird, versucht die ihm umjubelnde Volksmenge loszuwerden, in dem sie davon zu überzeugen versucht, dass sie eigentlich gar keinen Messias brauche. Er ruft Ihnen zu: "Ihr seid doch alle Individuen!". Das Volk antwortet ihm im Chor: "Ja, wir sind alle Individuen!" Lediglich einer widerspricht. Er wirkt im Film recht piepsig: Er sagt: "Ich nicht." Damit zeigt er nicht nur, dass er den Logik-Fehler erkannt hat, sondern auch, dass er anscheinend der Einzige ist, der wirklich selbstständig denkt.

 

Genau dieses Phänomen ist aber nach der Erkenntnis der Sozialpsychologie keine Seltenheit, sondern eher die Regel. Auch wenn es dem eigenen Bild des Menschen von sich selbst (Selbstbild) widerspricht: Tatsächlich ist die menschliche Grundkonstitution nicht darauf ausgelegt, alleine für sich zu denken und zu handeln. Die Orientierung an der Gruppe ist tief in uns verwurzelt, ja sogar ein Grundbedürfnis. Das Streben nach Gemeinschaft und sozialer Nähe ist ebenso tief in uns verankert wie das Streben nach Anerkennung und Übereinkunft. Das ist zugleich der Grund, warum wir zumeist genau das gut finden, was auch andere gut finden. Daher gehen wir - bis auf verhältnismäßig geringe Ausnahmen - zumeist dort einkaufen, wo auch andere einkaufen, selbst dann wenn es woanders ggf. besser und günstiger ist.

 

Teilweise nimmt dies sogar schizophren anmutende Ausmaße an, die - obwohl psychologische Untersuchungen es längst bewiesen haben - die Menschen selbst in der Regel natürlich abstreiten werden: So gehen wir z.B. nicht etwa dort essen, wo es uns am besten schmeckt (Geschmack selbst ist subjektiv und abhängig von Faktoren, die sich zumeist nur im Kopf abspielen), sondern dort, wo die meisten Menschen sind (bzw. bereits sitzen und essen) oder uns andere das Essen wärmstens empfehlen.

 

Untersuchungen haben aufgezeigt, dass sogar bereits die reine Vorstellung über solche Zusammenhänge ausreicht. Das bedeutet zugleich: Im Zweifelsfall denken wir genau das, was andere denken. Das Bedürfnis, sich an der Meinung anderer zu orientieren ist extrem stark ausgeprägt. Sofern diese vermeintliche Meinung der anderen jetzt noch durch bestimmte Medien bzw. Medienberichte gestützt oder gelenkt und/oder kanalisiert wird, ist es um das selbstständige Denken des Individuums geschehen.

 

Der Effekt wirkt sogar bei jenen Menschen, die davon überzeugt sind, dass sie selbst unmanipulierbar sind und eine feste eigene Meinung besitzen. Zugleich ist dies der Grund, warum kaum einer gegen die Meinung der Gruppe aufbegehrt, selbst wenn diese Meinung nur allzu unlogisch, falsch oder gefährlich ist. Genau so konnten sich politisch-ideologische Bewegungen wie z.B. der Nationalsozialismus durchsetzen und Systeme wir das "Dritte Reich" bis zuletzt so lange halten.

 

Anschließend sind die Menschen entweder über ihr eigenes Verhalten erschrocken oder immer noch in ihrer Meinung festigt, zumindest so lange bis sich langsam wieder eine andere Mehrheit findet, der man sich bewusst oder unbewusst anschließt und ihre Normen, Werte und Moral übernimmt. Zugleich ist dies aber auch der Grund, warum wir immer (erst) anschließend jene Menschen bewundern und als wahre Helden feiern (z.B. die Geschwister Scholl oder Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Galileo Galilei, Nelson Mandela, Martin Luther King), die auch unter extrem schwierigen Umständen ihrem Gewissen folgten, gegen die breite Masse aufbegehrten und entsprechenden Widerstand leisteten.

 

Was die meisten vergessen: Vorher galten derartige Menschen als Aufrührer, Verbrecher, Terroristen und Ketzer - und zwar bei den meisten anderen - in vielen Fällen sogar bei fast allen anderen. Dargestellt werden derartige Helden der Geschichte immer so, als hätten sie im Sinne der meisten Menschen gehandelt. Diese "meisten Menschen" dachten vorher aber genau anders herum. Ein wirkliches Erkennen der vorausgegangenen Torheit ist es nicht wirklich. Die Menschen schließen sich anschließend einfach aus den unterschiedlichsten Beweggründen (Streben nach Anerkennung, Streben nach Übereinkunft, Ängste und Hemmungen etc.) der neuen Meinung an. Der Hauptgrund ist der Effekt der Sozialen Wahrnehmung (Social Cognition Effect).

 

"Social Cognition" beschreibt ein extrem einflussreiches Grundlagengebiet der Sozialpsychologie. Hier geht es überwiegend darum, wie sozial relevante Informationen wahrgenommen, abgespeichert (enkodiert), organisiert und abgerufen werden und wie sie Prozesse des Urteilens und der Entscheidungsfindung in sozialen Situationen beeinflussen. Die Sozialpsychologie findet hier eine große Überschneidung mit der Einstellungs-, Attributions- und Wahrnehmungsforschung, ebenso mit der modernen Gehirnforschung und der Gedächtnisforschung. In diesem Zusammenhang gilt es zu beachten, dass für die Wahrnehmung von Menschen (Personenwahrnehmung) eben nicht nur Reize verantwortlich sind, sondern auch entsprechendes Vorwissen (bewusst und unbewusst abgespeicherte Daten in unserem Gehirn, auf die wir bei Urteils- und Entscheidungsprozesse zumeist intuitiv / unbewusst zurückgreifen). Ein bekanntes Experiment ist das von Solomon Asch: Indem er nur eine von sieben Attribute einer Personenbeschreibung änderte, erzeugte er bei den Versuchspersonen sehr unterschiedliche Eindrücke. Dass dies alles zumeist unbewusst abläuft, zeigt unter anderem John A. Bargh von der New York University in seinem Artikel "The unbearable automaticity of being" (1999).

 

Das wohl berühmteste Experiment in diesem Bereich ist das sogenannte Milgram-Experiment des Sozialpsychologen Stanley Milgram an der US Elite-Universität Yale von 1961. Es gilt als Paradebeispiel dafür, wie Menschen sich von wenigen anderen (hier einer Autorität: Versuchsleiter) beeinflussen lassen und sogar bereit sind, Menschen unter dieser sozialen Beeinflussung zu quälen.

 

Wenn man sich mit der Wirkung der unterschiedlichsten Wahrnehmungsfehler und Effekte auseinandersetzt, wird man feststellen, dass Persönlichkeiten, die gegen derart große Meinungsmassen andachten, ihrem Gewissen folgten, Verantwortung übernahmen und aufbegehrten wahre Helden - aber eben auch Ausnahmeerscheinungen - sind. In einem Forschungsprojekt versuchten Forscher herauszufinden, welche Eigenschaften eine Person benötigt, um selbstständig denken und autonom handeln zu können.

 

Dazu unterteilten sie Testpersonen in zwei unterschiedliche Gruppen: Die erste Gruppe bestand aus Menschen, die sich selbst für hochgradig unabhängig hielten (sogenannte Hochautonome). Die zweite Gruppe bestand aus Menschen, die sich selbst nur für wenig eigenständig hielten (sogenannte Niedrigautonome). Nachfolgend wurden beide Gruppen bei Diskussionen zu moralischen Fragen beobachtet und dabei überprüft, wie sehr sich die Menschen von Zeitungsartikeln in ihrer Meinung beeinflussen ließen. Das Ergebnis war sehr überraschend: Das tatsächliche Verhalten der Versuchspersonen widersprach in extremer Weise der Selbsteinschätzung der Versuchspersonen. Tatsächlich waren die angeblich "Hochautonomen" in keinster Weise eigenständiger als die vermeintlichen Duckmäuser. Interessant war auch: Am wenigsten angepasst, erschien nach Auswertung der Tests und Antworten eine weibliche Versuchsperson, die sich selbst als niedrigautonom eingeschätzt hatte.

 

Bei einem weiteren Experiment, das deutlich zeigt, wie selten echte Verhaltensautonomie ist, sollten die Probanden - bei zeitgleicher Mitteilung vermeintlicher Mehrheitsmeinungen - beurteilen, welche von zwei Bildschirmhälften heller sei als die jeweils andere. Das Ergebnis: Die meisten Versuchspersonen passten ihre Meinung automatisch dem Urteil der Masse an. Wenn z.B. die vermeintliche (künstlich dargestellte) Mehrheit eine Bildschirmhälfte für heller hielt, waren auch die meisten Testpersonen genau dieser Meinung, unabhängig davon, ob das Urteil bun richtig oder falsch war. Das zweite Ergebnis: Die gemessene Hirnaktivität der Versuchspersonen belegte, dass diese die (falsche) Meinung nicht nur vorgaben. Sie waren sogar von dieser Meinung überzeugt bzw.: Sie sahen genau das, was sie zu sehen erwarteten.

 

Das liegt daran, dass ihr Gehirn die objektiv gesehenen Eindrücke bzw. Informationen aus der visuellen Sinneswahrnehmung so herunterbrachen, dass sie automatisch in Einklang mit der Mehrheitsmeinung standen. Genau das ist von Natur aus sogar so gewollt - schließlich ist es aus gehirnökonomischen Vereinfachungs- und Einspar-Gründen oftmals durchaus hilfreich, Informationen ganz einfach, unkompliziert und schnell aus dem Verhalten anderer Menschen abzuleiten. Besonders in früheren Zeiten (z.B. in der Steinzeit) war dies sinnvoll, um - ähnlich einer Tierherde - schnell auf Flucht umzuschalten. Der Mensch ist quasi ein "Herdentier" und läuft den anderen hinterher z.B. wenn vermeintliche Gefahr droht. Wenn ein, zwei Tiere anfangen, zu laufen, laufen die anderen hinterher.

 

Was früher vielleicht noch sinnvoll war z.B. um sich vor angreifenden Tieren oder feindlichen Sippen zu schützen, kann in Zeiten der modernen Zivilisation verrückte Ausmaße annehmen, die sogar so weit gehen, dass alles genau verkehrt herum läuft. Die Menschen laufen dann geradewegs ihren Feinden in die Arme und stoßen Freunde von sich oder gehen gegen diese vor, je nachdem, was die meisten anderen tun.

 

Auch die Werbung und das moderne Neuromarketing nutzen diese manipulative Kraft. Die Politik und die Medien ebenfalls, oftmals jedoch auch - ohne dass es den "Manipulatoren" selbst überhaupt bewusst ist. Nicht allen ist bewusst, was sie selbst mit ihrem Verhalten vor laufender Kamera anrichten.

 

Anderen hingegen ist es durchaus bewusst: Bereits der ehemalige Reichspropagandaminister Joseph Goebbels nutzte das Wissen, wie man "das Volk" irreführt, gezielt und bewusst. "Wollt ihr den totalen Krieg?" fragte er am 18. Februar 1943 im Berliner Sportpalast das vermeintliche "Volk", das vor Ort natürlich nur aus erlesenen fanatischen Anhängern des Nationalsozialismus bestand. Adressat seiner Rede war aber das ganze Volk, dessen Widerstandskraft er wecken wollte. Entsprechend sprach er die gesamte Nation an, auch verbal: Die "Invaliden von der Ostfront", die "Rüstungsarbeiter aus den Berliner Panzerwerken", die "Mitglieder der Partei", die "Wehrmachtssoldaten", "Ärzte", "Wissenschaftler", "Künstler", "Ingenieure", "Architekten", "Lehrer", "Beamte" und "Angestellte", außerdem "Frauen", "junge und alte Menschen". 

 

Nachdem Goebbels diese Personengruppen detailliert genannt hatte, stellte er die rhetorische Frage: "Was hier vor mir sitzt, ist ein Ausschnitt aus dem ganzen deutschen Volk an der Front und in der Heimat. Stimmt das?" Daraufhin erhielt er eine stürmische Zustimmung aus dem Saal. Dann stellte er den Anwesenden – quasi als Stellvertreter des Volkes – zehn rhetorische Fragen zum Vorhandensein der Kampfesbereitschaft, die vom Publikum jeweils mit einem lauten "Ja" beantwortet wurden. Goebbels bekannte Sportpalastrede endete mit den Worten: "Der Führer hat befohlen, wir werden ihm folgen..." Und so geschah es dann auch, ebenso wie bereits zuvor im Jahre 1932, als Goebbels den letzten Satz seiner Rede ("Nun, Volk, steh’ auf, und Sturm, brich’ los!") bereits bei einer Wahlkampfrede verwendete.

 

Bei diesem Satz handelt es sich um ein leicht geändertes Zitat aus dem 1813 veröffentlichten patriotischen Gedicht "Männer und Buben" von Theodor Körner, das sich auf die Befreiungskriege gegen Napoleon bezieht. Genaue diese Widerstandskraft der Befreiungskriege hat Goebbels zusätzlich in einem Propaganda-Film verpackt, den er zur Forcierung des Durchhaltewillen des deutschen Volkes kurz vor Zusammenbruch des Dritten Reiches in Auftrag gab. Mit einer Investion von 8,8 Millionen Reichsmark (Produktionskosten) wurde der Farbfilm "Kolberg", der am 30. Januar 1945, dem 12. Jahrestag der nationalsozialistischen Machtergreifung uraufgeführt wurde der teuerste Film dieser Zeit.

 

Auch hier ging es darum, über Storytelling Beispiele engagierter, couragierter, selbstloser und aufopferungsvoller Menschen zu zeigen, ähnlich wie man das heute auch in vielen aktuellen Medienberichten findet - heute jedoch zumeist mit einer vollkommen konträren Intention. Die Botschaft ist jedoch die gleiche: "Kommt und schaut, was andere tun und was sie leisten - und schließt euch diesem Denken und Handeln an." Wie im Nationalsozialismus so werden heute auch wieder stereotype Mustermenschen in Bild und Ton gezeigt und interviewt. Dabei achten die Medienvertreter sowie die politisch Verantwortlichen genau darauf, wer gezeigt und wer eben nicht gezeigt wird. Und dann ist da noch der Schnitt, schließlich werden nur jene Ausschnitte gezeigt, die politisch korrekt und gewünscht sind oder eben gensau das Gegenteil darstellen. Dadurch werden Sympathien erzeugt, Botschaften platziert und verankert, persönliches Involvement erzeugt und Stimmungen verbreitet.

 

Wie bei Goebbels auch, der bei der vorgenannten manipulativen Rede im Berliner Sportpalast nach Nennung der verschiedenen Menschengruppen des Volkes und seiner nachfolgenden rhetorische Frage ("Was hier vor mir sitzt, ist ein Ausschnitt aus dem ganzen deutschen Volk...Stimmt das?") zusätzlich auch den Satz gesagt hatte "Allerdings Juden sind hier nicht vertreten." nutzen viele Politiker und Medien auch heute die Methodik der zusätzlichen Stimmungsmache: Das Polarisieren mittels Effekt der Polarisierung. 

 

Durch unmittelbare Gegenüberstellung von vermeintlichem Freund und Feind mit einer extremen Darstellung der Skalierung (z.B. "sympathischer Gutmensch wie Du und Ich" auf der einen Seite und "Abstoßendes primitives asoziales gewalttätiges Subjekt" auf der anderen Seite) wird ein regelrechtes Freund-Feind-Bild erzeugt und die breite Masse dahin bewegt (motiviert), wo die Erzeuger bzw. die Auftraggeber der jeweiligen Botschaften sie gerade haben wollen. Obgleich Goebbels polarisierender Satz auf Tonaufzeichnungen vorhanden ist, fehlt er in manchen Textaufzeichnungen, was auf eine nachträgliche Zensur hinweist. Diese gibt es heute auch noch. Unter anderem erfolgt sie über die Auswahl der Interview- oder Talk Show-Partner sowie über Gewichtung, Schnitt und Sendezeit.

 

Auch heute müssen wir davon ausgehen (man kann es sehen und objektiv messen), dass unser Wahrnehmungs- und Urteilsvermögen nicht nur über die vielen typischen Beobachtungsfehler, Wahrnehmungsfehler und Effekte massiv beeinflusst wird, sondern eben auch durch manipulative Techniken, die auf "Social Cognition" bzw. dem Effekt der sozialen Wahrnehmung basieren. Dadurch werden Meinungen gelenkt und regelrechte Trends erzeugt. Das gezielte Erzeugen von Involvement ist dabei ebenso ein wirksames Instrument zur "Meinungsmache" bzw. zur Etablierung von Meinungen und Handlungsmustern wie das Polarisieren:

 

Täglich sehen wir Bilder, die der Seele weh tun (Involvement) und in den "Herzen" bzw. Köpfen der Menschen (Emotionssystem im Gehirn) wirken. In europäischen Ländern, die sich zugleich als "Wiege des Humanismus" sehen und zugleich als "weise Lehrmeister" und "Heilsbringer" für andere Nationen, fällt dies nicht schwer, da sich allein die "Meinungsmacher" und "Medienmacher" selbst als Botschafter des Heils begreifen. In einer Welt der totalen Reizüberflutung und des eher oberflächlichen Wissenserwerbs lässt sich Involvement am besten durch selektiv gezeigte bewegende Bilder und die Technik des Polarisierens erzeugen.

 

Wenn eine TV Talk-Show oder selbst eine seriös wirkende "Presse-Runde" (z.B. zum Thema Asylpolitik) selbst in einem öffentlich-rechtlichen Sende zu Beginn der Talk-Runde mit dem Satz eingeleitet wird: "Darüber wollen wir diskutieren." hat die Stimmungs- und Meinungsmache längst begonnen: Z.B. durch unmittelbar folgende polarisierende Aussagen wie a) "Ungarns Ministerpräsident verweigert die Aufnahme von Flüchtlingen" versus b) "Deutschland spielt die wohl positivste Rolle in der Flüchtlingspolitik und zeigt Entschlossenheit und Humanismus" (Beispiel ARD-Presseclub vom 06.09.2015).

 

Begleitet werden derartige Aussagen einleitend durch stimmungserzeugende Bilder oder emotionalisierende musikalische Untermalung: Während z.B. Aussage b) mit einem dunkel, böse und gefährlich wirkendem Sound untermalt und mit negativen, anmaßend bis bösartig wirkenden dunklen Bilder begleitet wird, sehen wir zu Aussage a) heroisch wirkende Bilder und hören einen positiven Sound. Allein damit verkümmert das angebliche Ziel einer objektiven Diskussion bereits im Ansatz zu einer eigentlich recht billigen und billigenden Meinungsmache in eine ganz konkrete, bereits festgelegte Richtung.

 

Das wissenschaftlich längst erforschte Rudeldenken und Mitläufertum begünstigt sowohl die Ausbreitung neuer angeblicher bzw vermeintlicher Wahrheiten als auch deren Festigung in den Köpfen. Unabhängig von Wahrheitsgehalt, Richtigkeit und Realität wird dadurch ein regelrechter Sozialisierungsprozess in Gang gesetzt, der in bestimmte Normen, Werte und Verhaltensmuster mündet und Fuß fasst.

 

Moderne Untersuchungen anhand von Widerstandskämpfer-Schicksalen zur Zeit des Dritten Reiches zeigen jedoch, dass nicht nur der Charakter entscheidend ist, ob jemand in manipulativen Situationen klar sieht, entsprechend aufbegehrt und zum Held mutiert, sondern ob jemand die entsprechenden Situation überhaupt erkennt und dann auch entsprechende Handlungsmöglichkeiten erkennen kann. Eine derartige Studie führte u.a. der Historiker Marten Düring durch, der Handlungsmotive von Menschen analysierte, die sich der damaligen Mehrheitsmeinung widersetzten und Verfolgten des Regimes halfen. Dabei zeigte sich, dass die Motive der untersuchten Personen sehr unterschiedlicher Natur waren. Die Palette der Beweggründe reicht von Pflichtgefühl oder oder Geld verdienen über politische Ideale und Menschlichkeit bis hin zu einer Mischung aus verschiedenen Motiven. Manche Menschen wussten selbst nicht, was sie letztendlich zum Handeln bewegt hatte.

 

Der Film Revolution von 1985 (mit Al Pacino, Donald Sutherland und Nastassja Kinski in den Hauptrollen), der zur Zeit des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges (1775 - 1783) spielt, zeigt dieses differenzierte Denken und Handeln sowie die unterschiedlichen Motive der Beteiligten sehr anschaulich. Auch hier wird deutlich, dass die handelnden Personen eigentlich gar keine wahren Helden sind. Teilweise ist ihr Handeln sehr spontan, manchmal entwickelt es sich über persönliche Erfahrungen und Gefühle. Es ist also folglich insgesamt davon auszugehen, dass selbst geachtete Querdenker und Helden wie George Washington und Oskar Schindler keine heroischen Pläne schmiedeten, sondern in den Lauf der Dinge eher hineingeschlittert sind - hier konkret mit glücklichem Ausgang.

 

Um so stärker ist die Gefahr, dass wir alle derart manipuliert sind und uns täglich selbst manipulieren, dass wir die tatsächlichen Auswirkungen unseres Handelns auf die Zukunft nicht überschauen. Denken wir "quer" und "gegen" können wir als Abtrünnige, Ketzer, Geächtete oder Terroristen enden oder aber zu Helden werden, je nachdem wie der Zeitgeist es für uns gerade bereithält.

Naive-aggressive Persönlichkeitsstörung

Naivität und naive Menschen, Naivität als Persönlichkeitsstörung: Naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung, sogenannte "Gutmenschen" - enorme Schäden durch krankhafte Naivität

Hintergrundwissen "Naive Persönlichkeit" /
"Naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung"

 

Allgemeine Einführung

Das Wort "Naivität" kommt von "nativ(e)" (gebürtig, ursprünglich) und steht für "harmlos", "einfältig", "töricht" und "blauäugig" sowie für "leichtgläubig", "unwissend", "arglos" und "leicht verführbar". Der Begriff "Naivität" steht in einem Zusammenhang mit kindlichem Denken und Verhalten und auch stellvertretend für "Armut im Geiste", die "Nichtnutzung sachlich nüchterner analytischer Prozesse" sowie die "Beschränktheit in der Anwendung analytisch geistiger Prozesse". Naive Menschen sind in der Regel leicht (bzw. leichter) beeinflussbar als andere Menschen.

 

Der psychologischen Auffassung nach sind vorab erst einmal alle Menschen "naiv" bzw. "naive Persönlichkeiten", allein deshalb, weil jeder Mensch im Prinzip naiven (impliziten) Persönlichkeitstheorien folgt. In der konkreten Thematik geht es jedoch nicht um die normale Naivität von Menschen, sondern um übertriebene Naivität in Form einer Persönlichkeitsstörung, durch die ein Schaden entstehen kann.

 

Tatsächlich gibt es Menschen mit einer sehr kindlich-naiven Weltanschauung fern ab von jeder Realität. Die übliche Lebenshärte der meisten Menschen ist ihnen fremd, weshalb sie überall dort, wo in ihrer selektiven Wahrnehmung etwas aus dem gewohnten (naiven) eigenem Weltbild herausbricht, aktiv werden. Darüber hinaus gibt es naive Menschen, bei denen die Naivität so stark ausgeprägt ist, dass sie einem Wahn gleicht. Bei naiv-aggressiven Persönlichkeiten kommen weitere Komponenten hinzu.

 

Bestimmte naive Persönlichkeiten können von ihren Wahrnehmungen, ihren Charaktereigenschaften und ihren Handlungsmustern derart auffällig werden bzw. entarten, dass man von einer Störung spricht. Da derartige Störungen aufgrund o.g. Zusammenhänge in der Regel nicht als solche diagnostiziert werden (auch, da sich der jeweils Betroffene einer Diagnosestellung weder unterzieht, noch sich ihr stellt), spricht man (an Stelle der möglichen Diagnose einer schweren psychotischen Erkrankung) lediglich von vorherrschenden bzw. gestörten Wesenszügen im Rahmen eines Charakterbildes.

 

Hinzu kommt die Tatsache, dass einige Störungen als durchaus gesellschaftsfähig gelten, selbst dann, wenn die Gesellschaft durch sie einen Schaden nimmt. Es ist sogar so, dass naive Persönlichkeiten aus ethisch-moralischer Sicht - aber auch in juristischer Hinsicht - in unserer Gesellschaft mit "Sonderrechten" ausgestattet sind und daher nicht selten (auch unbewusst) bevorzugt behandelt werden.

 

Tatsächlich kann Naivität (z.B. der naive Glaube an das Gute) so weit entarten, dass naive Menschen meinen, dass es überall nur Gutes in den Menschen oder in der Welt gibt oder bestimmte Menschen "guter" bzw. "besser" sind als andere Menschen (Heile-Welt Naivitäts-Fehler), weshalb diese vermeintlich "besseren Menschen" eine bevorzugte Behandlung gegenüber Anderen benötigen (Bevorzugung / Übervorteilung). Manchmal geht diese Naivität so weit, dass ein regelrechter Zwang zum vermeintlichen "Gut sein" besteht, darüber hinaus die Überzeugung, selbst "gut" oder sogar "besser" zu sein als bestimmte andere Menschen, die man nicht für gute Menschen hält.

 

Liegen diese Wesenszüge massiv und überzogen ausgeprägt vor, so spricht man von einer Persönlichkeitsstörung (Naive Persönlichkeit / Naive Persönlichkeitsstörung" oder in besonderer Ausprägung auch "Naiv-aggressive Persönlichkeit / Naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung"). Diese Form der Persönlichkeitsstörung kann mit einem Zwang oder einem Wahn in Verbindung stehen, wird jedoch als solches nicht diagnostiziert.

 

Naiv-aggressive Persönlichkeitsstörung (Kurzform)

Bei den betroffenen Menschen handelt es sich um narzisstische Persönlichkeiten, die zur Ablenkung von ihrer Selbstwertproblematik, den zwanghaften Drang verspüren, von anderen anerkannt zu werden, indem sie vermeintlich "Gutes" tun und - aus ihrer subjektiven Weltsicht heraus - die "Welt verbessern" wollen. Letztendlich sehen sich Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung als Vertreter eines ganz bestimmten Weltbildes, das alle gegenteiligen Meinungen verachtet, unterdrückt und bekämpft und dabei sämtliche Fakten ignoriert und ausblendet. Dies tuen sie selbst in beruflichen Positionen, in denen eigentlich das genaue Gegenteil gefordert ist - und es ist davon auszugehen, dass derartige Menschen sogar ihren Beruf mit dem Motiv wählen, die Welt entsprechend ihrem subjektiven Weltbild verändern zu können.

Um von den eigenen Problemen und dem Hass auf sich selbst und das unmittelbare Umfeld abzulenken, setzen sie ihren Fokus auf alles, was möglichst anders, fremd und weit weg ist (massive externale Fokussierung). In der selbst gewählten Rolle des Weltverbesserers oder Missionars sind naiv-aggressiven Persönlichkeiten bestrebt, Respekt und Anerkennung für ihr Streben oder Wirken zu erhalten, um die eigene Leere aufzufüllen, etwaige Frustrationen zu bekämpfen oder etwaige Traumata aus früheren traumatischen Erlebnissen zu verarbeiten. Indem sich sich mit einer fixen überwertigen Idee für eine vermeintlich "gute Sache" einsetzen, fühlen sie sich selbst gut und erhalten aufgrund echter oder vermeintlicher "Anerkennung" für ihr Handeln somit das Gefühl, das in der Kindheit ggf. vermisst wurde.

 

Aufgrund ihrer vom Prinzip her künstlich erzeugten Erfolgserlebnisse können ihre fixen überwertigen Ideen nahezu wahnhaft entarten (Beispiel: Adolf Hitler). Andere Ansichten verstehen sie nicht und lassen sie nicht gelten. Auch fehlt ihnen oft jegliches Gefühl für Verhältnismäßigkeit (siehe auch Psychopathie). Andere Ansichten werden zum Teil radikal bekämpft. Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung schaffen sich ihre eigenen Moralvorstellungen und vertreten diese vehement - teilweise sogar radikal - nach außen. Dabei besteht der Hang, die Lebensweise anderer Menschen (möglichst vollkommen) zu dominieren.

 

Die naive Persönlichkeit kennzeichnet sich auf den ersten Blick durch scheinbar besonders großzügiges Verhalten oder übertriebenen Altruismus. Dem Anschein nach verfolgen viele Betroffene humanistische, altruistische oder religiöse Lebensziele. Tatsächlich geht es aber nicht um das "Gutsein", sondern um die Aufrechterhaltung und Überspielung eines Wunschbildes, das - wie bei der narzisstischen Persönlichkeitstörung - übertrieben nach außen gezeigt wird, jedoch bei objektiver sachlicher Betrachtung der Realität nicht standhält. Insofern könnte man auch von Realitätsverlust sprechen.

 

Hinter dem vermeintlichen Bestreben des "Gutseins" bzw. "Gutseinwollens" verbirgt sich eine egozentrische Grundhaltung und eine Selbstwert-Problematik mit einem deutlichen Hang zur Selbsterhöhung, Selbstüberschätzung und Selbstermächtigung. Aufgrund der Wahrnehmung des übertriebenen "Gutseinwollens" werden Menschen mit einer naiven Persönlichkeitsstörung umgangssprachlich von Laien auch als sogenannte "Gutmenschen" bezeichnet. Dieser Begriff ist jedoch irreführend, da die Menschen in Wirklichkeit nicht "gut" sind, sondern lediglich das "gut sein" idealisieren, ggf. sogar anderen Menschen gegenüber schweren Schaden zufügen.

 

Zudem könnte im Prinzip jeder zum "Gutmenschen" mutieren, wenn er eine besondere persönliche Beziehung zu bestimmten Personen hat und sich in bestimmten Situationen wider Logik und den Erwartungen des Umfelds verhält: Zum Beispiel ein Lehrer oder Vorgesetzter, der einen Störenfried, den er mag, immer wieder aufs Neue gegen die Allgemeinheit, die sich beschwert - und von dem besagten "Schützling" ggf. immer wieder aufs Neue gestört, belästigt oder drangsaliert wird, aufgrund der eigenen einseitigen Wahrnehmung aufgrund der persönlichen "Beziehung" immer wieder in Schutz nimmt und dafür ggf. (aus Sicht der anderen) die verrücktesten Entschuldigungen für den "Schützling" vorbringt: Bei Sozialarbeitern  hört man sehr oft den selbstwertdienlichen Spruch "Der Weg ist das Ziel". Dies ist dann aber noch lange keine "Störung", sondern normales menschliches Verhalten aufgrund einer Beziehung und der dadurch einseitigen Wahrnehmung, die manchmal gar keine andere persönliche "Erkenntnis" zulässt, als aus Sicht der Allgemeinheit und auch aus objektiver Sicht "unlogisch" zu handeln. Doch zurück zur besagten Persönlichkeitsstörung: 

 

Sofern diese Sonderform der narzisstischen Persönlichkeitsstörung nicht unmittelbar zu einem Schaden (ggf. auch durch Betrug und andere kriminelle Handlungen) führt, so ist sie doch immerhin radikal irritierend und zutiefst egozentrisch. Als einfaches Persönlichkeits-Beispiel mit relativ schwacher Störungsbild-Ausprägung sei hier z.B. eine Person (A) genannt, die einer anderen Person (B) an Stelle eines individuellen - auf das jeweilige Gegenüber (B) abgestimmten - Geschenkes eine Spendenquittung überreicht, aus der hervorgeht, dass Person A an Stelle eines Geschenkes für Person B lieber etwas für einen "guten" Zweck (C) gespendet hat.

 

Person B wird damit von Person A nicht nur völlig übergangen, sondern sogar als unmündig und als weniger wert eingestuft bzw. herabgewürdigt, was die naiv-aggressive Person A überhaupt nicht registriert oder interessiert. Person A meint es sogar gut und ist davon überzeugt. In Wirklichkeit verfolgt Person A ihre eigenen egozentrischen Interessen und geht davon aus, dass alle anderen dies mitzutragen haben und auch noch sehr positiv finden. Mit einem "Geschenk" hat dies jedoch nichts zu tun, erst recht nicht mit einem Geschenk für Person B.

 

Tatsächlich ist das Verhalten eine Störung, fehlt die Einsicht in den Zusammenhang - sogar eine schwere Störung. Fakt ist: Person A macht sich quasi selbst ein Geschenk und findet es sogar gut, vielleicht sogar "genial" und auf jeden Fall "richtig".

 

Details zum Persönlichkeits- / Störungs-Typus

Bei den betroffenen Menschen handelt es sich um Persönlichkeiten mit einer besonders naiven Einstellung im Hinblick auf ihre Umwelt und ihre eigenen Moral- und Wertvorstellung. Es besteht ein übertriebener Hang, bestimmte Probleme lösen oder die "Welt verbessern" zu wollen. Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung sehen sich selbst als Weltverbesserer oder Missionare für eine vermeintlich "gute" Sache. Von ihrer fixen überwertigen Idee, die nahezu wahnhaft entarten kann, sind sie absolut überzeugt. Andere Ansichten verstehen sie nicht und lassen sie nicht gelten. Auch fehlt ihnen oft jegliches Gefühl für Verhältnismäßigkeit.

 

Dabei geht es häufig nicht um Probleme im eigenen Umfeld, sondern mehr um Probleme, die sehr allgemein oder weit entfernt liegen (z.B. Globaler Umweltschutz, Tierschutz in fernen Ländern, Hilfs-Engagement für ferne Länder oder Menschen aus anderen Nationen, Hilfe für bestimme Städte im Ausland usw.) (Siehe: Externale Fokussierung). Es geht aber weniger um Hilfe für das unmittelbare Umfeld (Familie, Freunde, Nachbarschaft, arme Menschen im eigenen Land) oder die eigene Person.

 

Arme Menschen im eigenen Land scheinen Menschen mit dieser Persönlichkeitsstörung nicht wahrzunehmen. Sie setzen sich stattdessen lieber für "linkskriechende Sumpfdotterschnecken im Kongo" ein und wenn sie nach noch mehr Anerkennung streben, dann eben für Menschen dort, die ihrem Wirken - ganz im Gegensatz zu ihren unmittelbaren Mitbürgern im eigenen Land, mit denen sie nicht selten gesellschaftlich auf Kriegsfuß stehen - Anerkennung zollen. Es muss nur alles möglichst weit weg sein, damit die Realitätsflucht perfekt ist.

 

Insofern handelt es sich um eine sehr einseitige Hilfe, der eine selektive Wahrnehmung zugrunde liegt, die zu Verzerrungen der Realität und weiteren Beobachtungs- und Beurteilungsfehlern führt. Es handelt sich zwar zumeist nicht um  Trugwahrnehmungen aber eben um Wahrnehmungsverzerrungen auf Basis von Wahrnehmungsfehlern und dadurch resultierende Trugschlüsse. Das ist es aber nicht allein: Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung schaffen sich ihre eigenen Moralvorstellungen und vertreten diese vehement nach außen. Dabei besteht der Hang, die Lebensweise anderer Menschen zu dominieren.

 

Die naive Persönlichkeit kennzeichnet sich auf den ersten Blick durch scheinbar besonders großzügiges Verhalten oder übertriebenen Altruismus. Dem Anschein nach verfolgen viele Betroffene humanistische, altruistische oder religiöse Lebensziele. Tatsächlich geht es aber nicht um das "Gutsein", sondern um die Aufrechterhaltung und Überspielung eines Wunschbildes, das - wie bei der narzisstischen Persönlichkeitstörung - teilweise übertrieben nach außen gezeigt wird (z.B. durch einen bestimmten Aktionismus mit hohem Engagement und einem regelrechten Zwang zur Weltverbesserung sowie zur Belehrung und Bekehrung Andersdenkender).

 

Konkludiert die naiv-aggressive Störung mit Dummheit, kann dadurch ein ganz besonders gefährlicher Typus entstehen (naiv-aggressive Persönlichkeit). Sollte ein derartiger Typus in wichtige berufliche Positionen gelangen, ist die Gefahr groß, dass hier ein besonders großer Schaden für das Umfeld, das Geschäft etc. besteht.

 

Hintergrund der Störung & Zusammenhänge

Hinter dem vermeintlichen Bestreben des "Gutseins" bzw. "Gutseinwollens" verbirgt sich eine egozentrische Grundhaltung und eine Selbstwert-Problematik mit einem deutlichen Hang zur Selbsterhöhung, Selbstüberschätzung und Selbstermächtigung, wobei die Zusammenhänge der Umwelt so verzerrt werden, dass sie den eigenen Selbstwert schützen und stärken (siehe: Selbstwertdienliche Verzerrungen / Selbstwert-Effekt). Mit der naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörungen gehen häufig Züge weiterer Persönlichkeitsstörungen (z.B. "Fanatische Persönlichkeit", "Querulatorische Persönlichkeit" und "Paranoide Persönlichkeit") einher.

 

Der Begriff des "Gutmenschen"

Aufgrund der Wahrnehmung des übertriebenen "Gutseinwollens" werden Menschen mit einer naiven Persönlichkeit umgangssprachlich auch als sogenannte "Gutmenschen" bezeichnet, insbesondere dann wenn eine naiv-aggessive Persönlichkeitsstörung vorliegt und dieses "Gutseinwollen" vehement bis aggressiv (z.B. über Engagemernt und Aktionismus) wahrgenommen wird. Ein typischer Vertreter eines solchen vermeintlichen Gutmenschen war Adolf Hitler. Um von seiner eigentlichen inneren Problematik und dem eigenen Trauma abzulenken und das eigene Selbstwertgefühl über Erhaschen von Anerkennung aufzuwerten, hat er sich eingesetzt, um die Welt zu verbessern und die Menschen entsprechend seiner moralischen Ideale zu missionieren. In welche Richtung diese Moral und vermeintliche Verbesserung und Missionierung ging, konnten und wollten viele Menschen nicht erkennen, da stets das angestrebte "Gute" im Vordergrund stand und zugleich ein entsprechender Nährboden dafür bereitstand.

 

Immerhin fühlten sich viele Deutsche in dieser Epoche von der Welt bzw. den Siegermächten des Ersten Weltkrieges gedemütigt und als minderwertig erachtet. Wenn dann jemand kommt, der Verbesserung verspricht, sich zudem mutig zeigt und die Parole "Wir schaffen das" verheißt, stößt er insbesondere bei naiven Menschen oder anderen narzisstischen Persönlichkeiten auf einen guten Nährboden. Dass hier jemand wirkte, der bestrebt war, ein schwerwiegendes Persönlichkeitsproblem von sich (und gleichzeitig von anderen) zu kompensieren, hat niemand erkannt und kann auch ansonsten nur schwer erkannt werden.

 

Obwohl seitens des Begriffes "Gutmensch" - allein vom Wort her - ein positiver Eindruck entsteht, verwenden ihn viele Menschen - allein wegen der Lehre des Dritten Reiches - mit einer abwertenden Haltung, wobei vergessen wird, dass es sich eigentlich um eine schwere Störung handelt, die der Hilfe bedarf, nicht zuletzt, weil die Betroffenen einen enormen Schaden für andere aber auch sich selbst anrichten können.

 

Der Begriff "Krankheit" bzw. "psychische Erkrankung" entfällt jedoch allein schon deshalb, weil es sich um eine Persönlichkeitseigenschaft handelt, bei der sich die Betroffenen selbst nicht krank bzw. gestört fühlen. Die betroffenen Menschen halten eher ihre Umwelt bzw. einen Teil ihrer Umwelt für gestört bzw. für verbesserungswürdig und hilfsbedürftig. Selbst bei vorliegenden Symptomen einer Krankheit ist beim Narzissmus bzw. bei naiv-aggressiven Persönlichkeiten die selbst geschaffene Ablenkung - allein durch die massiv externale Fokussierung und das starke Engagement - so hoch, dass sie kaum wahrgenommen oder gut verdrängt werden. Dennoch liegt zeitweise ebenfalls ein Zusammenhang mit einer wahnhaften Störung nahe, in einigen Fällen auch mit einer zwanghaften Störung.

 

Ego-Aufwertung  & Massive externale Fokussierung

Das besagte "Gutseinwollen" bezieht sich auf der einen Seite auf Ego-Bestrebungen im Rahmen des Selbstwerteffektes – auf der anderen Seite nicht selten auf eine "Massive externale Fokussierung", was bedeutet, dass man (eigentlich nur) bestimmten Menschen und Zielen, die möglichst weit weg sind, "Gutes" tun will, seinen Nächsten im eigenen Umfeld aber weniger Beachtung schenkt, diese sogar eher gängelt oder bekämpft.

 

Adolf Hitler betonte kurz vor Ende des Krieges, dass es das Deutsche Volk nicht wert sei, zu überleben, weshalb es keiner Schonung durch die Sieger bedürfe. Eine naiv-aggressive Persönlichkeit der heutigen Zeit setzt sich zum Beispiel für eine seltene eingewanderte Eidechsenart ein und engagiert sich mit allen Mitteln dafür, dass dafür Straßen nicht gebaut werden und Menschen aus ihren Häusern ausziehen müssen, um die Ruhe der Tiere nicht zu gefährden. Noch typischer aber ist das Engagement für alles, was hinter den eigenen Grenzen geschieht bzw. zu geschehen hat. Nicht selten führt ein solches Allmachtsdenken zu Einmischungen, zu Konflikten oder sogar zu Kriegen.

 

 Narzisstische Menschen mit einer massiv-externalen Fokussierung vergessen die eigenen Probleme und die ihrer wenig gelittenen oder im tiefsten Inneren gehassten Nachbarn und Mitbürger allein dadurch, dass sie ihren Fokus nach außen richten und sich hier vehement - teilweise sogar aggressiv engagieren. Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit schätzen ihre Ideen, ihre Sichtweise und ihre moralischen Werte stets höher ein als die von anderen Menschen, die ihnen selbst in irgendeiner Art und Weise ähnlich sind (z.B. Hautfarbe, Staatsbürgerschaft etc.). Es kommt zur Bevormundung und zur Gängelei, wobei genau das Gefühl zurückgegeben wird, dass man in der Kindheit erlebt hat.

 

Nicht selten machen Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung ihrem Umfeld das Leben schwer z.B. durch radikale Ansichten und Forderungen sowie durch aggressive Verhaltensmuster mit einem tiefen Hang, sich und ihre Ziele durchzusetzen, notfalls unter Androhung von Gesetzes-Initiativen und Strafandrohung oder mit (aktiver oder passiver) Gewalt (z.B. Demonstrationen, Wurfattacken, Sitzblockaden).

 

Moralische Grundhaltung

Die naive Persönlichkeitsstörung kennzeichnet sich durch eine betont moralische Grundhaltung (mit ggf. übertriebenen Moralvorstellungen). Diese Moral entspringt einer phantastischen Idealisierung als innere Gegenwehr zum selbst Erlebten in der Kindheit. Dies ist zugleich der Grund, warum Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit einen außerordentlichen Hang zur übertriebenen Moralisierung aufweisen, wobei ebenfalls ein deutlicher Hang zur Polarisierung besteht. Ihnen fehlt die natürliche Skalierung bei der Bewertung von Menschen und Sachverhalten. Es gibt nur noch gut und böse, schwarz und weiß, links oder rechts, Jude oder Arier.

 

Gefahr

Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit möchten, dass ihre Umwelt sich nach ihren persönlichen Werten und Moralvorstellungen ausrichtet und genau so handelt, wie es der Vorstellung der von der Persönlichkeitsstörung Betroffenen entspricht. Aufgrund der vermeintlich positiven Moral haben sie eine mitreißende Wirkung auf andere Menschen mit Komplexen. Zudem haben sie die Wirkung des Effekts der sozialen Anpassung gesunder Menschen (Social Cognition Effect / Sozialer Einfluss) auf ihrer Seite.

 

Was auf der einen Seite andere Menschen motiviert und ansteckt, kann auf der anderen Seite eine enorme Gefahr darstellen. Kreuzzüge, Hexenwahn, Hugenotten- und Judenverfolgung seien diesbezüglich ebenso als Beispiel genannt wie Islamistische Bewegungen, Massenmassaker und Weltkriege, die stets im Namen des vermeintlich Guten und Richtigen sowie im Sinne der vermeintlich besseren Moral begonnen und ausgeführt wurden und werden und dabei den starken viralen Aspekt narzisstischer Störungen insbesondere der naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung zeigen, die bei bestimmten anderen Persönlichkeiten auf einen guten Nährboden stößt, der geradewegs in Massenhysterie ausarten kann.

 

Motivation

Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit zeichnen sich durch hohe Motivation und ein deutliches Engagement entsprechend ihrer Werte und Moralvorstellungen aus, teilweise sind sogar manische Züge (siehe: Manie) vorhanden, was ihnen ein besonders Engagement verleiht, das sie anderen Menschen gegenüber in gewisser Hinsicht hartnäckiger, durchsetzungsfähiger und überlegen macht.

 

Rechthaberei

Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit neigen häufig zu stiller oder offen geäußerter Rechthaberei und haben einen Hang zur Übertreibung und Pauschalisierung. Sie finden stets eine gewisse Allgemeingültigkeit und sind in Diskussions-Situationen bzw. bei Widersprüchen jedem Zweifel erhaben, was wiederum ein typisches Merkmal des Wahns ist, auch weil die Einsicht in Irrtümer und die Vorstellung für andere Optionen fehlt. Siehe dazu auch: Self serving bias / Egotismus., Selbstwert-Effekt, overconfidence-effect, Überlegenheitsillusion, Dunning-Kruger-Effekt und Gott-Komplex)

 

Zusammenhang mit dem Dunning-Kruger-Effekt

Als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet man die systematische fehlerhafte Neigung relativ inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen und zugleich die Kompetenz anderer zu unterschätzen, was zudem mit einer großen Selbstsicherheit im Rahmen einer Überlegenheitsillusion einhergeht. Der Begriff geht auf eine Publikation von David Dunning und Justin Kruger aus dem Jahr 1999 zurück. Dunning und Kruger hatten in ihren vorausgegangenen Studien bemerkt, dass etwa beim Erfassen von Texten, beim Schachspielen oder Autofahren Unwissenheit oft zu mehr Selbstvertrauen führt als Wissen. An der Cornell University erforschten die beiden Wissenschaftler diesen Effekt in weiteren Experimenten und kamen 1999 zum Resultat, dass weniger kompetente Personen dazu neigen, ihre eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, überlegene Fähigkeiten bei anderen nicht erkennen und das Ausmaß ihrer extremen Inkompetenz selbst nicht erkennen können. Dunning und Kruger zeigten, dass schwache Leistungen mit größerer Selbstüberschätzung einhergehen als stärkere Leistungen. Im Jahr 2000 erhielten Dunning und Kruger für ihre Studie den Ig-Nobelpreis im Bereich Psychologie. „Wenn jemand inkompetent ist, dann kann er nicht wissen, dass er inkompetent ist. […] Die Fähigkeiten, die man braucht, um eine richtige Lösung zu finden, [sind] genau jene Fähigkeiten, die man braucht, um eine Lösung als richtig zu erkennen.“

 

Naive Persönlichkeiten & Wahrnehmungsfehler

Menschen mit einer naiven Persönlichkeit unterliegen merkwürdigerweise häufiger bestimmten Wahrnehmungsfehlern als andere Menschen. Auch bestehen hier scheinbar deutliche Zusammenhänge. Der "Heile Welt Naivitäts-Fehler" zählt ebenso dazu wie die "Selektive Wahrnehmung" und die "Massive externale Fokussierung". Auch in anderer Hinsicht erscheint die Wahrnehmung, die aus der Perspektive Außenstehender dem Anschein nach oft sehr weltfremd erscheint oder scheinbar sogar jeder Logik entbehrt, im Hinblick auf das Weltbild und entsprechende Ideale stark getrübt zu sein. So stark, dass die Persönlichkeitsstörung sehr häufig mit einem Wahn verwechselt wird.

 

Grenzen zwischen überwertigen fixen Ideen und Wahn

Die Grenzziehung zwischen überbewerteten bzw. überwertigen fixen Ideen und einem Wahn sind schwer zu ziehen und teilweise fließend. Eine entsprechende (psychiatrische) Diagnosestellung in Bezug auf eine Psychose ist hier jedoch extrem selten, auch da die Betroffenen in der Regel nicht dem klassischen Patiententyp entsprechen, der bei Psychosen schwerpunktmäßig auf sozioökonomisch schwache Personenkreisen entfällt. Auch ist der Wahn als eigenständiges Krankheitsbild eine stark unterdiagnostizierte psychische Störung, was u.a. daran liegt, dass die Betroffenen nichts von ihrem Wahn wissen, ihn nicht wahrhaben wollen und keine Veranlassung dafür sehen, sich entsprechende Hilfe zu holen. Menschen, die einem Wahn verfallen sind, halten andere für krank bzw. gestört, sich selbst aber nicht. Hinzu kommt, dass in der Regel nur nach außen kommunizierte Wahngedanken (falls überhaupt als solche erkannt) als unwirklich auffallen.

 

Sozioökonomischer Hintergrund

Hinzu kommt, dass Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit z.T. vorrangig eher gut situierten sozioökonomisch sicher bzw. besser gestellten Kreisen und Berufen der Mittelschicht entstammen. Darunter sind auffallend viele Menschen, die aufgrund ihrer persönlichen, beruflichen oder familiären Situation keine eigenen relevanten sozioökonomischen Existenzsorgen kennen und ebenso wenig von entsprechenden Existenzängsten betroffen sind. Sie stammen zumeist aus der Mittelschicht, sind zumeist gebildet und/oder belesen, kommunikativ sicher (bis überzogen selbstsicher) und auch rechtlich sehr interessiert. Bezüglich der sozialen Schicht sind aber auch ausreichende Ausnahmen bekannt. Genau diese "Ausnahmen" waren es sogar, die im Verlaufe der Geschichte, sogar die größten gewaltsamen Veränderungen aufgrund ihrer auf besonders stark ausgeprägten Selbstwert-Komplexen basierenden naiv-aggressiven Persönlichkeit herbeiführten (Napoleon Bonaparte, Adolf Hitler usw).

 

Zurück zu den gesellschaftlich besser gestellten Persönlichkeiten: Aufgrund ihrer persönlichen, familiären und/oder beruflichen Situation haben sie oft mehr Zeit, sich ihrem Engagement zu widmen. Alternativ nehmen sie sich diese Zeit und finden dafür Mittel und Wege, notfalls über den Weg der Arbeitslosigkeit. Menschen aus sozioökonomisch schwächer gestellten Kreisen, aus einfacheren Gesellschaftsschichten oder aus einfacheren Berufen mit geringerem Einkommen können sich eine derart hohe Moral mit derart überzogenen Idealen ebenso wenig leisten wie ein derart ausgeprägtes Engagement, welches manchmal mit einem nicht unwesentlichen zeitlichen oder finanziellen Aufwand verbunden ist (z.B. Spenden sammeln, Recherchieren, Artikel schreiben, Werben, Menschen belehren und bekehren, politisch aktiv sein, an Diskussionsrunden und politische Debatten teilnehmen, demonstrieren, protestieren, Aktionen planen und durchführen, Sitzblockaden, neue Gesetzesvorschläge ausarbeiten usw.). 

 

Engagement & Anerkennung

Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit scheuen derartigen Aufwand weniger. Auch erwarten sie von ihrem persönlichen Umfeld entsprechendes Verständnis bzw. Selbstverständnis für derartiges Engagement. Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung sind – wie bei anderen Persönlichkeitsstörungen auch - nicht bestrebt, sich Hilfe zu holen. Wie bei anderen ähnlichen Störungen auch, sind sie bestrebt, Bestätigung zu finden. Ihrer Auffassung nach benötigen sie keine Hilfe. Sie sehen sich selbst als Helfer und sogar als Heilsbringer für andere Menschen, von denen sie das Gefühl der Anerkennung erhalten. Diese Anerkennung muss nicht wirklich vorliegen. Hier reicht alleine die Vorstellung.

 

Aufgrund des Engagements für die eigenen Ideen wird Anerkennung von außen erwartet. Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit erwarten stillschweigend Anerkennung - es ist sogar ein deutlich übertriebenes Streben nach Anerkennung vorhanden. Wird dieses Streben nicht erfüllt, können kognitive Dissonanzen in Aggressionen umschlagen. Die gewünschte Anerkennung tritt bei vielen aber - nach subjektivem Empfinden - dann bereits ein, wenn sich Fronten bilden und sich anderdenkende Menschen weigern, den gewünschten Ideen und Vorstellungen zu entsprechen. Allein das mögliche Aufbegehren und Gegensteuern Andersdenkender wird als Bestätigung für eben jene Werte und Moralvorstellungen und als Bestätigung eben jenes Feinbildes empfunden, welches Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit aufbauen und vehement nach außen vertreten.

 

Sozialer Kontext

Aufgrund aller Umstände entfällt eine psychiatrische Diagnosestellung in Bezug auf eine schwere Psychose bzw. einen Wahn in der Regel. Was bleibt ist die sehr "spezielle" Persönlichkeit, die auf der einen Seite sehr engagiert ist und einiges bewegt, auf der anderen Seite aber auch großen Schaden anrichten kann, wenn das Umfeld diese Störung nicht rechtzeitig erkennt. Aber selbst dann fällt eine Aufdeckung sehr schwierig: Persönlichkeit, Bildung, Auftreten, Position oder Status stehen dem ebenso oft entgegen wie die Fähigkeit, zu argumentieren und scheinbar logisch-schlüssige Zusammenhänge zu konstruieren.

 

Hinzu kommt die Problematik der "Sozialen Wahrnehmung" bzw. der "Sozialen Beeinflussung" (Social Cognition): Ein Mensch, der sich selbst für "gutmütig" hält bzw. "gut sein" will und "Gutes tuen" will, erzeugt zumeist ein starkes Involvement (insbesondere in ethisch-moralischer Hinsicht und im christlichen Kontext. Oft wird dieses Involvement sogar ganz bewusst und mit aller Vehemenz erzeugt bzw. nahezu methodisch-strategisch zur Erreichung der Ziele oder zum Zwecke der Meinungsbildung bzw. Meinungsbeeinflussung eingesetzt.

 

Ein Mensch, der sich selbst für "gutmütig" hält bzw. "gut sein" will und "Gutes tuen" will, polarisiert allein vom Begriff her. Das bedeutet: Wer anders denkt, muss sich im sozialen Kontext "schlecht" oder "böse" fühlen oder wird von anderen sehr schnell für "schlecht", "böse" oder "unmenschlich" gehalten.

 

Nach den Erkenntnissen der Social Cognition Forschung (Sozialpsychologie) bedarf es hierzu noch nicht einmal der tatsächlichen Anwesenheit anderer Menschen. Die reine Vorstellung möglicher anderer Ansichten reicht bereits aus, um einer naiven Persönlichkeit, die es scheinbar (bzw. angeblich) gut meint, beizupflichten oder zumindest nicht (insbesondere nicht öffentlich) zu widersprechen. Insbesondere Trickbetrüger nutzen diese Erkenntnis, die auch im Rahmen der gesellschaftspolitischen Meinungsbildung und -beeinflussung sehr effektiv und nachhaltig genutzt wird. Bereits Hans Christian Anderson (1782 - 1816) beschrieb den Effekt in seinem Märchen "Des Kaisers neue Kleider".

 

Zusammenhang mit selbstwertdienliche Verzerrungen

Im Falle der Selbsterkennung greifen Menschen mit einer naiven Persönlichkeitsstörung zu ganz besonderen Formen selbstwertdienlicher Verzerrungen: Sie argumentieren häufig mit "Gerechtigkeit" oder mit Aussagen wie "das Herz am rechten Fleck haben", während naiv-aggressive Persönlichkeiten z.B. mit "Geboten" und "Verboten" oder z.B. mit "gesellschaftspolitischer Korrektheit" argumentieren, alternativ mit Sanktionen und Strafandrohungen. In Wirklichkeit geht es jedoch weniger um das eigene "Herz" (Involvement) oder das "Recht" (Analytik, Ordnung), sondern intuitiv um die Befriedigung des eigenes Egos, das sie selbst derart überwertig involviert, dass jede Kontroverse ihrem Streben nach am liebsten im Keim erstickt wird. Auch geht es um Selbsterhöhung und entsprechende Polarisierung in Verbindung mit völligem Unverständnis und starker Abneigung gegenüber Andersdenkenden, denen sich naiv-aggressive Persönlichkeiten aufgrund ihres Involvements und ihres vermeintlichen "Überwissens" bzw. "Allwissens" in der Regel überlegen fühlen.

 

Empathie

Naive Persönlichkeiten halten sich selbst für besonders empathisch (einfühlend). Genau diese Erwartung stellen sie auch an andere. Tatsächlich handelt es sich aber weniger um Empathie als vielmehr eine "Schein-Empathie" im Rahmen einer festen selektiven Wahrnehmung, dazu häufig mir massiver externer Fokussierung, Polarisierung und Pauschalisierung. Naiv-aggressive Persönlichkeiten können sich z.B. in sozioökonomische Probleme und Unsicherheiten nur dann hineindenken, wenn es um besondere Personengruppen bzw. um jene Randgruppen geht, denen sie selbst helfen möchten, weil sie - ihrem eigenen Ego-Weltbild entsprechend, genau dort einen Bedarf erkennen, woanders aber nicht.

 

Die Bedürfnisse ihres Nachbarn erkennen sie nicht. Vielmehr unterstellen sie, ihr Nachbar müsse ähnlich denken und ähnlich aufgestellt sein. Die eventuelle Not des Nachbarn erkennen sie ebenso wenig. Vielmehr würden sie ihren Nachbarn dazu bringen, z.B. möglichst alles aufzugeben, um in einem fernen Land eine seltene Schneckenart zu erhalten oder Menschen in einem anderen Land zu helfen, weil sie genau dort eine Not erkennen, im Nachbarland aber schon nicht mehr. Vielmehr: Ihr Nachbar hat es in der Regel nicht immer leicht.

 

Innere Haltung

Insbesondere naiv-aggressive Persönlichkeiten haben nicht selten einen regelrechten Hang zu lustfeindlicher bis puritanischer Haltung mit missgünstigem Blick (Neid/Missgunst) auf andere Menschen, die ihrer eigenen Haltung aus der subjektiven Wahrnehmung heraus regelrecht "zuwider" handeln. Genau das wollen sie aber - ähnlich einer wahnhaften Störung - nicht wahrhaben. Ihnen fehlt die Fähigkeit zur gesunden Selbsterkennung - nicht zuletzt, weil Selbstbild und Fremdbild nicht kongruent sind und das Weltbild stark verzerrt (idealisiert) ist.

 

Gängelei

Das Streben nach Ansprache, Belehrung und Bestrafung dieser Menschen ist bei Ihnen ebenso ausgeprägt wie das Streben nach Regeln und Gesetzen, die der eigenen Geisteshaltung- und Moral entsprechen. Es besteht ein deutlicher Hang zur Forderung von Geboten (z.B. Gängelung des Partners und der Familie hinsichtlich eines bestimmten Konsumverhaltens inklusive Nahrungsaufnahme und sonstigem Verhalten, Zwang zu religiösem oder politischem Engagement, Strikte Mülltrennung, Zwang für bestimmte Länder und Zwecke zu spenden, Gebot bestimmter Beschilderungen, Gebot bestimmter Wörter und kommunikativer Regeln, Gebot, polarisierende Bestrebungen und Aussagen nachzueifern, Zwang zu bestimmtem Qualitätsmanagement, Zwang zur Zertifizierung, Übertriebene Sicherheitsbestimmungen, Bestimmter Datenschutz, Zwang zur Errichtung von Unisex-Toiletten, Sonderrechte für bestimmte Personenkreise, Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung bzw. Bekämpfung anderer Meinungen usw.).

 

Auf der anderen Seite besteht die Forderung von Verboten (z.B. Verbot bestimmter Kommunikationsformen, Verbot, bestimmte Waren anzubieten bzw. zu verkaufen oder zu erwerben, Verbot von Ponyreiten auf Jahrmärkten, Verbot bestimmte Straßen zu bauen wegen einer bestimmten Eidechsen- oder Gräser Art, bestimmte Parkverbote, einseitiges Vermummungsverbot, Einstellungsverbot für Menschen bestimmter Religionen, Kommunikationsverbot in Bezug auf die Erwähnung bestimmter statistischer Daten, Meinungsverbote usw.).

 

Wächter von Tugenden & Schützer von Minderheiten

Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit sehen sich als Wächter von Tugenden, Schützer von Minderheiten und Erzieher des Volkes. Ihnen ist jedoch nicht bewusst, dass durch die vermeintlich zu schützenden Tugenden oder Minderheiten gleichzeitig andere Tugenden und Minderheiten außer Acht lassen – sie sogar vor den Kopf stoßen oder bekämpfen. Besonders extrem erscheint dies, weil zumeist alles Neue und Fremde geschützt und geschaffen werden soll, alles Etablierte und Bestehende jedoch weichen soll. Der Respekt vor abweichenden Meinungen und Bedürfnissen fehlt ihnen und selbst das Thema Recht wird umgedeutet.

 

Beispiel

Ein Mensch mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung fühlt sich z.B. gut dabei - und darüber hinaus im Recht - wenn er z.B. auf der Straße gefundenes Geld nicht dem Eigentümer zurückgibt, sondern es einer Person "spendet", die er für "bedürftig" hält. Aus seiner eigenen impliziten (naiven) Persönlichkeitstheorie heraus würde er ggf. naiv davon ausgehen, dass der eigentliche Eigentümer den Eindruck mache, er könne den Verlust verschmerzen.

 

In extremen Fällen käme dann noch das Streben nach einer Bestrafung des eigentlichen Besitzers der Geldbörse hinzu, wenn dieser sein Recht einfordern würde: Den Vorstellungen des Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeit entsprechend, erschiene ein solches Verhalten ggf. extrem unsozial und ggf. gesellschaftsschädigend.

 

Zusammenfassung zum Persönlichkeits-Typus

Naivität, gepaart mit dem (gut gemeinten) Hang, Gott zu spielen und andere Menschen zu erziehen, ist ein typisches Zeichen für diese Form der Persönlichkeitsstörung. Manchmal kommt dann noch eine massive externale Fokussierung hinzu sowie das eventuelle Streben nach einem Gesetz, welches das eigene Verhalten offiziell legitimiert, generalisiert und gesellschaftlich etabliert.

 

Definition "Gutmensch"

Ein Gutmensch ist jemand, der sich eine ideale Welt erträumt und sich einredet, in dieser Traumwelt zu leben oder leben zu können. Gutmenschen verhalten sich dabei nahezu schizophren, indem sie jeden, der nicht ihre Ansichten teilt zum Bösen in Menschengestalt erklären. Gutmenschen verhalten sich dabei wie die Gefolgsleute von Führern wie Hitler oder Stalin, nur dass sie nicht einer einzigen Person hinterherlaufen, sondern einer fixen Idee, die sie selbst im Angesicht von eindeutigen Beweisen und Argumenten nicht willens sind aufzugeben. Gutmenschen sind dabei auch durchaus pathologisch und folgen alle den Idealen ihrer fixen Idee, welche sie als ihre eigene Meinung ausgeben. Wenn Gutmenschen die Möglichkeit erhalten, sind sie gegenüber ihren Gegnern weitaus totalitärer als das, was sie vorgeben zu bekämpfen.“ (The Liberal Mind: The Psychological Causes of Political Madness. (Das Liberale Gemüt: Die Psychologischen Ursachen für Politischen Wahnsinn) Amerikanischer Psychiater: „Gutmenschen klinisch geisteskrank“, 16. September 2009)

 

Manipulative (Aus-)Nutzung naiver Persönlichkeitsstörungen im Produktmarketing

 

Eigene Manipulation

Naive Persönlichkeiten bedienen sich häufig (unbewusst) verschiedener Beeinflussungsstrategien. Menschen mit einer naiv-aggressiven Persönlichkeitsstörung setzen derartige Strategien sogar gezielt und bewusst ein. Allein durch das Involvement, das sie häufig erzeugen, haben sie manchmal einen starken manipulativen Einfluss auf andere.

 

Manipulation durch das Marketing

Sie werden aber auch selbst manipuliert - schließlich zählen sie - ähnlich wie die "Best agers"zu den besonders beliebten (motivierten, hoch involvierten und solventen, zugleich aber auch gefürchteten) Zielgruppen bestimmter Branchen.

 

Das moderne Marketing und Neuromarketing erkennt sie als motivatorisch und ökonomisch interessante Konsumentengruppe mit mehr Freizeit (Spezial-Alternativ-Urlaube, Wandern und Natur-Tekking), einem höherem Wissens- und Bildungsdrang (z.B. Info-Veranstaltungen, bestimmte Bildungsangebote usw.), einem bestimmten Geltungs- und Anpassungsdrang (Bestimmte Scheine und Zertifizierungen, Mitmach-Aktionen usw), einem höheren Bewusstsein und Involvement (z.B. emotional in eine spezielle Richtung aufgeladene Produkte, Podukte aus der Region, ausführliche Verbraucher-Information, individuelle Beratung usw.), hoher Affinität für bestimmte Produkte (z.B. Bio-Produkte, Spezielle Produkte für Vegetarier und Veganer, Natur-Produkte, Alternative Produkte aus Dritte Welt Ländern, Umwelt- und Energiespar-Technik, Esoterik, Weltreligionen, Meditation usw., Öko-Testzeitschriften) und Zugänglichkeit für bestimmte (zum Teil polarisierende) Argumente (z.B. ökologische Verträglichkeit, Verpflichtung zur Nachhaltigkeit, Individualität statt Massenkonsum, Fairer Handel, bestimmte Formen artgerechter Tierhaltung, Nein zu Rassismus) sowie hoher preislicher Wertschätzung (z.B. höheres Preis-Niveau, Spendenanteil für ökologische Projekte oder bestimmte Tiere usw.).

 

Aufgrund ihrer ausgeprägten Naivität sind die besagten Persönlichkeits-Typen sehr stark beeinflussbar, sofern Produktmanagement und Produktmarketing mit den richtigen Produktstrategien auffahren und Marketing, Neuromarketig und Neuroselling die richtigen Ansprache- und Verkaufsargumente liefern, selbst wenn diese oft regelrecht an den Haaren herbei gezogen werden. Dass neben dem Fokus auf spezielle Persönlichkeits-Typen der Produktmarketing-Fokus mittlerweile auf bestimmten Persönlichkeitsstörungen liegt, erscheint moralisch arg bedenklich, ist aber mittlerweile gängiger Usus - sowohl im Produktmanagement als auch im Marketing. Die entsprechenden Spezial-Verbraucher-Typen nutzen es rege und mit Vorbild-Charakter. Andere Konsumenten kopieren dieses Verhalten (Sozialer Einfluss) und passen sich an, was für das Marketing ein weiterer messbar positiver Effekt ist.

 

Zusammenhang mit dem "Licensing-effect"

Das Denken und Verhalten naiv-aggressiver Persönlichkeiten steht in einem Zusammenhang mit Wahrnehmungsfehlern in Bezug auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung. Als Beispiel hierfür sei der licensing effect genannt. Der licensing effect (auch „Lizenzierungs-Effekt“, „Selbst-Lizenzierung, „Guthabeneffekt“ oder „Erlaubniseffekt” genannt) ist ein menscheneigener Schuld-Reduzierungsmechanismus, der über einen Selbstwahrnehmungsfehler in Form eines Denkfehlers eine Selbstüberlistung unseres Gewissens darstellt. Was passiert? Menschen tuen etwas Positives oder Gutes, um negatives Verhalten vor sich selber zu rechtfertigen. Letztendlich führt das Verhalten zu einer permanenten Steigerung des negativen Verhaltens. So zeigen sich Menschen z.B. zuerst altruistisch, helfen Menschen, setzen sich für eine gute Sache ein oder spenden etwas für einen guten Zweck, um danach das genau das Gegenteil zu tun, weil das erste Verhalten das folgende Verhalten scheinbar rechtfertigt. So das Denkmuster in unserem Gehirn.

 

Der Licensing-Effect beschreibt damit eine Art "Innere Lizenz zum Böse sein", bezieht sich aber ebenso auf Konsum: Das vermeintlich positive Voraus-Handeln dient letztendlich dem Genuss der eigenen persönlichen Luxus-Befriedigung. Der frühere Ablasshandel der römisch-katholischen Kirche war insofern nichts anderes als die offizielle Version dessen, was auch ansonsten in unserem Kopf geschieht. Der Effekt besagt auch: Gute Taten lassen schlechte in der Zukunft folgen. So der Automatismus, der wie folgt funktioniert: Eine gute Tat verbucht unser Gewissen auf einer Art gehirneigenem „Moralkonto“ , dessen „Guthaben“ wir nachfolgend abbauen, indem wir uns nachfolgend einfach schlechter und ich-bezogener benehmen, weil unser Gehirn davon ausgeht, dass wir uns das leisten können.

 

Bewusst Gutes zu tun, ist folglich auch eine Art der egozentrischen Gewissensberuhigung, die nicht gerade zu einem wirklich guten Charakter führt. Ein solches Verhalten kann auch durch unsere Mitmenschen bzw. durch sozialen Einfluss (Social cognition effect) ausgelöst werden. Je stärker wir uns mit anderen identifizieren, desto stärker lassen wir uns von deren Verhalten beeinflussen. Für den licensing effect bedeutet dies: Selbst die guten Taten anderer (z.B. von Freunden, Bekannten und Kollegen) verbucht wir auf unserem Gewissens- bzw. Moralkonto. Dieses Gewissens- bzw. Moralkonto bezieht sich auf Selbstbetrug im Konsumverhalten – aber ebenso auf das Belügen und Betrügen anderer.

 

Tendenz & Tendenz-Wahrnehmung

Die Tendenz dieser Persönlichkeitsstörung in Bezug auf die Ausbreitung in der Gesellschaft ist deutlich steigend. Die steigende Tendenz diese Störung liegt auch daran, dass es trotz möglicher selektiver Wahrnehmung immer mehr Menschen mit tatsächlichem oder subjektiv vorgestelltem sozioökonomischen Wohlstand gibt. Dem gegenüber steigt hingegen jener Anteil an Menschen mit sozioökonomischen Unsicherheiten. Zugleich ist dies mit ein Grund, warum es immer mehr Laien auffällt, wenn naive Persönlichkeiten ihre scheinbar "schräg" wirkenden Ideen vortragen, sich für ferne Themen engagieren und "unlogisch" anmutend handeln. Naive Persönlichkeiten sind folglich auch ein zivilisatorisches Wohlstands-Phänomen.

 

Auch in der Geschichte finden wir viele Indizien, die eine deutliche Sprache dafür sprechen, dass es zeitliche Perioden mit einem extremen Boom derartiger Persönlichkeitsstörungen bereits gab. Die heilige Inquisition ist ein ebenso daraus erwachsenes Ergebnis naiv-aggressiver Persönlichkeiten, die im Namen des Guten handelten wie Völker und Kulturen (z.B. einige indianische), die sich aufgrund der Entscheidungen derartiger Persönlichkeiten quasi selbst auslöschten.

 

Was heute eine zu schützende Ringelnatter-Art, das globale Weltklima oder arme Menschen in einem ganz bestimmten konkreten fernen Land sind, das war in anderen Zeiten (z.B. im Nationalsozialismus) das Streben nach Verbreitung der arischen Rasse, die Hilfe eines Bundesgenossen in Afrika oder der Aufbau deutscher Städte in China oder Afrika oder (im Mittelalter bis hinein ins 18. Jahrhundert) die Verfolgung von Hexen, die sich gegen das vermeintlich Gute stellten. Auch in der Zeit des Nationalsozialismus oder der mittelalterlichen Ketzer-Verfolgung gab es unzählige Freiwillige, die sich entsprechend engagierten. Eines der größten Engagements in dieser Hinsicht lag in Form der Kreuzzüge und der Glaubenskriege vor.

 

Vertrauen & Überzeugen

Während eine eventuelle Verdrehung der Tatsachen oder die Konstruktion neuer phantastischer Ideen bei einem Wahn-Patienten (Psychiatrie) eventuell auffallen, kann es durchaus sein, dass ein Mensch mit einer naiven Persönlichkeitsstörung sogar Vertrauen und Zustimmung erhält. Den Verfechtern der "Arischen Rassentheorie" oder den akribisch-detaillierten Hexen-Anschuldigungen hat man ebenfalls Vertrauen geschenkt wie Menschen, die andere abstruse Theorien eloquent und glaubwürdig verbreiten, insbesondere dann, wenn sie die Fähigkeit besitzen, bei ihren Rezipienten ein Ego-Involvement zu erzeugen.

 

Nicht nur namhafte Religions- und Sektenführer waren dazu gut in der Lage, sondern auch namhafte Politiker und Diktatoren. Auch wenn wir aus heutiger Sicht den Vertretern des ehemaligen Dritten Reiches sicher nichts "Gutes" zuschreiben, so handelte es sich auch dort tatsächlich um viele naiv-aggressive Persönlichkeiten, die ebenfalls (aus ihrer subjektiven Sicht) etwas "Gutes" im Sinn hatten, auch wenn dies in Wahrheit nichts Gutes war und wir diese Zeit und ihre Ergebnisse heute anders bewerten als die Menschen zu jener Zeit. Ebenso waren es naive Persönlichkeiten, die mit dafür verantwortlich waren, dass sich ein solches Regime erst durchsetzen konnte.

 

Naiv-aggressiver Wahn in der Geschichte

Suchen wir nach Beispielen für naiv-aggressive Persönlichkeiten in der Geschichte, so müssen wir nur schauen, wo sich bereits früher Menschen überaus euphorisch bis wahnhaft für das vermeintlich "Gute" engagiert haben, das aber dann letztendlich in grausamen Exzessen und Verfolgungen entartete. Als klassisches Beispiele für naiv-aggressiven Wahn gilt u.a. die Bewegung der Wiedertäufer. Bereits die Wiedertäufer von Münster waren mit ihrer Strategie mittelfristig erfolgreich. Unter der Leitung der Prediger Bernd Rothmann, Jan Matthys und Jan van Leiden (eigentlich Jan Beuckelszoon oder Beukelszoon) gründeten sie das "Täuferreich" von Münster. Es endete im Juni 1535 mit der Rückeroberung der Stadt durch den Fürstbischof Franz von Waldeck.

 

Auch Jan van Leiden, der letzte Anführer der Wiedertäufer verlor jegliches Maß. Der ehemalige Schneider, Kaufmann, Gastwirt, Meistersinger, Reimdichter und Schauspieler ernannte sich als Johann I. zum König von Münster, errichtete das "Königreich Zion" und umgab sich mit einem glänzenden Hofstaat. Mit Hilfe seiner "12 Aposteln", seinem Statthalter und Scharfrichter Bernd Knipperdolling und seinem "Reichskanzler" Heinrich Krechting übte er ein Schreckensregiment aus und erstickte jeden Widerstand in Blut, ließ alle Bücher bis auf die Bibel verbrennen, schaffte das Geld ab, führte eine Gütergemeinschaft (inklusive Teilung der Frauen) zu seinem Nutzen und Wohle ein und ahndete Verstöße gegen die Zehn Gebote mit der Todesstrafe. Jan van Leiden erreichte sein Werk anfangs nicht mit Gewalt, sondern über das Predigen christlicher Werte und Moral sowie über die Kontrolle des Glaubens und der Medien.

 

Typische Vertreter naiv-aggessiver Persönlichkeiten - aber eben auch masochistischer Persönlichkeiten waren diejenigen, die in den Hexen- und Ketzerverfolgungs-Bewegungen aktiv waren - und sei es nur als Ankläger und Zeugen. Auch damals ging es darum, vermeintlich "Gutes" zu tun und das "Böse" zu bekämpfen. Wir wir das heute sehen, ist eine ganz andere Sache, die jede weitere Diskussion erübrigt. Dennoch verhalten sich einige Menschen wieder ähnlich - wieder - ohne es selbst wahrzunehmen. Die Nationalsozialisten waren aus ihrem Weltbild heraus ebenso der Überzeugung, Gutes für die Menscheit zu tun - selbst dadurch, dass sie Millionen Menschen verfolgten und - den Inquisitoren und Großinquisitoren der Kirche nachempfunden - Menschen quälten und töteten. 

 

Als typischer Vertreter naiv-aggessiver Persönlichkeiten in führenden Positionen des nationalsozialistischen Regimes kann hier (den persönlichen Tagebüchern und der historisch nachträglichen Verhaltensbeobachtung entsprechend) Joseph Goebbels, der damalige Reichspropagandaminister genannt werden. Goebbels hatte aufgrund seiner - auch nach außen hin sichtbaren - Behinderung starke Komplexe. Auch Hitler hatte derartige Komplexe. Bei ihm hat sich der Narzissmus aber in die masochistische Richtung hin ausgeprägt.

 

Abgrenzung: Naiv-aggressive Tendenzen in anderen Bewegungen

 

Rückblick auf die Hippie-Bewegung (1965 - 1971)

Auch unter den Vertretern des damaligen Hippie Kultes (1965 - 1971) gab es zahlreiche Vertreter dieses Persönlichkeits-Typus. Dabei handelte es sich um eine gegenkulturelle Jugendbewegung, die in den 1960er Jahren in den USA entstand und sich am Lebensstil der sogenannten "Hipster" der 1950er Jahre anlehnte. Die naiv-aggressive Tendenz vieler Hippies erhielt ihren sprachlichen Ausdruck in der Bezeichnung "Blumenkinder" bzw. flower child. Die Bewegung stellte die aus ihrer Sicht "sinnentleerten Wohlstandsideale" der damaligen Mittelschicht in Frage und propagierte eine von Zwängen und bürgerlichen Tabus befreite Lebensvorstellung. Im Vergleich zur wesentlich radikaleren "68er-Bewegung" und den sogenannten "Gammlern" dominierten die Werte der Selbstverwirklichung, weniger kollektivistische Bestrebungen. Insofern fanden sich bei der 68er-Bewegung wesentlich mehr Vertreter des aggressiven Typus, während bei den Hippies selbst eher bewusst naive Tendenzen wirkten, darüber hinaus native Tendenzen hin zur Natur.

 

Es ging weniger um Angriff, Provokation und radikale gesellschaftliche Umwälzung, sondern mehr um Fluchtverhalten: Dennoch wollten die Hippies nicht nur dem Leistungsdruck der Gesellschaft entfliehen, sondern zugleich eine neue, vermeintlich positivere bzw. menschlichere Lebensweise mit neuen persönlicheren Umgangsformen finden und ihrem sozialen Umfeld allein durch ihre Anwesenheit aufnötigen. So sahen esdamals viele Bürger der Mittelschicht. Letztendlich ging es den Hippies um die Idee von einem humaneren und friedlicheren Leben - und das hat niemandem geschadet, die sogenannten "Spießbürger" der Mittelschicht aber stark irritiert und unglaublich provoziert.

 

Auch hier gab es - neben den naiven Zügen - eben auch aggressive Züge, wovon allein das Hippie-Schlagwort "Flower-Power" kündet, was für Blumenmacht (= MACHT) steht. Es ging also selbst bei den Hippies um Macht und die Durchsetzung ihrer Ziele wider der Lebensweise der damaligen Gesellschaft, die als "spießig" erchtet wurde. Neben naiver und nativer Naturverbundenheit gab es die Kritik am Konsum. Das Ziel der Hippies war eine antiautoritäre und enthierarchisierte Welt- und Wertordnung ohne Klassenunterschiede, Leistungsnormen, Unterdrückung, Grausamkeit und Kriege. Dieses Streben vertraten die Hippies vehement nach außen. In den Augen der Öffentlichkeit galt ihr Verhalten als schamlos, peinlich und zügellos.

 

Einfluss auf die Bewegung hatten u.a. halluzinogene Drogen, insbesondere LSD. Auch hier wurde sozialer Druck bzw. Einfluss ausgeübt, ebenso in Bezug auf mögliche Fortbewegungsmittel: Als typisches Hippie-Auto galt der Citroën 2CV oder der damalige VW-Bus. Ähnlich wie die damalige Bewegung der Wiedertäufer von Münster legten die Vertreter der Hippie-Bewegung ihre "schicke" Kleidung ab und setzten - neben der neuen Nacktheit - auf einfache schlichte Gewänder. Mit ihrem ihrem ganz eigenem Wild-Thing-Style setzten sich die Hippies deutlich provokativ von der industriell gefertigten Massen-Mode ab, wodurch sie die damaligen Menschen - ebenso wie durch ihre langen, wallenden und ungepflegt erscheinenden Haare - stark provozierten und dies im Rahmen ihrer Absage an die bestehende Wirtschaftsordnung auch wollten. 

 

Besonders typisch waren geschlechtsunspezifische wallende Batikgewänder mit bunten Farben und die so genannten Jesuslatschen als Schuhwerk. Erst später kamen Pumphosen und Dreadlocks hinzu. Immer gab es eine Art Anlehnung an einige Aspekte der indischen Kultur. Räucherstäbchen und ätherische Öle zählten ebenso dazu wie Batik-Stoffe und bestimmte Möbel. Was damals die Menschen besonders provozierte, war der bewusst lockere zwischenmenschliche Lebensstil - auch in sexueller Hinsicht. Während die Wiedertäufer von Münster die Vielweiberei einführten, war bei Hippies Freizügikeit in Parks und Kommunen angesagt.