Was ist zu beachten? Welche Probleme kann es geben? Wie soll man sich verhalten?
Früher waren Patchwork-Familien eher eine seltene Ausnahme, doch aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen ist der Trend zur „Patchwork-Familie“ seit einigen Jahren deutlich auf dem Vormarsch:
Als Folge einer immer höher werdenden Anzahl von Trennungen und Scheidungen steigt auch die Anzahl von Patchwork-Familien bzw. Stieffamilien.
Bereits 2006 wurden bereits 2,3 Millionen Patchwork-Familien gezählt, die dadurch entstehen, dass sich Partner, die sich getrennt haben, eine neue Partnerschaft eingehen und in diese Beziehung Kinder einbringen.
Jede sechste bis siebte Familie lebt heute in einer Patchwork-Familie zusammen. Zumeist bringt die Mutter ihre Kinder in die neue Beziehung mit, manchmal ist es aber auch der Vater. Alternativ bringen beide Partner ihre eigenen Kinder in die neue Beziehung mit.
Kinder, die beim Ex-Partner leben und nur an Wochenenden zu Besuch kommen, gehören ebenso dazu. Und dann sind da noch gemeinsame Kinder, die aus der neuen Partnerschaft entstehen. Das klingt erst einmal ganz schön chaotisch, gehört in Patchwork-Familien aber zur Realität. Eine Realität, die aber gestaltet werden muss, was aufgrund der unterschiedlichen individuellen Bedürfnisse nicht immer ganz einfach ist.
Eine Patchwork Gemeinschaft gestaltet sich nicht selten spannend und schwierig. Von der Um- und Neuorientierung jedes Einzelnen bis zum Zusammenwachsen einer neuen Familien- und Wertegemeinschaft.
Patchwork-Familien wirken sich auf beide Partner und auf die Kinder aus. Alle müssen sich umstellen, neu orientieren und neu finden. "Patchwork-Familie" bedeutet für das Kind bzw. die Kinder eine neues Zuhause, eine andere Umgebung, einen neuen Freundeskreis, neue Partner - und damit zugleich neue Erzieher, neue Ansichten, Einstellungen, Eigenarten und Regeln.
So viel Neues braucht Zeit und erfordert eine Menge Geduld, psychologisches Gespür und eine gute Kommunikation. Es geht um die Bewältigung der Vergangenheit, das Finden im Jetzt, die Eingewöhnung in eine neue Rolle, ebenso um gegenseitige und individuelle Akzeptanz. Nicht selten gestaltet sich die neue Partnerschaft in Bezug auf die Akzeptanz des neuen Partners bzw. der neuen Partnerin schwierig. Gleiches gilt auch für die Akzeptanz der Kinder aus der vorangegangenen Ehe.
Je nachdem, welche Rolle der leibliche Vater bzw. die leibliche Mutter gespielt hat, je nachdem welche Rolle der Ex-Partner bzw. die Ex-Partnerin für den aktuellen Partner bzw. die aktuelle Partnerin gespielt hat. Das Image des oder der "Ex" schwingt ebenso mit wie alte, gelernte und eingefahrene Gewohnheiten, die man nur selten aufgeben möchte, was aber wichtig ist, da sich sonst kein gesundes neues Familienleben entwickeln kann. Es darf jedoch nichts überstürzt werden. Eine Umgewöhnung und Neuorientierung bedarf Zeit.
Entsprechend kompliziert gestaltet sich insbesondere das Zusammenleben mit anderen Kindern, die darüber hinaus noch die Kinder des Ex-Partners bzw. der Ex-Partnerin sind - und diese(n) in einer ganz bestimmten Form widerspiegeln. Damit muss der neue Partner erst einmal klar kommen, schließlich kann es eine große Belastung sein, den ehemaligen "Liebhaber" seiner Partnerin bzw. die ehemalige Liebhaberin" seines Partners als indirekten Teil der Partnerschaft anzuerkennen und dies auszuhalten, wenn auch nur genetisch, optisch und ggf. von der bislang anerzogenen Art und Weise her.
Für den neuen Partner bzw. die neue Partnerin stellt dies auf jeden Fall eine große Belastung dar, auch wenn diese oft gar nicht bewusst wahrgenommen bzw. nicht kommuniziert wird.
Die gleiche Belastung gilt auch für das Kind bzw. die Kinder. Stiefmutter oder Stiefvater sind - wie im Märchen – erst mal die Bösen. Auf sie projiziert sich ggf. der Ärger über den Verlust der alten Familiengemeinschaft, den Verlust des Zuhauses und alles, was einem lieb und heilig war.
Auf sie projiziert sich auch - und das in ganz besonderem Maße - der Verlust eines in den meisten Fällen sehr lieb gewordenen Elternteils, welches in einigen Fällen geradewegs zu einem "Heiligen" bzw. einer "Heiligen" stilisiert wird, was für den neuen Partner bzw. die neue Partnerin noch zusätzlich belastend sein kann, insbesondere dann, wenn diese(r) sich dadurch als zweites Rad am Wagen fühlt - und der Partner bzw. die Partnerin dies ggf. noch beschwichtigend verstärkt z.B. mit Aussagen wie "...schließlich ist es sein/ihr Vater bzw. ihre Mutter".
Derartige Aussagen können - auch wenn das Gesagte letztendlich nun mal der Realität entspricht - ganz schön verletzend und frustrierend sein. Insbesondere in Patchwork-Familien ist eine geschickte und sensible Kommunikation sehr wichtig, ebenso das Bewusstsein für das, was manche Aussagen beim jeweiligen Gegenüber und auch den anderen Beteiligten psychologisch bewirken.
Auch spielt das Problem der Verantwortung, der Verantwortlichkeit und des sich mit verantwortlich Fühlens eine Rolle.
Manchmal ist die Übernahme von echter Verantwortung, die sich in der neuen Vater-/Mutter-Rolle manifestiert, gar nicht erwünscht. Sie wird unterbunden oder boykottiert.
Damit wird die Integrität des Einzelnen von vorne herein gestört und es kann sich keine echte Wir-Gemeinschaft entwickeln, bei der niemand gefühlsmäßig und zurückstecken muss und seelisch zu kurz kommt. Auch weitere Störungen untergraben die natürliche Entwicklung einer für alle Beteiligten funktionierenden Gemeinschaft, die nicht nur erträglich, sondern harmonisch und glücklich sein sollte.
Aufgrund vorausgegangener Trennungen, entsprechender Verluste sowie neuen und unterschiedlichen Erwartungen und deren Erfüllung oder Nicht-Erfüllung bestehen und entstehen Spannungen und Konflikte - äußere und innere. Diese können dazu führen, dass die neue Beziehung und Partnerschaft (wieder) in Frage gestellt wird.
Alternativ führt das dazu, dass zumindest ein Teil der Patchwork-Familie stark leidet, manchmal ohne es offen kund zu tun. Schließlich möchte und kann nicht jeder offen zugeben, dass er im Inneren nicht wirklich klar kommt. Hinzu kommt das natürliche Schamgefühl und entsprechende Hemmungen und Ängste. Zudem möchte man die Partnerschaft aufrechterhalten und dazu eine gewisse Harmonie, selbst wenn es nur eine Scheinharmonie ist. Dies kann zu starken seelischen Konflikten, Persönlichkeitsstörungen und psychischen Erkrankungen führen.
Selbst dort, wo das neue Zusammenleben scheinbar harmonisch verläuft, darf nicht vergessen werden, dass aufgrund der vorausgegangenen Trennung, des Verlustes und der Neu- und Umorientierung zumeist seelische Spannungen und Konflikte im Stillen wirken, weiter gären und das gesamte weitere Leben und Zusammenwirken maßgeblich beeinflussen.
Das Image des neuen Partners und das Image des nicht in der Gemeinschaft lebenden leiblichen Elternteils spielen eine ebenso große Rolle wie die Psychologie in Bezug auf das gemeinschaftliche Zusammenwirken und das individuelle Erleben (Denken, Fühlen etc.) und Verhalten jedes Einzelnen.
Für die Kinder ist es ebenso schwierig wie für den neuen Partner bzw. die neue Partnerin, die / der - mehr oder weniger erfolgreich sowie mit viel oder wenig Unterstützung - in eine neue Rolle hineinwächst. Eine neue Vater-/Mutter-Rolle zu übernehmen. Die Erwartungen und Verantwortungen mit den tatsächlichen Möglichkeiten in Einklang zu bringen, ist nicht leicht, sondern sehr schwierig.
Generell gestaltet sich das Zusammenleben in einer Patchwork-Familie schwieriger als in anderen Familien. Partner und Kinder bringen ihre unterschiedliche Geschichte - und allein dadurch schon unterschiedliche Vorstellungen vom Leben, Zusammenleben und Familienleben mit. Dies bezieht sich auch auf die Regeln, die in einer Familie gelten und deren Einhaltung und Überwachung.
Patchwork-Familie klingt als Begriff für eine neu zusammengewürfelte Lebensgemeinschaft zwar viel lustiger und moderner, dennoch schwingt das, was es eigentlich ist, immer mit: Eine Stieffamilie mit einem neuen Stiefvater oder – wie im Märchen – aufgrund der noch stärkeren Bindung noch schlimmer – einer neuen Stief-Mutter. Und die sind erst mal die "Blöden" und nicht selten "die Dummen".
Wer behauptet „Bei uns ist das völlig anders“ beschäftigt sich sicher weniger mit dem Innenleben der Kinder und des neuen Partners - und weiß ebenso wenig über Psychologie und psychologische Zusammenhänge. Was in Menschen selbst vorgeht, bleibt stets im Verborgenen, schwingt aber immer mit, auch wenn nach außen alles harmonisch und friedlich verläuft.
Hinsichtlich einer Patchwork-Familie darf nicht vergessen werden, dass in der vorausgegangenen Trennung wie auch bei der Trennung zumeist die Seele verletzt wurde, was sich auf den, der sich getrennt hat, ebenso bezieht wie auf dessen Kinder.
Die Gründung einer neuen Familie ist daher einer Vielzahl von Spannungen und zum Teil unbewussten Konflikten ausgesetzt. Das Grundbedürfnis "Anerkennung" und entsprechende Eifersucht spielen dabei oft eine ebenso große Rolle wie die Umstellung und Umgewöhnung an sich. Hinzu kommen unterschiedliche Erwartungen an das Zusammenleben und die Zukunft, die zumeist aus vorausgegangen Erfahrungen herrühren.
Es stellt sich die Frage, in wie weit der neue Partner bzw. die neue Partnerin überhaupt als neuer Mutter-/Vater-Ersatz von dessen / deren Partner und/oder den Kindern geduldet wird - und hier die entsprechende Anerkennung und Bestätigung findet.
Weil dies vielleicht nicht der Fall bzw. der Beziehungs-Stil ist, kann die Übernahme der neuen Vater-/Mutter-Rolle unterbleiben bzw. unterlassen werden und eine externe Beziehung angestrebt werden. Damit machen sich Menschen jedoch etwas vor - und sorgen zugleich dafür, dass eine echte partnerschaftliche Beziehung keinen Nährboden erhält.
Sofern man es tatsächlich schaffen sollte, eine Beziehung ohne Einbeziehung der Kinder zu führen, führt dies dennoch zu Problemen und Konflikten. Entweder fühlen sich die Kinder ausgegrenzt oder der Partner. Seelische Konflikte sind möglich. Zudem führt eine derart oberflächliche Bindung ohne Einbeziehung der Kinder bereits bei geringfügigen Konflikten schnell zu einer Trennung, schließlich kommt genau das hoch, was sowieso seit langem gärt.
Man erinnert sich daran, dass man nicht voll dazugehört, sieht keine große Verantwortung und nutzt den Konflikt zum Ausleben der besagten Spannungen, die man vorher aufgebaut hat.
Die zumeist unbewusste Hochstilisierung des leiblichen Elternteils durch die Kinder (Verdrängung negativer Erfahrungs-Erinnerungen und Ersetzen durch positive und/oder phantastische Erinnerungen) bis zur Stilisierung zur Ikone kann ein großes Problem darstellen, insbesondere dann, wenn dies bewusst erfolgt und z.B. argumentativ bzw. abwehrtechnisch eingesetzt wird.
Beim Versuch der Übernahme der Vater-/Mutter-Rolle kann es vorkommen, dass selbst ein engagierter Einsatz der Stiefmutter oder des Stiefvaters auf Grund der bewussten/unbewussten Loyalität zum leiblichen Elternteil selten belohnt und vielleicht sogar abgestraft wird. Dadurch kann es zu starken inneren und äußeren Konflikten kommen, welche die neue Partnerschaft gefährden können.
Neue gemeinsame Kinder führen zu weiteren Konflikten, da nun auch die Rollen auf der Geschwisterebene neu verteilt und Privilegien aufgegeben werden müssen. Es kommt zu Eifersucht, selbst wenn dies nicht offen zutage tritt.
Dadurch ist auch das Konfliktpotential einer Patchwork-Familie um ein Wesentliches höher als in einer regulären Familie und es besteht die Gefahr einer erneuten Trennung aufgrund der neuen Schwierigkeiten von denen sich beide Partner regelrecht überrollt fühlen können.
Verstärkt wird dies dadurch, dass Partner, die in einer Patchwork Familie zusammenkommen noch ihre „Altlasten“ aus den vorausgegangenen Beziehungen und Trennung mit sich tragen - und diese oft noch lange selbst zu verarbeiten haben. Wenn jetzt wieder ähnliche Probleme und dazu noch neue Probleme auftreten, stellt man sich schnell die Frage, ob und wie lange man sich das selbst zumuten kann, wo doch die alte Beziehung zumeist gerade wegen Problemen, die jetzt ähnlich wiederkehren, beendet wurde. Dessen sollte man sich bewusst sein.
Insofern stecken die Mitglieder einer Patchwork Familie in einem regelrechten Dilemma. Ein zusätzliches Problem stellt das Verständnis und der Zeitfaktor dar. Während der eine Partner-Teil die Probleme nicht selten weder versteht noch wahrnimmt, hapert es an der Einsicht, dass man sich mit der Situation zeitlich intensiv befassen muss - und zudem alte Erfahrungen, Ansichten und daraus resultierende (Selbst-) Verständnisse über Bord werfen muss.
Das Problem wird auch dadurch verstärkt, dass nicht selten der alte Partner, der zumeist das Recht nutzt, seine Kinder in regelmäßigen Abständen zu sehen und diese bei sich zu haben, bewusst oder unbewusst sehr kontraproduktiv in die Erziehung eingreift, in dem er oder sie z.B. das Kind verhätschelt oder ihm mehr erlaubt als in der neuen Partnerschaft.
Das Kind wird damit mit unterschiedlichen Ansichten, Einstellungen und Regeln konfrontiert, was beim Kind zu einer starken kognitiven Dissonanz führen kann, welche die Patchwork Familie auszubaden hat z.B. weil das Kind sich deprimiert und zurückhaltend oder bockig und störrisch verhält oder sehr positiv über die eigene Mutter oder den eigenen Vater berichtet, was für den neuen Partner – auch wenn er es nicht zugibt, sehr verletzend sein kann.
Viel Neues braucht Zeit. So auch bei einer Patchwork-Familie. Stief-/ Patchwork-Familien brauchen viel Geduld um letztendlich zusammenzuwachsen. Geduld wird aber allein schon dadurch belohnt, dass sich durch das Zusammenleben mit mehr Bezugspersonen in der Regel eine höhere Sozialkompetenz und auch Familiendynamik herausbildet.
Man darf jedoch nichts überstürzen. Viele machen den Fehler, dass sie am Anfang zu große Erwartungen in die neue Familie setzen. Mit der Vorstellung nach dem Zusammenziehen sofort in perfekter Harmonie leben zu können, setzt man sich nur unnötigem Frust aus. Zumeist platzen diese Illusionen und die Partner müssen sich über den Widerspruch von Vorstellung und Realität erstmal klar werden.
Wer zu schnell auf Normalität drängt, überfordert damit die Kinder, den Partner und auch sich selbst. Wer jedoch alles einfach so hinnimmt oder einseitig handelt, schadet der gesamten Beziehung/Partnerschaft oder zumindest einem Teil der Gemeinschaft z.B. dem Kind oder dem neuen Partner.
Es gibt viele Aspekte des Lebens, die es bei Patchwork-Familien zu berücksichtigen gilt. Wichtig ist, sich mit den individuellen Persönlichkeiten und ihren Bedürfnissen und Ängsten professionell auseinanderzusetzen und entsprechend zu vermitteln, damit niemand "auf der Strecke bleibt" bzw. keiner "zu kurz kommt".